Zu Albert Ostermaiers jüngstem Roman: Beim Benedikt, das ist Sprachgewalt!

von Florian Haamann

Der Roman „Schwarze Sonne scheine“ erzählt die verstörende Geschichte eines jungen Schriftstellers im Spannungsfeld zwischen Familie, Kirche, Vertrauen, Missbrauch und Verrat. Albert Ostermaiers zweiter Roman überzeugt durch seine Sprachgewalt.

Sebastian will Bücher schreiben, ein großer Schriftsteller werden. Seine Eltern wollen, dass er Jura studiert, aufhört zu träumen.

Unterstützt wird er von seinem Lehrer und Mentor, dem Benediktinerabt Silvester. In ihm sieht der Klosterschüler Sebastian den einzigen Freund, verfällt ihm zusehends; ihm und dem Glauben. Blind vertraut er Silvester, als dieser ihn zu einer Ärztin schickt. Irgendwas stimme nicht mit ihm, er solle das überprüfen lassen. Die Diagnose: In einem halben Jahr muss Sebastian sterben. Es sei denn, er begleitet die mysteriöse Ärztin nach Atlanta, dort könne sie ihn mit einer neuartigen Methode retten.

Sebastian will ihr eigentlich nicht trauen, er fühlt sich doch gesund; aber er zweifelt nicht, denn Silvester, der heilige Silvester, vertraut dieser Frau, denn sie habe auch ihm das Leben gerettet. Wie könnte es sich Sebastian erlauben, Fragen zu stellen, wo Vertrauen verlangt wird? Seine Eltern, schon immer mit dem Kloster verbunden, helfen nicht, nehmen hin, wirken wie paralysiert.

Nur Klara, Sebastians neue Freundin, zweifelt. Rät ihm zu einer zweiten Untersuchung. Klara, die Protestantin, die Heidin, ohne Gefühl für Glauben, ohne Verbindung zu Gott. Sie ist durch und durch rational. Doch Silvester bedrängt ihn: „Was zögerst du? Ist es wegen deiner Freundin? Ich fürchte, sie ist eifersüchtig auf unsere Freundschaft, das geht mir schon seit längerem durch den Kopf. Sie hat Angst, dich aus ihren Händen zurück in meine zu geben.“

Und trotzdem bringt ihn die Freundin zur Vernunft, er gibt nach, begibt sich zu einem zweiten Arzt. Der stellt fest, dass die erste Diagnose unbrauchbar war: keine Krankheit, kein Tod. Eine gute Nachricht, denn er wird leben – eine schlechte Nachricht! Hatte sich Sebastian doch in sein Schicksal gefügt, geradezu gehofft jung zu sterben, als unvollendeter Dichter, als Genie, als neuer Rimbaud, neuer Lermontow.

Stattdessen katapultiert ihn der Arzt zurück in eine hässliche Realität. Es tauchen Fragen auf, Fragen die Sebastian nicht stellen will, weil sie ihn verletzten müssten. Doch sie sind unausweichlich. Denn die Ärztin entpuppt sich als Scharlatanin, die ihn missbrauchen wollte. Aber was wusste Silvester? Warum hat er Sebastian nicht beschützt? War er eingeweiht? Hat er ihn verraten? War er vielleicht auch nur ein Opfer?

Diese Fragen beantwortet Ostermaier nicht. Der Leser wird im Dunkeln gelassen, darf spekulieren, verzweifeln.

Wie ein Achill, der versucht seine Kräfte zu bändigen. Autor Albert Ostermaier Foto: Susanne Schleyer / Suhrkamp Verlag

Mit seinem zweiten Roman „Schwarze Sonne scheine“ setzt Albert Ostermaier seine Leser in den Kopf des jungen Sebastian, verpackt dessen Gedanken, seine Geschichte in einen Gedankenstrom, hält ihn und die Leser gefangen zwischen Traum und Realität.

Ein Erlebnis, eine Freude für die Sinne, in diesen Strom einzutauchen, denn Ostermaier traut sich, die Alltagssprache zu verlassen, kein banales Buch zu schreiben, sondern lyrische Prosa. Eine Wohltat; ist es doch genau das, was idie Gegenwartsliteratur oft schmerzlich vermissen lässt. Die Sprache der Literatur verflacht und damit auch die Emotionen, die sie auslöst.

Und wo sonst, als im Kopf eines jungen Dichters, eines Mannes, der für sich in Anspruch nimmt, ein ganz großer werden zu können, sollte sich ein Autor austoben dürfen, beweisen dürfen, wie er mit seiner Sprache umgehen kann.

Manchmal trägt er zwar ein wenig zu dick auf, wirkt pathetisch, kitschig, verheddert sich in seinen Gedanken. Aber man spürt: bei Sebastian ist eine Virtuose am Werk. Einer, der versucht sich zu finden, ein Achill, der versucht zu lernen, seine Kräfte zu bändigen. Bemerkenswert sind seine langen Assoziationsketten. „Der Museumskäfer, der seine Larven legt und die Insektensammlung frisst, der Räuber, die Käfer fressen die Löwen, die Haare fallen ihnen aus, das Porzellan zerbricht, überall Käfer, Schmetterlingsflügenfetzen zwischen den Zähnen, Antilopenfelle voller Käfer, fliegende Käfer, Käferpanzer, zertretene Käfer, kopulierende Käfer, Käferarmeen, der Bodenkrieg.“

Nicht nur die Sprache kann den Leser an „Schwarze Sonne scheine“ fesseln, es ist auch dieser Gattungshybrid aus Glaubenskrimi, Heimatroman und Selbstfindungstrip, gepaart mit dem Gefühl, dass viel Autobiographisches in der Geschichte steckt. So ist leicht zu erkennen, dass Silvester im wahren Leben Notker Wolf heißt, Abtprimas des Benediktinerordens ist und früher Albert Ostermaiers Lehrer im Klostergymnasium St. Ottilien war.

Die Größe dieses Romans liegt allerdings nicht in den autobiographischen Bekenntnissen, auch wenn die Frage spannend ist, was Wahrheit, was Fiktion ist. Vielmehr muss man „Schwarze Sonne scheine“ deshalb lesen, weil es eine feinfühlige Studie über menschliche Beziehungen und Abhängigkeiten ist, und  weil der Autor es dabei nachvollziehbar macht, unter welchem Druck Jugendliche leiden, wenn die eigenen Vorstellungen vom Leben von denen der Familie abweichen. Und natürlich deshalb, weil all das mit einer Sprache beschrieben wird, die machtvoll demonstriert, was gute Literatur ist.

 

"Schwarze Sonne scheine" von Albert Ostermaier ist bei Suhrkamp erschienen und kostet 22,90€.

Veröffentlicht am: 09.02.2012

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