Uraufführung von Peter Stangels Dada-Operette "Cabaret Voltaire"

Ein paar Schrägheiten

von Christa Sigg

Heißa, Revolution! Foto: Uwe Bendixen

Kindergebrabbel, Federmesser oder Haarwaschmittel? Generationen von Kunstexperten haben erstaunlich ernsthaft darüber sinniert, woher der Begriff Dada kommt. Dabei ist alles so simpel. Lenins Angetraute rief vor 100 Jahren einfach nur „ja ja!“, auf Russisch „da da“. Und schon sind die fantasievoll ausgetüftelten Gründungsmythen vom Tisch. Mit dieser amüsanten Erkenntnis verlässt man die Uraufführung der ersten Dada-Operette in der Alten Kongresshalle.

Dass es ziemlich schwierig bis unmöglich ist, der Gattung „neues Leben einzuhauchen“, wie es im Programmheft heißt, könnte die zweite Einsicht sein. Doch das hängt davon ab, was man unter einer Operette versteht. Geht man von einer heiteren Retro-Handlung aus, von Verwechslungen, vergnüglichen Intrigen und ein bisschen Liebelei, begreift man das Genre also nostalgisch, dann passt das schon, was sich Komponist Peter Stangel und sein Librettist Jürgen von Stenglin mit ihrem ambitionierten „Cabaret Voltaire“ ausgedacht haben. „Neues Leben“ sollte sich allerdings etwas gewagter und heutiger anhören.

Just im titelgebenden Etablissement trafen sich 1916 die ersten Dadaisten im vom Ersten Weltkrieg verschonten Zürich. Und um die zentralen Köpfe Hugo Ball, Chanteuse Emmy Hennings und den exzentrischen Tristan Tzara dreht sich denn auch ein herrlich absurder Plot. Da treffen das Revolutionärspaar Lenin und die eingangs erwähnte Krupskaja (Peter Pruchniewitz und Veronika Pfaffenzeller), die gleich vis-à-vis des „Voltaire“ gewohnt haben, auf die mondän-bourgeoise Bankiersfamilie Schneidegger samt kunstsinnigem Töchterlein im heiratsfähigen Alter (Andrea Lauren Brown mit Walküren-Wumm). Der Galan ist mit einem inkognito konterrevolutionär agierenden spanischen Grafen schnell zur Stelle, das reicht locker, um Irrungen und Wirrungen in Gang zu bringen. Zumal ein mit Regisseur Dominik Wilgenbus treffsicher bestallter Conferencier die Sache in Loriot-Manier kommentiert.

Treffsicherer Conferencier: Dominik Wilgenbus. Foto: Uwe Bendixen

Stenglin hat jedenfalls anregend mit Worten gespielt – wer mehr über Dada weiß, kapiert auch mehr –, während Stangel, der Spiritus rector dieser Unternehmung, eingängig Tonales mit ein paar Schrägheiten versah. Die tun nicht weh und machen Laune. Dauernd hat man das Gefühl, etwas Bekanntes aus der operettig-walzernd-jazzig-chansonmäßigen Partitur herauszuhören. Wobei Stangel dann auch noch den Hut vor Leonard Bernstein zieht, indem er dessen „I like to be in America“ aus der „West Side Story“ eben mal auf die bombensichere Schweiz ummünzt.

Der Schlussapplaus. Foto: Uwe Bendixen

Das funktioniert, die Sänger werfen sich mit Verve in die Dada-Maschinerie, vom staksig spröden Julian Freibott als Hugo Ball bis zum schmetternd schmachtenden Grafen Adam Sanchez. Cornelia von Seidleins geschmackvolle Collagen vermitteln dazu die jeweilige Lokalitäten, und man kommt gar nicht erst auf den Gedanken, die Kulisse zu vermissen. Stangels Taschenphilharmonie ist sowieso auf Reduktion getrimmt, für die Kongresshalle hätten es dann aber gerne zwei Dutzend Musiker, also das Doppelte sein dürfen. Wobei die Produktion eh nach der Brettlbühne ruft. Und damit sind wir auch wieder im echten Cabaret Voltaire.

 

Ein Interview mit Peter Stangel findet sich auf dem Kulturvollzug hier.

Veröffentlicht am: 20.09.2016

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