Ausstellung "True Porcelain" an der Pfeuferstraße 38

Die Neuerfindung alter Traditionen

von Michael Weiser

Lippenstift, Papp-Relief und ein Auto, das nicht von Pappe ist: Blick ins Pfeufer 38, mit Arbeiten von Ma Jun und Martin Spengler.

München hat der Kultur große Tempel errichtet. Doch gibt es noch immer aufregende kleine Nischen. Eine solche findet sich an der Pfeuferstraße 38. Wer sich China und seiner Tradition gerade nicht nur unter geopolitischen Gesichtspunkten, sondern mit den Mitteln der Kunst befassen will, ist dort gerade richtig.

Es hat, da unterscheidet sich München nicht von Metropolen fast überall, in den vergangenen Jahrzehnten ein rasanter und tiefgreifender Wandel im Stadtbild stattgefunden. Es weicht das Alte, es wuchert das Neue, es schwindet der regionale Unterschied, verdrängt von einer Art Globaldesign: Wohnboxen als Objekte für Investoren. Ganze Stadtviertel zugepflastert in serieller Fertigung. Am Nockherberg sieht man diesen Prozess gerade kurz nach der Rohbauphase.

Man freut sich um so mehr, wenn man in Boomtown München einen Platz, der nicht nur alt belassen, sondern in seiner ganz eigenen Prägung saniert und aufgefrischt wurde. An der Pfeuferstraße 38 findet sich ein Ort, ein Hinterhof, eingefasst von organisch-unregelmäßigen Gebäuden: Schuppen und Zweckbauten, deren Funktion ein einfaches und doch bestechendes Ensemble hervorbringt. Kurz: Dieser umbaute Hinterhof ist ein Platz für Künstler, Handwerker und mehr und mehr auch für Ausstellungen. Aktuell eine, die zu diesem Thema passt: Altes und Neues, Verlust von Traditionen, Neuerfindung von Traditionen – der Widerspruch in sich.

"True Porcelain“ heißt sie, in ihrem Mittelpunkt stehen zwölf Arbeiten des chinesischen Bildhauers Ma Jun. „True Porcelain“, so erfährt man aus dem Flyer zur Ausstellung, war in der frühen Neuzeit, als man sich im Westen erstmals für den exotischen und sehr fernen Osten interessierte, die Bezeichnung der Europäer für das echte, das oft kopierte und zunächst nie erreichte echte chinesische Porzellan. Ma Juns Kommentar ist ironisch zu verstehen. Er kopiert – überwiegend in echtem Porzellan – westliche Luxusgüter, objets de désire, überschrieben mit traditionell anmutenden, gemalten Szenen vom kaiserlichen chinesischen Hof.

Ein Lippenstift, Radios, Fernseher, Bücher – Ma Jun adaptiert und verfremdet es, auf gut chinesische Art, möchte man meinen. Allein, die Zeit, da China der eifrige Schüler und die verlängerte Werkbank des Westens war, ist ja schon längst Geschichte. China macht etwas eigenes aus den Vorbildern, allerdings auf der Grundlage einer Tradition, die es so bruchlos überliefert eben nicht gibt. Alexandra Grimmer, die die Ausstellung als Schaustück der Wiener Sammlung „Blue Mountain Contemporary Art“ nach München gebracht hat, erklärt, dass eine chinesische Dynastie das Erbe der vorangehenden so weit wie möglich auslöschte und überschrieb.

Ma Jun lädt ein – zum Überlegen darüber, wie das mit der Authentizität gemeint war. Und wie der vielstrapazierte Begriff in den Dienst einer Industrie gestellt wird. Tradition ist eben auch nur eine Verpackung, sogar im an sich so eigenen China. Und was ist mit der westlichen Vorstellung von Kunst? Indem er Projekte des alltäglichen Luxuslebens verfremdet und aufwertet, blickt er aus chinesischer Perspektive auf den Begriff der Art trouvé, die vor etwas mehr als hundert Jahren in Europa den Kunstbegriff auf den Kopf stellte.

Ma Juns Kommentar zum globalen Markt der Marken ist von beeindruckender Präsenz, zumal in den leicht verwinkelten Räumen der einstigen Spengler-Werkstatt im Hinterhof an der Pfeufer 38. Vorn, wie in einer Garage geparkt, ein extrem protziger, förmlich kraftstrotzender Porzellan-Buick (der in Wirklichkeit allerdings aus Kunststoff besteht), weiter hinten finden sich die anderen, kleineren Objekte, sie aus echtem Porzellan. Der edle gebrannte Stoff hat die Eigenschaft, sich im Ofen noch zu verformen, kleine Risse und Sprünge können die Folge sein. Und so hat an der Pfeufer 38 auch ein aus massenhafter Produktion bekannte Parfüm-Flacon aus Ma Juns Hand eine individuelle Prägung.

Chinesische Kunst in der Whitebox

Flankiert wird die Ausstellung mit Ausstellungen dreier Münchner Künstler: Hubertus Hamm, Felix Rehfeld und Martin Spengler. Eine "Begegnung", die man als Einladung verstehen dürfe, sagt Alexandra Grimmer zu dieser Münchner Konferenz. Beeindruckende Arbeiten, vor allem die in Wellpappe geschnitzten Axa-Hochhäuser von Martin Spengler, gewiss. Ein Dialog entwickelt sich aus dieser Zusammenkunft jedoch noch in dem Garagenraum des Riesen-Buick: In Hubertus Hamm plastisch-verzerrtem Werk spiegelt sich der Riesenkarren und verformt sich: je nach Standpunkt ein neues Bild, eine neue Möglichkeit des so statisch scheinenden Werks.

"True Porcelain" ist noch bis 13. September 2022 zu sehen. Die nächste Ausstellung, die Alexandra Grimmer präsentiert, ist in der whiteBOX zu sehen. Unter dem Titel "Journeys back to Europe" zeigt sie Malerei von Huang Min, der zweiten Künstlerin aus der BMCA-Collection. "Journeys back to Europe" wurde in der whiteBOX  am Sonntag, 4. September, eröffnet. "Journeys back to Europe" endet am 11. September 2022. Die Fotos in diesem Artikel sind von Ralf Dombrowski.

 

Veröffentlicht am: 06.09.2022

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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