Auftakt für Radikal Jung im Volkstheater

Menschen, die auf Lampen starren

von Jan Stöpel

"Flimmerskotom" am Volkstheater. Foto: Michael Weiser

Was ist Theater eigentlich? Und was ist es heute? Das Festival Radikal Jung im Volkstheater macht mit "Flimmerskotom" und "Regie 2" gleich zu Beginn den Testlauf. Mit einem Stück ohne Menschen und einem Abend ohne Theater, aber einer Entführung.

Streckenweise fühlt man sich an "Solaris" von Stanislaw Lem erinnert. Man sieht etwas vor sich, ein Ding, etwas zutiefst Fremdes, es versucht wohl, Kontakt aufzunehmen, in dem es die Gestalt von etwas Vertrautem nachahmt, auf eine Art und Weise, die es irgendwo gesehen, aber nicht verstanden hat. Und so verhält es sich auch mit dem Adressaten. Er versteht nicht ganz, was das Andere will. Das Publikum starrt in die Dunkelheit, wo sanft Lichtpunkte erglühen, der eine oder andere niest, wenn aus dem Glimmen hartes, helles Licht wird. Man versteht das Andere nicht, aber es hat Wirkung.

Das Andere: Das ist der Bühnenraum und die Ausrüstung einer Bühne. Bei "Flimmerskotom" von  Gregor Glogowski, Alisa Hecke und Benjamin Hoesch spielen Scheinwerfer und die Soundanlage. Man hört: Brummen, Zischen, Quietschen, Klacken, fühlt sich an irgendwas erinnert, ohne doch greifen zu können, was genau das gewesen sein soll. Dazu leuchten nach einer geheimnisvollen Ordnung Scheinwerfer in unterschiedlicher Intensität auf. Am Ende erstrahlt bei dieser nach einer Störung des Sehvermögens benannten Aktion ein Lichtturm, es müssen zwei, drei Dutzend Scheinwerfer sein, hinter denen die Struktur des Baugerüstes verschwindet, auf das sie montiert sind. Wie eine Erscheinung, kein unbelebter Götze, eine Epiphanie des Materials, das dem Schauspieler üblicherweise seinen Job auf einer großen Bühne erst ermöglicht.

Eine Installation, eine Choreographie des scheinbar Unbelebten, spannender als es sich hier wahrscheinlich liest.

Die Entführung

Zweierlei war erstaunlich bei "Regie 2" der Truppe Monster Truck. Vergangenes Jahr hatte sie die Regie in die Hände von drei Schauspielern mit Down-Syndrom gelegt und damit für heftige Diskussionen gesorgt. Ich könnte mich heute noch aufregen darüber, wie einerseits das schlechte Gewissen der Zuschauer, andererseits aber der Spaß der Akteure am Dasein als Rampensau instrumentalisiert wurden. Für einen kühl kalkulierten, aber leider insgesamt nur langweiligen Abend.

Meistens aus Freude, manchmal auch aus Pflichtbewusstsein, geht man zu jedem Stück von Radikal Jung. Und fand sich diesmal mit nur sechzig, siebzig Zuschauern im Großen Haus. Und das, obwohl auf der Homepage des Volkstheaters "ausverkauft" gemeldet worden war. Das war das eine Erstaunliche. Das nächste: Der Abend sollte vier Stunden dauern.

Es war dann so: Über eine Leinwand auf der Bühne des Großen Hauses flimmerten Mitteilungen, man habe keine rechte Lust, Theater zu spielen, die Zuschauer mögen doch in ein anderes Stück in einem anderen Theater gehen. Überhaupt strebe Monster Truck heute keinerlei künstlerische Intervention an, das Stück sei zufällig ausgewählt, und der Regisseur selbst habe keine Ahnung, was ihn erwarte. Draußen vor der Tür des Volkstheaters warteten zwei Busse, bereit, das Publikum aufzunehmen und zu unbekanntem Ziel zu transportieren. Wir stiegen ein, fuhren durch den Regen - und landeten am Olympiastadion. Und ein Mann ging durch den Bus und verteilte Karten für eine ganz andere Art von Theater: "Night of the Jumps". Das ist eine Veranstaltung des Motorsport-Zirkus, bei der Motorrad-Akrobaten auf die allerverwegenste Art über Rampen springen. Eine spannende Veranstaltung, die Theater insofern ähnelte, als sie für Kommunikation sorgte. Etwa zwischen Motorsportfans und befremdeten Theatergängern. Eine Weiterfassung des Theaterbegriffs, die der Auslöschung gleichkommt. Das Bühnenereignis an sich wird vom Podest gehoben - und endgültig in Beliebigkeit aufgelöst.

Das Programm von Radikal Jung findet sich hier.

 

 

Veröffentlicht am: 24.04.2016

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