"Giselle"-Debüt am Staatsballett

Tanzt den Eheverräter in den Tod!

von Isabel Winklbauer

Von vier neuen Giselles feierte nun die zweite ihr Debut in der Rolle, die jede Ballerina einmal tanzen will: Jeannette Kakareka überzeugte die Zuschauer mit einer klassischen, lyrischen Interpretation. Dabei zeigte auch sie, wie schon vor ihr Prisca Zeisel, eine seelisch starke Giselle. An ihrer Seite tanzte ihr Partner Jinhao Zhang als sprungstarker, quicklebendiger Albrecht.

Arabesken bis zum Himmel: Jeannette Kakareka. Foto: Serghei Gherciu

Kakareka ist wie geschaffen für die Rolle der Giselle mit ihren langen zarten Gliedern, ihrer hellen Haut und dem verträumten Gesicht. Und so scheint es auch mit der Musik zu sein – die Partitur von Adolphe Adam ist ihr wie auf den Leib geschrieben, sie findet sich darin blind zurecht, als hätte sie dazu schon in ihren letzten drei Leben getanzt, obwohl sie ein anderer Typ ist als die Ur-Giselle Carlotta Grisi. Als willensstarkes Winzermädchen, das genau weiß, was es will, und das von seiner Herzerkrankung mitten im Teenageralter entschieden genervt, aber keinesfalls behindert ist, hat sie die Magie der Bühne auf ihrer Seite. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Jinhao Zhang einen so wunderbaren Gegensatz zu ihr bildet. Er gestaltet Albrecht, der Giselle in Bauernverkleidung erobert, als unverbesserlichen Hallodri, einen der mit allen Mitteln die Mädels „klärt“, um dann zu merken, dass er diesmal ganz bösen Mist gebaut hat und aus vollem Herzen Besserung gelobt.

Ein Festabend war die Vorstellung für das Publikum auch, weil das Titelpaar die nötige überragende Technik besitzt, um dieses Stück zu meistern. Die Kulissen und Kostüme wirken inzwischen mehr als verstaubt, spielen aber schon nach fünf Minuten kaum mehr eine Rolle, denn hier wird ja bekanntlich ordentlich getanzt, unter anderem einige der schwierigsten Passagen der Ballettgeschichte. Kakareka macht aus der schnellen Variation im zweiten Akt allerdings gar kein großes Gewese, die kleinen Jetés, Changements und Sprünge sind für sie ein Sonntagsspaziergang. Stattdessen konzentriert sie sich auf die langen Écartés und Arabesk-Promenaden, die es genauso in sich haben. Auf Myrthas Befehle reagiert ihre Giselle zirkelgenau und lässt doch einen gewissen Widerstand erkennen, eine Kunst. Jinhao Zhang wiederum kostet seine Sprungvariationen voll und fehlerlos aus, hier spielt er den Aristokraten, der gelernt hat, auf den Putz zu hauen. Später spricht sein leidendes Gesicht während einer von den Wilis erzwungenen, nicht enden wollenden Serie von Entrechats Bände. Das ganze Trauma der Männer um das Tanzen kommt hier zum Ausdruck. Aber Myrtha, dargestellt von Sofia Ivanova-Skoblikova, hat für Albrecht nur einen abgewandten Kopf und die abwehrende Hand. Komm mir bloß nicht mit Gejammer, sagen ihr Gesicht und ihre Haltung, dir war Giselle doch auch egal an ihrem Hochzeitstag. Sie gibt eine leicht cholerische, selbstherrliche Königin der Wilis, deren Geschichte man lieber nicht hört, da ihr Zorn- und ihr Energielevel sicher ausreichen, um in einer Nacht gleich fünf Eheverräter in den Tod zu tanzen.

Giselle feiert ihre verhängnisvolle Verlobung. Foto: Serghei Gherciu

Kakareka und Zhang kamen beim Publikum ausgesprochen gut an. Da wunderte es, dass es nur vier Vorhänge gab, vermutlich traute man sich noch nicht, von der angelernten Corona-Bescheidenheit Abschied zu nehmen. Es gab sowieso viel zu wenige „Giselles“ in dieser Saison. Bleibt zu hoffen, dass alle Debütantinnen und Aspirantinnen ab Herbst unter einer neuen Ballettdirektion ausreichend Gelegenheit bekommen, die Rolle voll auszukosten, unter Normalbedingungen und mit so vielen Vorhängen wie früher. Das Bayerische Staatsballett ist schließlich klassisch endlich wieder exzellent aufgestellt – und bleibt es hoffentlich auch zukünftig.

Veröffentlicht am: 18.04.2022

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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