Das achte Klangfest im Gasteig

In seiner Buntheit unübertroffen

von Michael Wüst

"Rizon". Foto: Michael Wüst

Das achte Klangfest im Gasteig hat heuer wieder mal Glück mit dem Wetter gehabt. Letztes Jahr hatten die Vorboten der kalten Sophie und des Hl. Bonifatius die Leute in Massen nach innen getrieben und bei Rekordzahlen von um die 13.000 Besuchern wurde es schon reichlich unübersichtlich und eng. Dank frequentierter Open-air-Freifläche und  vollbesetztem "Gast" kam es zu keinen Staus vor Black Box, Kleinen Konzertsaal und Carl-Orff-Saal. Wie schon letztes Jahr war der Heimatsound stark vertreten, hinzu trat diesmal richtig fetter Rock, Hard Rock und sogar Metal, der klassische Jazz war eher auf dem Rückzug in begrifflicher Diffusion, brillierte aber in kleinen Besetzungen mit neuen Wegen. Es gab Indie-Singer-Songwriter mit privaten Fragen, ebenso wie Münchner Altbekannte mit wundervollem Reggae und nicht zuletzt die Vertreter der anderen Heimat in der Ferne.

Stadtdirektor Anton Biebl hatte in Vertretung von Kulturreferent Hans-Georg Küppers mit Petra Deka und Daniel Dinkel vom VUT Süd, dem Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V., eröffnet und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die letztjährige Zuschauerzahl heuer wieder getoppt werden sollte, was bei den beiden Organisatoren ein leichtes Stirnrunzeln verursachte.

Ein Grund für den großen Erfolg der letzten Jahre mag das verstärkte Auftreten der Heimat-Labels sein. Über den Begriff Heimatsound ist viel geredet worden. Es ist ein unglückliches Wort, wenngleich damit sogar ein äußerst erfolgreiches Festival betitelt ist. Das deutschenglische Hybrid, das den Sound höher einstuft als die Musik, propagiert Weltoffenheit und boomt als Label-Wirtschafts-Kraftwort. Das Leid mit den Leitbegriffen. Und will man ausweichen, läuft man schon einer Begegnung in die Arme. Der interkulturellen, der transreligiösen oder eben mal wieder der weltoffen menschlichen.

Unterbiberger Hofmusik. Foto: Michael Wüst

Aber da gibt es auch Leute wie Irene und Franz Himpsl, die mit ihren Kindern die Unterbiberger Hofmusik gegründet haben und die sich mit Spruchblasen zurückhalten. Spätestens seit der wunderbaren CD "Stern über Unterbiberg" haben sie nicht nur die Welt der Leitbegriffe, sondern auch die der Leittonmusik stückweise verlassen, um die türkisch-osmanisch-arabische Musik kennenzulernen. Eine höchst gelungene Desintegration, die mit den beiden Bavaturka-CD's internationale Erfolge feiert.

Zu den besten Freunden der Unterbiberger gehört Stefan Straubinger mit seiner Gruppe  "Spui‘maNovas" - auch so ein wackelndes Wort. "Spui‘maNovas", weil's so schön ist, ist eine Art Kollektiv, dessen Keimzelle die Familie Straubinger mit Eva Straubinger (Dudelsack, Klarinette, Blockflöte), Fridolin Straubinger (Posaune, E-Gitarre), Dominik Straubinger (Geige, Schlagzeug) bildet, neben den in mehreren einschlägigen Kapellen Beschäftigten, Alex Haas und Georg Karger (beide Kontrabass), Titus Waldenfels (Gitarre) und Ludwig Himpsl jun. (Schlagzeug). Am Anfang, unter stechender Sonne, hat es die Band nicht leicht, die ersten Gäste aus dem schattigem Rückzug auf den Platz vor der Bühne zu holen. Dabei sind "Samba Polka" und "Waldjager Reggae" wirklich für echte, freche Überraschungen gut. "Samba Polka" beginnt mit einem Riff, der sich tatsächlich sehr nach "Like a Sexmachine" anhört. Im Break zum abreitenden Polka weben Stefan Straubinger, am Bandoneon und Georg Karger, am Kontrabass dann einen soliden Groove-Teppich. Mit dem nun abgehobenen Teppich als Crossovergefährt geht es weiter zum jamaikanischen Waldler mit Drehleier und Dudelsack, was im Zusammenspiel einen pikanten, scharfen Klang zwischen Fichtennadel und Chili ergibt. Und auch ein Drehleier-Solo ist drin, ganz im Stil eines E-Gitarren-Heroes! Frech-frisch-fromm und frei. Der Straubinger-Diabolo schmeißt einfach alles durcheinander und baut es aufregend wieder zusammen. Man ist frei von interkultureller Message, die Instrumente sprechen für sich selbst.

