Karl Stankiewitz über die Einführung der Redoute vor 300 Jahren

Wie der Fasching in München entstand

von Karl Stankiewitz

Das Redoutenhaus an der Prannerstraße auf einer historischen Abbildung.

Ob Max Emanuel die Idee vom Carneval in Venedig oder von seinem langjährigen Exil in Frankreich heimgebracht hatte, ist noch nicht erforscht worden. Jedenfalls erwähnt die Stadtchronik im Jahr 1716 die erste „Redoute“ in der Residenz des an Lust und Luxus gewohnten „Blauen Kurfürsten“, der zehn Jahre später an einem Magenleiden starb. Wenn das Datum stimmt, dann wird die Hochform des Münchner Faschings jetzt genau 300 Jahre alt.

Zunächst handelte es sich um einen neuartigen Festball, der von da an alljährlich im Januar und Februar im Saal des Alten Rathauses stattfand. Dabei durfte man sich nicht mehr beliebig kostümieren, wie es bisher bei Fasnacht-Belustigungen üblich war. Harlekin, Columbine und die anderen Spaßfiguren, die Max Emanuels Mutter Adelaide aus ihrer italienischen Heimat importierte und sogar in Porzellan formen ließ, waren nun ebenso aus der Mode wie die schwarzen oder farbigen Dominos, über die Goethe - einen bekannten Reiseführer zitierend - gespottet hatte: „Man unterscheidet Frauenspersonen nur an den unter den Mänteln hervorragenden Röcken.“

Vorgeschrieben waren stattdessen beim importierten „Ridotto“ (deutsch: Zufluchtsort) eine Halbmaske oder eine Nase zur sonst normalen Ballbekleidung. Zugelassen waren nur Damen und Herren von Adel, doch konnte sich jedermann eine Maske kaufen, so dass sich die Gesellschaftsschichten doch vermischten. Das Programm bestand aus Musik, Tanz und Unterhaltung, aber sogar Glücksspiele waren erlaubt.

1773 wurde in der Prannerstraße 20 (heute Nr. 8) ein eigener Redoutensaal feierlich eröffnet. Dort und im Hoftheater am Salvatorplatz fand fortan zur Faschingszeit zwei Mal wöchentlich, nach französischem Exempel, eine sogenannte „Maskierte Akademie“ statt. Da durfte man „in und ohne Maske“ erscheinen. Das Publikum wurde durch Pantomime, kleine Possen und Konzerte belustigt. „Höchsten Herrschaften“ waren Spieltische vorbehalten. Am (längst abgerissenen) Franziskanerkloster vor dem Redoutensaal warteten geschlossene Wagen auf heimkehrende Besucher – Vorläufer der Mietdroschken und Taxis. „Da aber der Tanz fehlt, mangelt hier ein mächtiges Lebensprinzip der Freude“, mäkelte der Historiker Felix Joseph von Lipowsky.

Die gute alte Faschings-Zeit, sozusagen.

Zwei regelmäßigen Besuchern aus Augsburg mangelte es keinesfalls an Freude: Vater Leopold Mozart und Sohn. Wie sie in München „die Leut foppen“, berichtete Wolfgang Amadeus als Bub an die Familie. In den Ballsälen übte er fleißig den Trippelschritt des modischen Menuetts. Als 19-Jähriger schrieb er im Auftrag des bayerischen Kurfürsten die Opera buffa „ La finta giardiniera“, die wegen der Verwechslungsszenen und Maskeraden auch „Carnevalsoper“ genannt wurde; nach der Uraufführung am Salvatorplatz am 13. Januar 1775 stürzte sich Wolferl mit dem Papa und Schwester Nannerl abermals ausgelassen in Münchens Fasching und kehrte erst drei Monate später nach Salzburg zurück.

