Fotokünstler Roger Ballen mit "Theater der Absurdität" in der Villa Stuck

Diese Bilder waren immer schon da

von Michael Wüst

"Gaping" (2010) aus Asylum of the Birds. Foto: Roger Ballen

Die neuen inszenierten Fotoarbeiten unbewusster Welten von Roger Ballen haben möglicherweise mehr Wirklichkeitsgehalt als die Aufnahme eines Bankenhochhauses, irgendeiner Katastrophe, die aus der Welt hereingetickert kommt, mehr als der Moment eines Familienausflugs oder das Still einer Talkshow. Der hochdekorierte Fotograf, dessen Bilder die 46. Edition des SZ Magazins gestalteten und die in der Villa Stuck zu sehen sind, gibt abermals Anlass zu alten, grundsätzlichen, ästhetischen Kunstfragen. Nicht alles ist Gold, was glänzt, nicht alles Wirklichkeit, was wirkt.

Eine berühmte Antwort auf solch grundsätzliche Kunstfrage gab schon einmal René Magritte mit dem Titel seiner berühmten, realistisch abgebildeten Pfeife: „Ceci n´est pas une pipe.“ Und genau genommen wissen wir natürlich, dass es keine Abbildungen der Wirklichkeit gibt und geben kann, nur Bilder - womit wir unseren Anlauf zu Magrittes Zitat mit dem Begriff der realistischen Abbildung zurücknehmen müssten. Aber man muss eben öfter mal ungenau beginnen, um vorwärts zu kommen, um zu richtigen Schlüssen auf der Basis falscher oder unvollständiger Voraussetzungen zu kommen. Was vielleicht eher ein psychologisches Axiom zu nennen wäre.

Angesichts der, sagen wir es einmal anders und wieder unvollständig, "abgelichteten" Welten Roger Ballens, stellen wir uns also gerne erneut der Kunstfrage von der Wirklichkeit. Was wirkt, wenn wir wissen, dass wir uns im Spiegel schon falsch sehen? Die Abbildung der Wirklichkeit scheint irgendwie an Infektionen zu leiden, hineingetragen allein durch den teilnehmend Abbildenden.

Viele Gründe mag es für Roger Ballen gegeben haben, den Weg von der Dokumentation zur Inszenierung zu gehen. Im Interview des SZ Magazins gefiel Frager und Befragtem Adornos Satz: „Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.“

„Protectors“ 1998, aus der Serie: Outland. Foto: Roger Ballen

Roger Ballen, geboren 1950 in New York, studierte Psychologie und Geologie. Eine faszinierende Kombination, kann sie doch kaum trefflicher jemanden beschreiben, der gräbt, ob in Seelen oder der Erde. Und als Geologe arbeitete er bald schon seit den 70er Jahren in Südafrika. Aber dem Blick in die inneren Schichten der Erde verstellten sich an der Oberfläche die ärmlichen Wellblechsiedlungen, die „Dorps“ mit ihren verformten, gezeichneten Menschen. Ballen liebt diese Olvidados, er mag diese Vergessenen empfunden haben wie archaische Wächter der Erde in ihrer Souveränität des Nothing left to lose. Seit über dreißig Jahren kennt er sie nun schon alle, ist ihr Kontakt zur Welt. Er sorgt sich um ihr Leben, sie gestatten ihm, sie zu betrachten, zu arrangieren. In den neuen Arbeiten aus „Shadow Chamber“(2005), „Boarding House“(2009) und „Asylum of the Birds“(2014), die in der Villa Stuck zu sehen sind, erscheinen die Menschen und was von ihnen übrig ist – oftmals nur Gliedmaßen und Köpfe – einkomponiert in archaische Tableaus, Szenerien mit Vögeln, Hunden und Ratten, ausgerüstet mit magisch bedeutsam tuenden Zivilisationsmüll vor Wandkritzeleien der Isolation in flehentlicher Naivität. Ballen, ein Meister der schwarz-weißen Analogfotografie, immer im quadratischen Format, gelingt mit einer geradezu an Vollkommenheit grenzenden Präzision des Unbewussten, die rückwirkende Auslöschung des fotografischen Moments. Diese Bilder scheinen nicht geschossen worden zu sein, sie wurden geborgen, gehoben. Sie waren immer schon da. Sie sind keine Kommentare auf das wirkliche Leben, sagt Ballen. Vielleicht gibt es das ja auch gar nicht. Roger Ballen ist ein Meister.

"Theater der Absurdität", Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, noch bis 8. Februar 2015, Dienstag mit Sonntag 11-18 Uhr

Veröffentlicht am: 02.12.2014

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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