"Show and Tell" im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne

Tu' es mit einem Architekten - und du wirst Bauklötze staunen

von Anne Mazuga

Metastadt-Bausystem, Richard Johann Dietrich. Foto: Architekturmuseum der Technischen Universität München

Für die Ausstellung "Show and Tell" mit dem Untertitel „Architekturgeschichte(n) aus der Sammlung“ ist dieser Auftakt doppelt geglückt: Was es mit diesen Objekten auf sich hat, liegt sogleich auf der Hand, doch macht man sich erst beim Verlassen der Ausstellung einen Begriff von den Geschichten, die in den Modellen verborgen sind. Es sind Geschichten von Einfällen, Irrtümern und Zufällen, von Zorn oder Gleichmut gegenüber Juryentscheiden, von Baukosten (geplante, tatsächliche, unermessliche) sowie – oh Wunder – von hofierter, respektive gekränkter Eitelkeit.

Die Ausstellung erzählt vierzig solcher Geschichten anhand von Modellen, Skizzen, Fotografien, Briefen und Rechnungen. So ist beispielsweise zu erfahren, dass wir die Erfindung der fotografischen Vermessung von Bauwerken dem Architekten Albrecht Meydenbauer verdanken. Als Student erhält er 1858 den Auftrag, den Dom zu Wetzlar zu vermessen und stürzt dabei um ein Haar vom Turm. Grund genug, sich über eine andere Weise der Denkmalsvermessung Gedanken zu machen, findet Meydenbauer, und entwickelt die Photogrammetrie. Lebensgefährliche Kletterpartien können fortan unterbleiben.

An einem anderen Tisch belegen die Kugelhäuser von Peter Birkenholz, dass ein Architekt unter Umständen nur eine einzige originelle Idee zu haben braucht. Das erste Kugelhaus, 1928 in Dresden errichtet, erfreut sich bei der Bevölkerung großer Beliebtheit und macht die Kugelform zu Birkenholz’ Markenzeichen. Immer wieder entwirft er für Wettbewerbe ein Kugel-Gartenhaus, eine Kugel-Schule oder ein Kugel-Hotel, ja eine ganze Kugelhausstadt. Am Ende bleibt das Dresdener Kugelhaus der einzige tatsächlich realisierte Bau und wird 1938 abgerissen, nunmehr geschmäht als „Ausgeburt einer entarteten Technik“.

Von einer ganz anderen Wirkung des Zeitgeistes auf die Architektur wird unter dem Titel „Bauklötze staunen“ berichtet. Nach Auffassung der Firma Anker bestand ein besonderer pädagogischer Wert ihres populären Anker-Steinbaukastens nämlich darin, dass Kinder am Ende alle Steine gemäß einer exakten Vorlage wieder in den Kasten einräumen und sich dadurch „an Ordnung gewöhnen“ würden.

Ohne zwingende Ordnung schlendern die Ausstellungsbesucher hingegen zwischen den zahlreichen Tischvitrinen umher und verweilen nach Lust und Laune an diesem Tisch oder an jenem. Hier erfahren sie, dass Klenzes Königsplatz nicht von jeher Begeisterung auslöste: „… wie mit dem Schubkarren herangefahren“. Dort lesen sie Adenauers Korrespondenz mit dem Architekten Hans Schwippert, so unverblümt wie unbeirrbar: „Ihr Schreibtisch gefällt mir nicht.“ (Es war der 14. Entwurf.)

Wenige verweilen bei der Dokumentation eines denkwürdigen Falles zum Stichwort ‚Ironie der Geschichte‘: Ein Bismarck-Denkmal soll zum 100. Geburtstag des Kanzlers auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück entstehen. Im Wettbewerb treffen 379 Entwürfe ein, es gewinnt der Vorschlag von German Bestelmeyer und Hermann Hahn, aber die Jury ist und bleibt uneins. Vom Termin zur Auftragsvergabe „wurden die Befürworter des Bestelmeyer-Entwurfes durch eine Terminverschiebung gezielt ferngehalten“, der Auftrag geht daher an Wilhelm Kreis. Gebaut wird das Denkmal allerdings nie, es kommt ein Weltkrieg dazwischen.

Es macht Spaß, so von Tisch zu Tisch, von Geschichte zu Geschichte zu gehen. Die Ausstellungsmacher haben recht: „Die Bedeutung der Archivmaterialien liegt in der mit ihnen verknüpften Geschichte, die erforscht, präsentiert und erzählt werden kann.“ Man ahnt nach ein, zwei Stunden jedoch, dass die Geschichte auch zwischen den Tischen verläuft, von einem Objekt zum anderen, und man wäre sehr neugierig auf ein paar systematische Linien, ein paar Querverbindungen zwischen diesen vierzig Anekdoten der Architekturgeschichte. Womöglich ließen sich da die spannendsten Entwicklungen rekonstruieren, etwa zum Thema Wettbewerb und Auftragsvergabe (damals und heute), zur Rolle der Architekturkritik (damals und heute) oder zur informellen Architekturkommunikation, die nicht von Bauherren und Architekten geführt wird, sondern von Bewohnern und Nutzern, unter Umständen in Form von subversiver Umnutzung der verordneten Architektur.

Ein Kapitel zu diesem Thema gäbe sicherlich Josefs Lehmbrocks „Charta für den Städtebau“ ab. Als Mitinitiator der 1972 in München gezeigten Ausstellung „Profitopolis oder Der Mensch braucht eine andere Stadt“ kritisiert er die Lebensbedingungen in modernen Städten. Die bauliche Entwicklung folge, so Lehmbrock, der Maxime „Länge x Breite x Geld“ und nicht den Bedürfnissen der Menschen nach Kommunikation, Freiraum, Privatheit und Licht. In Lehmbrocks Idealstadt werden Wohn- und Bürogebäude durchmischt, um die Verkehrsbelastung durch Autopendler zu verringern; Häuser haben unterschiedliche Höhen, um indiskreten Blicke vom nachbarlichen Balkon vorzubeugen; Stadtviertel bieten Versorgungseinrichtungen für alle Lebensalter. Drängt sich da nicht eine Verknüpfung auf zu jenem meterhohen Grundriss von Neuperlach, der die Rückwand des nächsten Ausstellungsraumes ziert?

Die Ausstellung ist bis zum 15.6. 2014 im Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne zu sehen.

Veröffentlicht am: 21.03.2014

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