"Peggy Guggenheim" - ein Film von Lisa Immordino Vreeland

Im Bett mit Beckett

von Christa Sigg

Peggy Guggenheim auf der Biennale in Venedig, gesehen durch die Skulptur "Developable Surface" von Antoine Pevsner. Foto: Roloff Beny

Die Schmetterlinge vor ihren Augen waren schon sehr gewagt. Aber dann gab es diese noch viel größere Sonnenbrille, mit der sie aussah wie eine Art Mensch gewordener Hammerhai. Dazu die ausladenden Mobile-Ohrgehänge, die Alexander Calder fabriziert hatte – für Peggy Guggenheim konnte es nicht exzentrisch genug sein. Und alles, was von der knolligen Nase ablenkte, kam ihr nur gelegen. Doch Auffallen um jeden Preis war die eine Seite. Was bis heute beeindruckt, ist ihr Gespür, ihre Intuition für gute Kunst. Und eine endlose Zahl an Affären. Alles ging Hand in Hand in dieser außergewöhnlichen Biografie, bedingte sich gegenseitig. Das ruft jetzt ein aufwändiger Dokumentarfilm in Erinnerung.

Lisa Immordino Vreeland lässt das Leben der 1979 verstorbenen Kunst-Ikone durch Erzählungen und Kommentare zahlreicher Wegbegleiter und Kenner in erstaunlich vielen Facetten aufleuchten. Wobei der an O-Tönen überreiche Film eine interessante Ergänzung erfährt durch die Einbettung verschollen geglaubter Mitschnitte von Interviews, die Peggy Guggenheim kurz vor ihrem Tod gegeben hat.

Gewiss, das Bild von dieser Kunstmäzenin schillert nach wie vor gewaltig, aber es darf ein wenig korrigiert werden, am Ende bestätigt die alte Lady in ihrem venezianischen Palazzo dann das Sensible, Nachdenkliche, vor allem das Verletzliche, das ihre traurigen Augen schon immer verraten haben.

Doch was war das für eine Frau, die sich geradezu draufgängerisch auf die moderne Kunst stürzt? Die nicht nur Drip-Painting-Heroe Jackson Pollock zum Durchbruch verhilft, sondern genauso Mark Rothko einen Schub verpasst und Robert De Niros Malereltern die entscheidende Chance gibt? Die bereits in den 20er und 30er Jahren eine Menge für die Avantgarde Europas tut und Werke von Duchamp, Brâncusi, Dalí, Chagall, Kandinsky, Mondrian und natürlich Picasso kauft?

Ob die 1898 in New York geborene Marguerite Guggenheim nun aus einem reichen Haus kam, ist eine Frage der Perspektive. Die Verwandten mögen noch sehr viel betuchter gewesen sein, vor allem Onkel Solomon, der sich eine später berühmte Collection aufbauen lässt. Jedenfalls kann man sich neben Nachbarn wie den Rockefellers sämtlichen Luxus der Upper West Side leisten. Peggy besucht mit ihren beiden Schwestern elitäre Privatschulen, während die verschwenderische Mutter Florette allerlei Ticks pflegt und eine französische Zofe nur für die tägliche Coiffure beschäftigt. Als Peggy 13 ist, bricht eine Welt zusammen: Ihr geliebter Vater Ben, ein Schürzenjäger, kommt beim Untergang der Titanic ums Leben, ganz Gentleman, hat er seinen Platz im Rettungsboot einer Dame überlassen.

Irgendwann einen Geldaristokraten zu heiraten, wäre eigentlich der Plan gewesen. Doch die junge Rebellin schnappt ihre 450.000 Dollar Erbe und geht nach Paris, wo sie schnell Literaten und Künstler kennen lernt. Marcel Duchamp wird zu einer Art Lehrer für sie, und überhaupt schmeckt ihr das Leben der Bohème und besonders der Surrealisten sehr viel besser als das ihrer großbürgerlichen Familie. Mit dem Dichter Ezra Pound spielt sie Tennis, Man Ray fotografiert sie, manche schütteln den Kopf über diese verrückte, selbstbewusst auftretende Amerikanerin, die zudem klar formuliert, was sie will. Aus Guggenheims äußerst freizügigen Memoiren, die sie 1946 veröffentlicht, wissen wir, dass sie mit 23 den ersten Sex hatte und dabei ihrem künftigen Ehemann, dem Künstler Laurence Vail, so ziemlich alles abverlangt, was sie von pompejanischen Fresken her kennt.

Peggy wird bald Mutter zweier Kinder, aber, gierig nach Abwechslung, füllt sie das nicht aus. Neue Liebhaber lassen nicht lange auf sich warten, und der hagere Samuel Beckett, mit dem die selbsternannte Nymphomanin 1934 vier Tage non stop im Bett verbringt, gibt ihr schließlich den Rat, sich endlich richtig mit der Kunst zu beschäftigen. Der Vorschlag arbeitet in ihr, beim Tod der Mutter erbt sie noch einmal 450.000 Dollar und kann damit 1938 in London eine Galerie eröffnen. Die Surrealisten, Kandinsky und Picasso finden Beachtung, aber Peggy bleibt leider ihre beste Kundin.

Dass man über sie lacht? Egal. Die Guggenheim geht inzwischen unbeirrt ihren Weg, und als der Krieg kommt, schafft sie es sogar, ihre Sammlung „entarteter Kunst“ – die der Louvre als nicht rettungswürdig einstuft – nach Amerika in Sicherheit zu bringen. Im Schlepptau: André Breton und der immer sehr auf seinen Vorteil schielende Max Ernst, der sich dann auch gerne von Peggy heiraten lässt und den neuen Komfort bis zum geckig-mondänen Pelzmantel auskostet.

Sie tröstet sich mit der Kunst, gründet 1942 die legendäre Galerie „Art of This Century“ und schreibt mit Pollock und Co. amerikanische Kunstgeschichte. Ihre Landsleute müssten ihr heute noch die Grabplatte küssen, das war endlich die Loslösung vom alten Europa. Doch ihr Faible für just diese alte Welt hatte Peggy nie ganz verlassen: 1947 macht sie ihren Traum wahr und zieht für immer nach Venedig. Einen unvollendet gebliebenen Palazzo am Canal Grande lässt sie umbauen, hier umgibt sie sich mit ihrer Sammlung – und lässt die Öffentlichkeit im Sommer an ihrem Genuss teilhaben.

Wenn zwischendurch prüde Zeitgenossen am abschraubbaren Penis von Marino Marinis lebensfrohem Bronzereiter Anstoß nehmen, lächeln ihre Augen hinter monströsen Sonnengläsern. Nahe kommen Signora Guggenheim mit der Zeit nur mehr die knöchelhohen Lhasa-Schoßhündchen, die später neben ihr im Garten begraben werden. Und die sie wohl wirklich geliebt haben. Im Gegensatz zu all den Männern.

Im Kino; in München aktuell (Juli 2016) zu sehen im Rio Filmpalast.

Veröffentlicht am: 11.07.2016

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