Der Gedichtzyklus „Corso über dem Wind" von Willi Achten

Stark, wie Tennessee Williams starb

von Isabel Winklbauer

"Corso über dem Wind" von Willi Achten. Foto: Pendragon

Der rheinische Autor Willi Achten hat einen komplexen Gedichtzyklus erschaffen. Aus 56 Stücken in acht Kapiteln besteht der eigentlich gar nicht so dicke „Corso über dem Wind“. Lesen kann man den Band trotzdem gut acht Monate lang, denn jedes Gedicht eignet sich zum ausgiebigen Studium.

Unglaublich, was alles auf 85 Seiten passt. Alleine die ersten vier Geschichten aus Teil eins spannen „einen Bogen von Cilento über den Niederrhein und Österreich hin bis in die Tropen und Mexiko“, wie Achten selbst in der Pressemeldung des Pendragon-Verlags schreibt. Die Frauenmorde in der Grenzstadt Juarez spielen eine Rolle, und es gibt Bezüge zu Cormack McCarthy. Im weiteren Verlauf der poetischen Reise erscheinen mythologische Motive und historische Bezüge, das kollektive Gedächtnis der Deutschen, Identitätsfindung und das lyrische Ich sind Thema. Neben Leonard Cohen, Ovid und Cristoph Ransmayer …

Willi Achten studierte in Bonn und Köln. Er lebt in Aachen und in Vaals in den Niederlanden. Foto: Ludwig Koerfer

Das ist viel Stoff. Und zum Glück bleibt der normale Leser mit Achtens Buch gemütlich alleine, ohne den Lehrplan. Zunächst fällt auf: Ja, die Anspielungen sind reich, ebenso wie der geografische Horizont. An den Niederrhein, in seine Heimat, entführt der Autor, nach Italien, Mexiko, Südamerika und in den Garten der Großeltern. Hier ist es am schönsten, weil die Bilder aus den tiefsten Erinnerungen des Autors stammen und nicht so hektisch verzerrt eines das andere jagen wie in den Reisegedichten. „Dies ist der Abend“ ist ein wunderbar ruhiges Stück, mit einem roten Gartenstuhl und einer Teetasse im Gras. Die Bienen summen, der Kater schläft, nachts durchtränkt Nieselregen das Fell der Kühe. Diese vier einfachen aber reichen, dreiversigen Strophen lassen jene Gedichte, in denen Prominenz auftaucht, anstrengend und übertrieben erscheinen. "Hier am See" ist so ein Beispiel. Da geht es um den US-Schriftsteller Jack Kerouac, dessen Biografie nicht unbedingt jeder Europäer kennt, freilich gerne kennen sollte und jetzt studieren darf, bis die elf Strophen in den Kopf schießen. Oder „Suriname“, in dem es um eine Reise nach Südamerika geht, und in dem die Zeile „Captain, mein Captain“ auftaucht. Die Wendung stammt aus einem Gedicht des US-Dichters Walt Whitman, das dieser Abraham Lincoln widmete, genau gesagt in Sachen „Bürgerkrieg gewonnen aber Leben geopfert“. Wie passt das zu Achtens Reise nach Suriname? Die Hausaufgabenzeit beginnt…

Anstrengend ist auch Achtens Manie, auf Satzzeichen zu verzichten und so sich überschneidende ellipsenähnliche Gebilde zu erschaffen. „Der Blick flog die letzten Meter hatte der Junge die Karte auf den Knien fand er den Weg nach Pompeji (…)“. Das ist ein starkes Mittel, um Bilder im Kopf zu erschaffen und funktioniert an vielen Stellen prächtig. An anderen hemmt es aber die Neigung, in den Text einzutauchen. Man weiß eben nie genau, was Sache ist, ob man sich eigentlich das Richtige vorstellt, und ein bisschen Sicherheit braucht der Mensch dann doch.

Insgesamt sind die Formen, die Willi Achten wählt, sehr angenehm zu lesen. Er bleibt bei der dreizeiligen oder vierzeiligen Strophe, die er manchmal zur losen französisch-italienischen, mal zur losen englischen und oft verkürzten Sonettform anordnet, oder auch zur einfachen Liedform. Etwas spannender wird es formal – und bemerkenswerterweise auch inhaltlich – erst in der zweiten Hälfte des Bands. Hier tauchen kürzere Formen auf, in denen nicht viel Platz für Chichi ist, und schon wird das Wort mächtiger. „Fliehkraft“ beschreibt ein fröhlich wirbelndes Wesen, Vogel oder Frau, in wenigen zweihebigen Jamben. Ein Reißer! „Tennessee Williams starb“ wiederum besteht nur aus einem Satz, einem ordentlichen Satz mit klaren Bezügen, und fasst die Tragödie des skurrilen Dichtertods live und in Stereo zusammen.

Es wäre spannend, Willi Achtens Gedichte einmal musikalisch zu vertonen. So müsste ein Sänger die Wahl treffen, wo ein Satz endet und der nächste beginnt, was betont werden muss und somit, was in dem Wirrwarr dieses reichen Textkorpus eigentlich geschieht. Achtens Stärken würden sich dabei schnell herauskristallisieren: starke Bilder, eine exzellente Erinnerung, Schnelligkeit und allumfassendes Denken. Alles Dinge, die ohne prominente Zitate auskommen.

Willi Achten: Corso über dem Wind. Pendragon Verlag, 15 Euro

Veröffentlicht am: 23.12.2018

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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