"Ich rufe meine Brüder" bei Radikal Jung im Volkstheater

War ich das mit dem Anschlag?

von Jan Stöpel

Ich rufe meine Brüder. Foto: Ute Langkafel

Junger Schwede! In Jonas Hessen Khemiris Stück "Ich rufe meine Brüder" folgen wir bei Radikal Jung dem jungen Amor durch die Stockholmer Nacht beim Versuch, sich selber zu finden. Er findet sein Spiegelbild - mit einem Palästinensertuch vorm Mund und einem Sprengstoffrucksack auf dem Rücken. Eine souverän komponierte Geschichte, die Regisseur Michael Ronen in eine Hochglanzverpackung gesteckt hat.

Es müssten Beats dazukommen, vielleicht noch Geigen. Wie er so dasteht in seinem Jackett aus glänzendem Stoff, schwarze Wollmütze, Brille, könnte Jerry Hofmann einem Vorbild aus dem deutschen Pop-Biz nachempfunden sein. Wenn er denn nun wirklich begänne zu singen, ja, dann könnte das ein anderer Xavier Naidoo sein. Einer mit einer Botschaft halt. Die Botschaft hier könnte lauten: Es ist nicht einfach, zu denen zu gehören, die anders aussehen, reden, denken. Nicht einfach ist gut gesagt - es ist sogar so schwierig, dass es einen jungen Menschen spalten kann.

Jerry Hofmann ist Amor, der junge Typ, der in Jonas Hassen Khemiris Stück "Ich rufe meine Brüder" nach einer langen Partynacht etwas desorganisiert aufwacht, um über Alarmanruf etwas Schockierendes zu erfahren: In der Innenstadt hat es einen Anschlag gegeben, und der mutmaßliche Bombenleger soll so aussehen wie...

Regisseur Michael Ronen lässt seinen Protagonisten in dieser Produktion des Ballhaus Naunynstraße in Berlin eine atemlose Reise durch die Nacht machen, in der die Dialoge einander nur so jagen. Und Amor ruft seine Brüder. Wen? Und Zuschauer? Welches unsichtbare Band verbindet uns mit dem zornigen und doch offensichtlich gutherzigen Typen da vorne? In einem Guckkasten (Bühne: Sylvia Rieger) erzählt Amor seine Geschichte, während auf drei Projektionsflächen im Stile einer Graphic Novel sein Kopfkino abläuft: Flammen schlagen aus einem Auto, Menschen auf der Tanzfläche, ein rostiges Messer verschwindet in einer Hosentasche (Illustration und Animation: Olliver Durand).

Wir folgen Amor durch die Stadt. Er ist ein Kumpel, will immer zu seinem besten Freund (Jan Walter) stehen, obwohl sich dessen Leben so geändert hat, dass auch ihre Beziehung auf dem Prüfstand steht. Amor hat Liebeskummer, die Angebetete (Marion Reiser) macht ihm nur zu deutlich klar, dass da nix geht. Und dann seine Nichte (Nora Abdel-Maksoud), die irgendwie auf ihrem ganz eigenen Trip unterwegs ist. Und warum triezt sie ihn nur immer wegen dieses bescheuerten Bohrkopfs?

Glaube ja nicht, wer du bist: Jerry Hofmann und Nora Abdel-Maksoud. Foto: Ute Langkafel

Die Außenwelt ist noch unübersichtlicher. Wer ist sein Bruder, wem kann er trauen? Wichtiger noch: Was ist Tatsache, was nur erdacht, erträumt? Wer sind Amors Brüder? Machen sie sich in dieser Stunde auf den Weg, sauber rasiert, in sauberer, anonymer Kleidung, aber nicht so anonym, dass sie auffiele, mit einem Rucksack auf dem Rücken? Wer ist Amor? Gut, dass er noch Kontakt hat zu seiner längst verstorbenen Großmutter: etwas Halt in dieser wirren Lage.

Die Bilder sind schwarzweiß, die Welt ist es nicht. Und auch nicht die Geschichte, die Jonas Hassen Khemiri souverän, verwickelt, geradezu musikalisch erzählt. Es ist, ab ob man durch ein Kaleidoskop blickte: Immer wieder ordnet sich da etwas neu, in vielen spiegelnden Splittern sehen wir das Bild eines verwirrten, jungen Mannes in einer Gesellschaft, in der er sich noch längst nicht angekommen fühlt.

Michael Ronen bringt diese Geschichte so souverän auf die Bühne, dass man schon fast verunsichert ist: Die Arbeit fühlt sich eher nach altem Hasen denn nach Radikal Jung an. Migrationsdrama in Hochglanz verpackt: So schön war Randständigkeit selten. Jerry Hofmann müht sich, nimmt die Brille und die Mütze ab und wirkt tatsächlich kurz wie ein zorniger Krieger. Insgesamt aber wirkt er in dieser schon ziemlich routinierten Angelegenheit wie ein Moderator, der gegen die außerordentlich eleganten Bilder des Zeichentrickfilms ganz schön zu kämpfen hat. Vielleicht, weil sie ihm so viel Arbeit abnehmen, dass man versucht ist, ihnen ganz und gar zu folgen. Unterhaltsam war's. Ob's länger haften bleibt in der Erinnerung?

 

Veröffentlicht am: 11.04.2014

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