Manfred Kröll präsentiert "Wilde Tendenzen" im i-camp
Mal mehr Hirn. Und mal weniger.
Manchmal beneidet man als Kritiker die Zuschauer, die in der Pause flüchten können. So ein Theaterabend ist die dritte Ausgabe der Plattform „Wilde Tendenzen“, die der Münchner Choreograf Manfred Kröll alle zwei Jahre veranstaltet. Vier halbstündige Gastspiele zum Thema „The future is now - talk about your revolution“ hat Kröll geholt, und nach dem dritten regt sich der Fluchtinstinkt heftig. Aber der vierte Beitrag belohnt das Ausharren mit dem wundersam frischen Live-Kino „ZOOMWOOZ“ aus Barcelona.
Dabei eröffnet die Kanadierin Jasmine Ellis, derzeit Gast der Münchner Tanztendenz, mit ihrer Choreografie „Together“ den Abend ganz respektabel. Ein junges Paar zwischen Sehnsucht nach Harmonie und dem Drang nach Protest, der sie in Streit verstrickt - das hat tänzerische Qualität und Spannung. Nur aufs modisch Morbide schielen dagegen Jennifer Bopp und Julieta Figueroa aus Berlin: Ihr erotisches Tanz-Duett „TOD(DOT)COM“, als Club-Act konzipiert, kokettiert mit dem Tod und rutscht schnell in düster-schwülstigen Disco-Kitsch. Und wenn beide als blutbesudelte Zombies ins Publikum wanken, stinkt der Tod nach Ketchup.
Die Performance „my sisters collected fantasies“, die der Deutsche Lucas Hillen in Amsterdam inszenierte, preist der Pressetext so an: Es „werden verschiedene, scheinbar wahllos aneinandergereihte Szenen gezeigt, was eine Referenz zur Unüberschaubarkeit des Tumults und der unvorhersehbaren Entwicklung unserer Kulturen und Gesellschaften aufweist“. Ach ja. Bleibt nur noch zu sagen, dass Hillens Machwerk auch eine Referenz zu völliger Hirnlosigkeit aufweist.
Sehr viel Hirn, Esprit und große Liebe zum Detail packen hingegen die Videokünstlerin Karla Kracht und der Spanier Andrés Beladiez in ihre Live-Cinema-Performance „ZOOMWOOZ“, die als einziger Beitrag dem Thema Zukunft und individuelle Revolution gerecht wird. Zahllose senkrecht aufgestellte kleine Kartonrollen formen eine Großstadtsilhouette. Sie und viele winzige bemalte Papierfiguren zoomt eine Handkamera live auf die Leinwand. Dort dominieren Cartoons einer Slum-City, primitiv-surrealistisch gezeichnet, mit dunklem Witz. Den ironischen Kontrast bilden kindlich-heitere Comic-Figuren. Und immer wieder tauchen Demo-Protestschilder auf. Ein poetischer Text liefert den philosophischen Rahmen. Vergleichbares hat man früher bei SpielArt-Festivals gesehen. Dafür lohnte es sich, den Fluchtinstinkt zu unterdrücken.
i-camp, Entenbachstraße 37