Die Nu-Metal-Pioniere von Helmet und Local H im Technikum

Schwerlast-Sound am Jazz-Luftballon

von Michael Wüst

Mit Zorn und Sarkasmus. Foto: Michael Wüst

Mit Helmet kam (am 3. März 2017) eine Pionier-Kult-Band der 90er Jahre ins Technikum, die großen Einfluss auf die kreativen Protagonisten des Nu Metal ausgeübt hat, sich aber stets den eigenen Stil bewahrte. Nach sechsjähriger Pause ist nun das neue Album "Dead To The World" erschienen und die Fans waren neugierig, was der ehemalige Jazzstudent Page Hamilton wohl mitbringen würde.

Pantera-, System-of-a-Down-Shirts und andere schwarze Unterbekleidung, die der echte Fan niemals wäscht, signalisierten wo's langgehen könnte. Was das Geschlechter-Verhältnis anging, sah es nach einem nahezu ausschließlich männlichen Todesvereinsabend der metallischen Art aus. Die Vorband des Abends bestätigte das, denn sehr energetisch ging's wirklich zu. Aber eben nicht kultig, nicht gemäß der Unterweltler-Klischees der Mittelerdezeit. Keine Sperrfeuer-Bassgarben plus Dauer-Anschiss-Gebrülle und Mähnen, die im Kreisen wie Ventilatoren den ersten Reihen Kühlung verschaffen mochten.

Natürlich war dies den Älteren klar, die die Hymnen der 90er Jahre von CDs wie "Meantime", "Betty" und "Aftertaste" noch unterm Helm hatten, dennoch zeigte dieses Konzert wieder einmal eindrücklich, wo sich innerhalb der populären Musik bis hin zu Ikonen wie Tool oder Deftones in Zeiten des neoliberalen Mainstream innovativ am meisten getan hat: Im Metal, Nu Metal, Jazz Core oder dem Wellness Death Jazz des Jan Zehrfeld von Panzerballett, ganz wie Sie wollen. Abartig, welche Energie vom Support Local H ausging. In der noch schütter gefüllten Halle ertönte erst etwas, was wie ein nicht einzufangendes Feedback klang, schien aber zum Programm zu gehören, da es einen Techniker auf der Bühne kalt ließ. Überhitzung im beherrschbaren Bereich eben.

Local H unnachgiebig. Foto: Michael Wüst

Der Nuclear Blast Alarm klang dann ab und Ryan Harding am Schlagzeug setzte ein. Er würde von diesem Moment an bis zum Schluss nach knapp einer Stunde ohne Luft zu holen den Set bearbeiten als wollte er ihn eine Hausnummer kleiner prügeln. Scott Lucas an der Gitarre trat hinzu, nachdem er seine Anwandlung, den Verstärkerturm zu verdreschen gerade noch gestoppt hatte und ein Geräusch schlug los, als wäre eine Maschine schreiend zu Leben erwacht. Kein Rage against the Machine, nein, wir drehen die Sache um: wir selbst sind die Maschinen, die sich gegen sich selbst richten. Eine Haltung, die an den Futurismus erinnert. In einer Welt, die nur noch in Simulationen erscheint - auch der der Gesellschaft - sind wir innerhalb der Simulation ihr Krebs. "Touch Me, I´m Sick" sang Mudhoney. Und dann: Ganz nebenbei erkennt man, dass es sich bei Local H um ein Duo handelt, der Bassist ist tatsächlich nicht vorhanden - obwohl man ihn deutlich hört. Das speziell präparierte Schlagzeug und eine in der E-Saite heruntergestimmte E-Gitarre spielen sich wechselseitig den Basspart zu, was das Spiel verändern muss, die klassische Arbeitsteilung auflöst und doch zu einem gnadenlos kompakten Ergebnis führt. Mittlerweile ist die Halle auch gut gefüllt.

Page Hamilton beginnt mit "Life or Death" von der neuen CD. Nein, er beginnt eigentlich nicht. Er sagt natürlich nicht Grüß Gott oder: Muuunich!!! Sondern stimmt etwas Bossa-Nova-mäßiges an, um dann völlig unvermittelt in einem Mittelteil von "Life or Death" zu landen. Schwerlast-Sound an einem kleinen roten Jazz-Luftballon aufgehängt? Crossover-Erwartungen entäuscht? Oh-oh-oh.  Die drei Haltestellen zur Glückseligkeit Strophe, Refrain, Bridge befinden sich in Auflösung, werden kopfüber oder zeitverkrümmt angefahren, die E-Gitarren von Page Hamilton und Dan Beeman brummen ineinander, verschmelzen wie zwei kopulierende Entladungen an einem faradayschen Käfig, in dem unerschrocken oder vielleicht sogar unbeeindruckt Dave Case am Bass sitzt und in Sicherheit Taktzeichen der Vergangenheit eingibt. Was sich so rund anfühlt wird an Außenrändern scharf von Noise-Trennscheiben angeschliffen. Zur Aggressivität ist viel Sarkasmus hinzugekommen und immer wieder der Spaß, Erwartungshaltungen gleich endlich paarungswilligen Teenies wegzuschicken, zu enttäuschen. "I love my Guru" rapt gegen Heilsbringer-Verblödung und der Beistand von Page Hamiltons "Oh-oh-oh" ist denkbar fragwürdig. Eher eine Kondolenz. Endet ja auch mit, Shut the fuck up. Shit hits the Fan. Durch alle Songs fährt diese Gitarre, auch giftig chromatisch, wie ein Laser durch's sterbende Fleisch und gewährt einen letzten Orgasmus. Gefährlich schön ist es, sich in dieser Welt, dieser Zone der Ununterscheidbarkeit von Life or Death aufzuhalten ohne abzustürzen zu müssen.

Veröffentlicht am: 06.03.2017

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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