Als es über der Open-air-Bühne langsam etwas dunkler und die Luft etwas schwerer wird, kommen noch echte Kracher zum Zug. "Rizon" aus Zürich reißt mit neuer Besetzung und der neuen CD "Power Plant" die Hütte ab, wie es im Info heißt. Das gesetzte Publikum im "Gast" legt in der Tat die Ohren an und nestelt an der Oberbekleidung. Tatsächlich, das ist Melodic Metal der ganz klassischen Art und mit dem Röcheln von Matthias "Matt" Götz, den Backing Vocals von Rahel Fischer, den pathetischen Stadionklängen der Keyboards und der Galoppel-Galopp-Rhythmik der E-Gitarre kommt auch noch eine gute Portion Death-Würze dazu. Rahel Fischer schreit immer wieder: Müünchenn! War's den Münchnern ein bisschen zu heavy? Auf jeden Fall war's für die Technik wahrscheinlich ein kleinerer Belastungstest, der aber fehlerfrei bestanden wurde. Sagen wir's mal ganz metallisch hip: "Rizon" tritt härter als eine Kuh im Aufzug. Erst mal reichte das dann aber.

Es war einfach an der Zeit, die Ohren ein bisschen auszuschütteln, auf zum Carl-Orff-Saal. Rahel Fischer schreit immer noch: Müüünchennn!!! Den großen Konzertsaal beherrschten heuer ja ganz besondere Ladies. Bei "Andrea Pancur" und "Le Bang Bang" waren als musikalische Hausfreunde nur die Kontrabassisten Axel Haas und Sven Faller zugelassen, Muriel Anderson hatte nur Gitarre und Harfengitarre dabei und "Die drei Damen" sind ja seit geraumer Zeit sehr erfolgreich allein sich selbst genug. Andrea Pancur stellt vor: Alex Haas - Hasenbergl, der erwidert verschmitzt artig, Andrea Pancur - Ramersdorf. Sie singt von ihrer aktuellen CD "Zum Meer" den wehmütigen Titel "Schon so lang". Sieht die Welt im Traum als Pilzwolkenbaum, klagt die Herren dieser Welt an. Fein, unprätentiös, mit balkanisch ozeanischem Schmerz, voller Zärtlichkeit. Singt vom Strand, dem Begegnungsort von Tod und Urlaub.

Le Bang Bang. Stephanie Boltz, Sven Faller. Foto: Michael Wüst

Sven Faller, Mitbegründer von Trio ELF, ist auch ein wahrer Lover am Bass. Zusammen mit der Sängerin Stefanie Boltz hat er das Album "Pure" herausgebracht, auch auf Vinyl, mit dem wahrscheinlich Sexiest Cover of all Time. Beide erleben immer wieder, dass sie aufwachen und meinen, einen Song geschrieben zu haben, von dem sich schnell herausstellt, dass es ihn schon gibt. Im Traum war es ihr eigener Song. Diese Welt haben sie herüber gerettet, auf eine dem Traum verwandte Bühne. Sie bewegen sich tastend durch eine Welt geträumter Musik, eine Welt, in der es keine Urheber, sondern nur "An-Teilhaber" gibt, eine Welt, in der die Wolken der Musik für jeden schweben - und von jedem sind. "Here Comes the Sun", ist so ein Traum. Ganz umsonst und frei.

Muriel Anderson aus Downers Grove, Illinois, weltbekannte Gitarrenharfenistin, Blue Grass-, Rag Time- und Blues-Gitarristin, ist mit ihrer audio-visuellen Show "Wonderlust" unterwegs. Sie spielt "A Fine Pickle" zu einem Film, den sie bei ihren Großeltern gefunden hat. Found Footage heißt so etwas heute. Aus dem Prohibitionsjahr 1929 werden hier Szenen aus Kanada gezeigt, wohin ihre Großeltern ausgewandert waren, um der Prohibition auszuweichen. Das Schild "Tavern" in den verschiedenen Straßen ist das Leitmotiv. Aus diesen Taverns kommen immer wieder leicht angetrunkene Herren, fast korrekt gekleidet, die sich schwankend Zigaretten anzünden und selig in die Kamera winken, daneben Verkehrspolizisten, die sich darum nicht kümmern.

