Mayenburgs "Stein" im Marstall

Grundstein für eine falsche Legende

von Michael Weiser

Hedi Kriegeskotte, Lukas Turtur, Juliane Köhler, Katrin Röver, Nora Buzalka (v.l.). Foto: Matthias Horn

Ein wenig spröde, diese deutsch-deutsche Familiengeschichte: In "Der Stein" handelt Marius von Mayenburg sechzig Jahre Geschichte ab. Und fordert den Zuschauer mit seinen Zeitsprüngen arg. Im Marstall feierte die Inszenierung von Sarantos Zervoulakos Premiere.

 

Es bewegt sich etwas in Marius von Mayenbergs Drama "Der Stein" im Marstall. Vor allem das Haus, um das es vordergründig geht: Von Szene zu Szene kreiselt es um seine Achse, es wirkt, als schraube es sich durch die Jahrzehnte (Bühne Thea Hoffmann-Axthelm).

Von 1935 bis 1993 reicht die Geschichte, die Mayenburg erzählt. Es ist die Geschichte eines Hauses und der Menschen, die darin lebten und leben. Eine Geschichte, die mehr als nur ein Geschmäckle hat. Ein junges Paar profitiert von der Ausgrenzung der Juden in Nazi-Deutschland, erwirbt viel zu günstig ein Haus, das Juden gehört hat. Weil dieser Akt der "Arisierung" bei den Nachbarn nicht gut ankommt oder sie den Neubesitzern den durch Unrecht verschafften Vorteil neiden - landet ein Stein im Fenster. Der Stein wird für die Familie so etwas wie eine Reliquie: Als Beleg für die Legende, dass man ja den Juden mit Geld geholfen, mithin nahezu im Widerstand gedient und sich damit den Nazis verdächtig gemacht habe. Dass sich Immobilienbesitzer Wolfgang in den letzten Tages des Krieges mit einem zackigen "Heil Hitler" und einem Schuss durch den Kopf vom Leben verabschiedet hat - geschenkt!

Ein Problem ist der Text: Die vielen Zeitebenen sind so kompliziert geschichtet, dass man ohne Fremdenführer die Übersicht verlöre. Ein Programm ist also jedem Zuschauer anzuraten, zumal die Resi-Schauspieler von Figur zu Figur wechseln - je nach Jahrzehnt. Und: Die Gemengelage ist von Anfang an eigentlich klar. Da schwärt nicht das ganze Stück hindurch ein dunkles Geheimnis wie noch in "Augenlicht". Aber auch vom abstrusen Witz des "Hässlichen" ist Mayenburg in diesem deutsch-deutschen Familiendrama weit entfernt. Er bleibt bemerkenswert brav.

Es schneit in Dresden: Katrin Röver deutet Unheil an. Foto: Matthias Horn

Die Inszenierung von Sarantos Zervoulakos bietet da auch nur wenig. Wenn Katrin Röver mal Sarah O'Connor gibt und zur Eröffnung der Allianz-Arena die deutsche Nationalhymne sehr gekonnt mit Fehlern singt, dann ist das sehr lustig, fällt aber schon aus dem zeitlichen Rahmen, den Mayenburg eigentlich abgesteckt hatte. Wie gesagt, die Geschichte führt in etwa bis zur Wende. Da war über einen Neubau eines Stadions in München noch nicht mal nachgedacht worden. Als Ossi-Stephanie allerdings ist sie weniger lustig: Die Vokuhila-Perücke ist eben allzu sichtbar nur - eine Perücke. Ironie will man darin nicht unbedingt erkennen (Kostüme Christian Kiehl).

Warum wir uns auch noch mit solchen Kleinigkeiten befassen? Weil da eben auf der Bühne viel Bewegung ist, das Haus sich dreht und dreht, dann aber doch nicht viel vorangeht. Man sieht Bühnenarbeiter, wie sie Hand anlegen, man schaut den Schauspielern beim Umziehen zu, manchmal auf offener Szene, fühlt sich aber ein ums andere Mal störend aus der Geschichte gerissen, zumal - siehe oben - das Springen von Figur zu Figur auch nicht das Verständnis fördert.

Was bleibt, ist die Leistung einiger Schauspieler, allen voran Hedi Kriegeskotte. Sie spielt die alte Witha höchst glaubwürdig, so sehr, dass man sich immer wieder ertappt fühlt: Wer hat sich noch nicht über Senioren geärgert, die nur noch hören - oder verstehen -, was sie wollen?

Und noch etwas: Katrin Röver steht einmal mit Fliegerhaube und Lederjacke im Obergeschoss des Bühnenhauses. Als Bomberpilot. Sie lässt Schneeflocken rieseln. Und mit einem Schlag ist man im kalten Winter 1944/45. Dann steht sie nochmals oben. Und entlässt diesmal schwarze Flocken in den Bühnenraum: Dresden ist das, im Februar 1945, als nach einem massiven Bombenangriff ein Feuersturm die schöne Stadt verheerte. So starke Bilder hätten wir uns öfter gewünscht.

Nächste Termine: 22. und 30. Dezember 2014 im Marstall

Veröffentlicht am: 22.12.2014

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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