Milo Rau über sein Gastspiel bei "Radikal Jung":

"Hate Radio" - eine Massenmörderin mit Mikrophon

von Michael Weiser

Mörder im Studio: "Hate Radio". Foto: Daniel Seiffert

Pop, Comedy, frisierte Nachrichten - und eine Hetzkampagne, die in Massenmord mündete: Der Radiosender RTLM spielte 1994 beim hunderttausendfachen Völkermord von Ruanda eine bis heute unbegreifliche Rolle. Der Schweizer Regisseur und Autor Milo Rau hat mit seinem "International Institute of Political Murder" die Geschichte des "Hate Radio" in ein Doku-Drama gefasst. Am 23. und am 24. April ist "Hate Radio" beim Festival "Radikal Jung" in München zu sehen. Der Kulturvollzug sprach mit Milo Rau. "Tötet diese Kakerlaken nicht mit einer Kugel. Hackt sie in Stücke." Was erlebt man als Regisseur, wenn die Schauspieler auf der Bühne so etwas sagen? Gruselt es einen da ab und zu?

Ja, klar. Ich habe natürlich als Autor diese Sätze ausgewählt. Ich habe das Material zusammengetragen, das Stück konstruiert. Und wenn ich zu inszenieren beginne, dann habe ich schon ein Jahr der Auseinandersetzung damit hinter mir. Wenn man es dann auf der Bühne sieht, bei den Proben, dann ist das aber schon noch mal etwas anderes, weil es keine richtige Art gibt, das Reale zu spielen. Da muss man dann die richtige Temperatur finden.

Für die Recherche haben Sie auch mit Valérie Bemirike gesprochen, jener Moderatorin des Hate Radio, die wegen Völkermordes im Gefängnis sitzt. Hat die Frau Reue gezeigt?

Ich habe sie mehrmals getroffen, wir haben lange gesprochen. Auf gewisse Weise war sie mir menschlich sympathisch. Natürlich war das, was sie getan hat, objektiv wie auch subjektiv, für sie persönlich, unverzeihlich. Das weiß sie, und deswegen hat sie sich für eine Art Haltung entschieden: Ich habe das getan, aber jetzt bin ich ein anderer. Ich hab mich entschuldigt, und mehr kann ich nicht tun. Wenn man dann länger mit ihr spricht, entdeckt man, dass diese rassistischen Überzeugungen, die sie zu dem getrieben hat, tief in ihr verwurzelt sind. Ich würde sagen, sie zeigt Reue, aber ich habe nicht das Gefühl, das sie emotional darunter leidet. Das kann man vielleicht auch gar nicht verlangen.

Was kann man denn von solchen Leuten erwarten?

Schwierig zu sagen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die direkt oder indirekt getötet haben, und da waren viele Leute darunter, denen hätte man das nie zugetraut. Ich hätte ihnen das nie angesehen. Ich habe dabei die Erfahrung gemacht, dass die Leute in dem Moment, da sie zu Mördern werden, der Tat mit der gleichen Fassungslosigkeit gegenüber stehen wie auf der anderen Seite die Überlebenden. Es ist ein traumatisches Ereignis, in das sowohl Täter als auch Opfer verwickelt sind. Was man von ihnen verlangen kann, oder besser von der Gesellschaft, ist, dass sich, simpel gesagt, so etwas nicht ereignen kann.

Die Moderatorin hat gesagt: "Ich habe nicht getötet, ich habe das Mikrofon benutzt."

Genau, das hat sie mir im Interview gesagt.

Das hört sich an wie eine Entschuldigung von Adolf Eichmann...

Milo Rau. Foto: Daniel Seiffert

Interessant ist, dass sie explizit mehrmals den Nachsatz gesprochen hat: "Tötet sie!" Ich habe ihr die Stellen vorgespielt, und sie sagte, das seien Montagen, das habe sie nicht gesagt, das sei zusammenmontiert worden, um ihr zu schaden. Eichmann war auch nicht selbst in den KZs, aber man kann das nicht vergleichen. Sie war viel direkter beteiligt, mit ihrer Stimme. Das ist ihre Problematik, sie muss das verleugnen. Sie denkt auch mehr oder weniger strategisch, wie das die meisten Täter tun: Ich gebe zwar zu, dass die Ideologie falsch war - und das ist vergleichbar mit den deutschen Tätern - aber ich gebe nicht zu, dass ich mehr war als ein Befehlsempfänger. Die Theorie, die wir auch andeuten, dass das Militär das Radio überwacht hat und zensierte Meldungen weitergegeben hat, liegt auf der Hand,  aber das löst niemanden von seiner Schuld.

Das hört sich an, als wäre Hate Radio auch ein Stück über die Verdrängungsmechanismen...