Muriel Anderson. Foto: Michael Wüst

Mit augenzwinkernder Leichtigkeit kommentiert Murial Anderson die Sequenzen mit dem Wechsel von Rag Time zu Blues. Wirkt wie eine Anspielung auf heutige politische Verhältnisse. Zu dem Thema hat auch Franz Josef Himpsl etwas zu sagen, als er seine Unterbiberger vorstellt. Heutzutage, wo es immer ein Irgendetwas First gäbe, würde er auch nicht sagen Unterbiberg first, sondern Ladies first, wie es sich gehört. "Bavarabica", eine Komposition von Irene Himpsl, zeigt, was das versammelte Blech der Familie mit Franz Himpsl jun. am Waldhorn und Matthias Götz an der Posaune an bestechender Intonation und polyphoner Sicherheit so drauf hat. Auch Bundespräsidenten gefällt so etwas. Als Ministerpräsident Seehofer Walter Steinmeier nach Bayern kürzlich einlud, wünschte der sich die Unterbiberger. Doch halt! Zwischendrin musste man ja noch in die Black Box! Man war ja zwischen all diesen wunderbaren Frauen auf einem west-östlichen Diwan fast weggeschlummert. Dort, in der Black Box, hieß es nämlich, würde Prognostic auflaufen, die Gewinnerband der Publikumsabstimmung über einen Klangfest-Startplatz im Kulturvollzug! Artur Silber, lange Jahre Mitorganisator des Theatron und den Münchnern, und weit darüber hinaus wohlbekannt durch seine Band Central Park, brachte ein weiteres musikalisches Genre erstmals auf das Klangfest: den Progressive Rock, der für uns Ältere mit Deep Purple seinen Anfang genommen hatte. Mit dem Opern- und Musicalsänger Charles B. Logan, dem Bassisten Arno Baum, der lange mit Roberta Kelly gespielt hat und Martin Stellmacher an den Keyboards, gab es selten zu hörende Werke des kunstvollen Rocks zu hören wie "Karn Evil 9" von Emerson Lake and Palmer und "Night after Night" von UK. Ein tolles Comeback für diese Urgesteine und für diese Musik. Überhaupt schien der Wettstreit zwischen Heimatsound und Rock in eine entscheidende Phase getreten zu sein.

"Fuck Yeah" in der Medienlounge im Gespräch mit Michael Grill. Foto: Michael Wüst

"Fuck Yeah" saßen da gerade bei Michael Grill im weißen Medien-Schweinsleder. Oh je: Man hatte also die Band um Rainer "Gussi" Germann (bass, background vocals) versäumt! Mit Marcus Naegele (guitar, vocals), Kevin Ippisch (guitar, background vocals) und Michael Metzger (drums, background vocals) ist den vier von Fuck Yeah nämlich anscheinend eine wundersam heimatlose Indie-Rock-CD mit dem Titel "Fuck Yeah" gelungen. F*** aber auch! Michael Sailer schrieb dazu:" Schön, dass vier Münchner Männer das tun: nach Herzenslust ihrer Liebe zum Krach und zur zerkrumpelten, verletzt-stolzen Rinnsteinmelodie, zum musikalischen Äquivalent eines Dieselmotors und zur weltvergessen-selbstverliebten Mülltonnenballade frönen und sich einen Dreck drum scheren, ob das "vermarktbar" oder "authentisch" ist." Ja, Recht hat er, es gibt diese Form von Authentizität, die man nur noch in Anführungszeichen in einen Text lassen kann!

Echten klassischen Jazz ohne Anführungszeichen und neu konstruierten Markenbegriffen gab es zwischendrin im kleinen Konzertsaal. "Distances" mit dem venezianischen Pianisten Ponchiroli, dem lettischen Saxofonisten Jan Grinbert, dem deutschen Bassisten Georg Kolb und dem bulgarischen Schlagzeuger Nevyan Lenkov überwindet in seiner Besetzung Grenzen, verwendet aber keine Heimatidiome seiner Musiker.

Ankündigung für "Da Boanad". Foto: Michael Wüst

Als wir noch grübeln, wo das Jazzland liegen könnte, dessen Bewohner oder Durchreisende uns da gerade entführten, weckt uns die donnernde Stimme von Luky Zappatta, der schon den Soundcheck auf der Open-air-Bühne zum Anlass nimmt, das Publikum einzupeitschen. Die Stimme, natürlich down-gepitched auf höllische Sonorität, steckt in einem Kunstprodukt, das auf roten Haferlschuhen steht, in einem grünen mit Revolutions-Lametta behangenem Gehrock steckt und eine Easy Rider-Brille trägt. Zu Beginn hält er auch ein Art Szepter vor sich oder Reichs-Insignie oder degenerierten Echopreis. Herkunftsland ist Deep Bayern, da wo sich Matthias Kneissl, der Ochsensepp und der Mühlhiasl und der Kardinal Döpfner die Hand geben. Seine Band heißt "Da Boanad", offensichtlich eine Neuschöpfung, der Knöcherne bedeutend. Knöchern an dem Sound ist nun aber gar nichts. "Wuidara", "Scheinheilig" und "Dampfmaschin" beackern das Erdigste an fetter Hard-Rock-Krume, das man sich vorstellen kann. Die Gitarrenabteilung mit Stephan Schneider und Gino Braun, der eher was Boandlkramerartiges ausstrahlt, liefert die allerbesten Strombretter, es geht wirklich ganz tief und steady in die Münchner Schotterebene. Von hinten heraus hellen die Backing Vocals zweier Maiden in Albtraumtracht, Angie Buchzyk und Nariman Zimpel die Fahrt in die Grube etwas auf. Ein herrliches, burleskes Panoptikum mit bairischem todsicherem Knallchargentum, das auch noch ganz fantastisch rockt.

Ein Klangfest, in seiner Buntheit unübertroffen, lässt uns gegen Ende noch Wally Warning mit seiner Tochter Amy hören, der in seinen wunderschönen Aruba- und Jamaica-Songs Mama Nature besingt. Was für ein liebevoller Ernst. Feeling Eira! Was in Aruba so viel heißt, wie gut drauf sein.

Veröffentlicht am: 06.06.2017

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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