Die Französische Revolution, die Gleichheit und Brüderlichkeit verhieß, eröffnete auch dem Carneval, der Fastnacht, dem Fasching bisher ungekannte Freiheiten und Ausdrucksformen. So tauchten mit den zunächst verbündeten Franzosen neue Gesellschaftstänze in München auf: die Francaise („Frasäh“, las man in Bayern), die Polonaise, die Quadrille und andere, offenere Formationen, von denen die meisten heute vergessen sind. Später wird auch von Jalousie-, Wink- und Hahnentänzen berichtet.

Napoleon, der die Bayern später zum mörderischen Marsch nach Moskau kommandierte, partizipierte auch beim Grande Amusement. Im Januar 1806, bevor er Bayern zum Königreich machte, soll sich der Franzosen-Kaiser auf dem Hofball im Herkulessaal höchstpersönlich ins Getümmel gestürzt haben, und ein Herr von Waldkirch soll bei dessen Passieren gebrummt haben: „Sakra, der Schwanz tanzt.“  Die Diplomaten waren bestürzt. Gottlob verstand der Korse kein Bayerisch.

Allzu große Freiheiten konnte der Fasching freilich auch im Gefolge von Aufklärung und Revolution nicht gewinnen. Dem Kaiser erschien das öffentliche Maskentreiben zu gefährlich, er ließ es denn auch überall in seinem Herrschaftsgebiet - Venedig, Bayern und Köln inklusive - verbieten. Den tonangebenden Aufklärern waren die närrischen Umtriebe zu irrational oder einfach suspekt. Bayerns strenger Superminister Graf von Montgelas wollte die Untertanen im Griff behalten, in unruhigen Zeiten erst recht.

Weil man den Redoutensaal 1818 für die verfassunggebende Ständeversammlung zweckentfremdete, ließ Ludwig I. von Leo Klenze eine andere Bühne für die Ballsaison bauen: das Odeon.  Zum Faschingsauftakt 1828 lud der Hof zur Eröffnung des „königlichen Redoutengebäudes“. Der Festball endete mit einer Polonaise durchs ganze Haus - und mit einem doppelten Skandal: Ein Kellner schüttete einer Dame Ragoutsauce übers Ballkleid, während ein Fräulein durch einen zufälligen Blick durch eine offene Tür der Herrentoilette in Ohnmacht fiel, die Treppe hinunter stürzte und sich ein Bein brach. Sehr zu Ludwigs Leidwesen mieden viele Münchner die erste „Maskierte Akademie“. Überdies überzogen sie den teuren Neubau mit Kritik und dem ortsüblichen Grant.

Ein Jahr später ließ der kunstsinnige König dennoch ein erstes Künstlerfest arrangieren. Die Redoute war erst einmal gestorben. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg waren es fast ausschließlich die Künstler und ihre Vereinigungen, die den Münchner Fasching vielerorts in den verschiedensten Ausprägungen bewahrten, erneuerten, zur Volkskultur weiter entwickelten: durch historische Umzüge, Festbälle mit originellen Themen, nachgemachte Bauernhochzeiten und vor allem durch Atelierfeste. Um die „offiziellen“ Bälle, deren eleganteste Spielart der „Bal paré" war und ist, kümmerte sich indes die Karnevalsgesellschaft, die sich ab 1908 „Narrhalla“ nannte.

Erst im Jahr 1984 ließ Franz Mayrhofer von der Münchner Schule für Bairische Musik die Redoute neu beleben. Alljährlich mehrmals seit 1988 findet das Traditionsfest mit Unterstützung des Kulturreferats wieder in Alten Rathaussaal statt. Alles soll sein wie vor Jahrhunderten: die Kostüme und Masken, die vom Salonorchester begleitete und vom Tanzmeister dirigierte Francaise und Quadrille, die Waschermadl und Couplet-Sänger.

Der Autor arbeitet derzeit an einem Buch über die Geschichte des Münchner Faschings vom frühen Mittelalter bis heute.

Anm. d. Red. (11.2.16, 22 Uhr): Nach einem Leserhinweis wurde korrigiert, dass seit der ersten Redoute bis heute 300 Jahre vergangen sind, nicht, wie zunächst geschrieben war, 400 Jahre.

Veröffentlicht am: 08.02.2016

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