Verdrängung ist ein Lebensprinzip des Menschen. Nicht nur traumatische Erinnerungen, ja. Aber es gibt Erinnerungen, die sind nicht verdrängbar. Ich habe das an meinen Schauspielern erlebt, die sehr stark unter diesem Stück gelitten haben, die damit gekämpft und sich als Künstler dafür entschieden haben, das zu tun, obwohl ihnen das sehr nahe geht.

Zu Ihren Schauspielern gehören Überlebende und Angehörige von Opfern. 18 Jahre danach - gibt es so etwas wie Vergeben?

Verzeihen und vergeben ist unmöglich. Wegen dieser Grausamkeit, und wegen dieser Nähe von Nachbarn und Freunden, die zu Mördern geworden sind. Die Abstraktion, es handele sich um zwei Volksgruppen, existiert in den Köpfen von Rassisten. Das waren Menschen, die zusammen gelebt haben, Verwandte, Familien, Freunde, das ist in Dorfgemeinschaften passiert, in Uniklassen, da haben die einen die anderen umgebracht - das ist nicht verzeihbar.

Ein Europäer zumindest könnte Hutu und Tutsi nicht auseinanderhalten. Wie haben die Mörder selbst die Unterschiede begründet?

An Unterschieden, die ihre Existenz der Kraft des Imaginären verdanken. Diese Geschichte ist uralt. Ja, es gab da diese Geschichten von Unterschieden, von verschiedenen Schichten in der Gesellschaft, aber die haben lange Zeit keine Rolle gespielt. Solche Unterschiede werden konstruiert von einem Machtapparat, etwa von den Nazis oder von den Hutu, die dabei waren, ihre Macht zu verlieren. Und dieser Machtapparat beginnt dann auf dieser Klaviatur zu spielen, um die wahren Differenzen durch imaginäre zu verdecken. Es gibt da diesen Aufsatz von Sartre, die Kreation eines Juden durch den Rassisten. Diese Dinge werden real in dem Augenblick, da sie wirksam werden. Es geschieht einem, dass man eine Zugehörigkeit feststellt, der man sich vorher nicht bewusst war. Man geht ins Ausland und fühlt sich auf einmal als Europäer, und ist als solcher erkennbar, obwohl man meinetwegen in Argentinien gar nicht so anders aussieht. Doch man ist komischerweise erkennbar für andere Menschen, und das bezeichnet einem, was man ist. In einer Region, in der es seit 1959 pausenlos ethnisch inspirierte Massaker gegeben hat, bekam das auf einmal eine ungeheure Bedeutung, obwohl man auf der Straße nicht sagen kann, das ist ein Hutu oder das ist ein Tutsi. Das war ursprünglich eine Frage, welcher Schicht man angehört, und durch gewisse Importe von Rassentheorien aus Europa hat das dann sein rassistisches Gesicht erhalten.

Gibt es Anzeichen, dass die Gesellschaft in Ruanda wieder zusammenwächst?

Es gibt zwei naive Ansichten. Die eine ist, dass diese erfundenen Dinge nicht real sind, und das stimmt nicht, denn der ethnische Gegensatz prägte die ruandische Geschichte, egal, ob erfunden oder nicht. Die zweite Ansicht ist, dass diese rassischen Gegensätze nicht veränderbar sind. Im Augenblick aber gibt es einen Trend, es gibt immer mehr Ehen zwischen Hutu und Tutsi, die Regierungsämter werden immer stärker durchgemischt. Eine Lösung gibt es meiner Meinung nach aber erst dann, wenn alle gestorben sind, die dabei waren. Andererseits: Einer meiner Schauspieler hat ein Kind, das jetzt in dem Alter ist, da es erfahren sollte, was mit seiner Familie geschehen ist. Der hat Angst, er weiß nicht, wie er es dem Kind erklären soll, ohne dass es sein ganzes weiteres Leben beeinflußt und es belastet.

Noch immer können die Beteiligten nicht miteinander reden. Sprachlosigkeit durch Schuld. Kann da das Theater eine Lücke füllen?

Ich denke, dass das Theater die Dinge realisiert. Was nicht dargestellt wird, ist nicht vorstellbar. Man denkt, dieser Genozid sei eine Sache der Vergangenheit, 18 Jahre her. Aber wenn man sich dieses Stück ansieht, durch seine Aktualisierung, durch seine Besetzung, aber auch in der Art und Weise, wie wir das Studio rekonstruiert haben, dann merkt man, dass Vergangenheit imaginär ist. Das Vergangene ist nicht vergangen. Das kann Theater: Man kann zugleich präsent sein und über etwas sprechen, das vergangen ist. Da kann Theater mehr als ein Buch. Theater ist fast das zwingende Medium für solche Projekte.

"Hate Radio" ist bei "Radikal Jung" am 23. und am 24. April jeweils um 18 und 21 Uhr zu sehen.

 

Veröffentlicht am: 20.04.2012

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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