"King Arthur" von Henry Purcell in der Reithalle mit dem Gärtnerplatztheater

Im Bällebad

von Michael Weiser

Boat People: Die Belegschaft von "King Arthur" in der Reithalle. Foto: Marie-Laure Briane

Jubel in der Reithalle: Am Donnerstag (8.12.16) feierte "King Arthur" von Henry Purcell in der Inszenierung des Gärtnerplatz-Theaters Premiere. Stammt aus dem Barock, war aber in der Reithalle ganz im Heute: Nix mit England, dem schönsten aller Länder. Vielmehr: Eine ratlose Gesellschaft auf der Reise ins Nirgendwo. Hört sich trüb an, war es aber nicht. Ein Tipp.

So hat man Henry Purcells schönsten Gassenhauer "Your hay, it's mow'd" auch noch nicht erlebt. Die britischen Bauern feiern eine Ernte - aber was für eine: Nicht das Getreide haben sie gedroschen, sondern die Knochen ihrer Feinde. Eine blutige Ernte haben sie eingefahren, das gilt es zu feiern, und sie feiern, indem sie stampfen, als sei Strawinskys Frühjahrsopfer zu begehen. Das sind keine Bauern in guter Laune, die einander zuprosten, sondern Krieger im Blutrausch. "And heigh for the honour of old England!" - der Trinkspruch klingt zynisch.

Ein paar Sachen muss man vorausschicken, um zu erklären, wie er lief, dieser Abend. "King Arthur" ist eine Semiopera, im England des 17. Jahrhunderts total modern, heißt: Viele Dialoge, und zwar gesprochen, die Musik eher als Unterstützung. Und zwischendurch Tanz, schon um die Zuschauer zu unterhalten. "King Arthur, or the English Worthy" ist, man kann es so platt sagen, eine Revue, geschrieben lange bevor noch die Gattung erfunden ward. Die Fassung schlechthin von "King Arthur" gibt es also nicht nicht. Der Text von John Dryden ist außerdem so lang, dass man ihn in der ursprünglichen Fassung ohnehin nicht spielen kann. Purcells Partitur wiederum ist in diversen Einzelteilen überliefert, die jeder Regisseur der Gegenwart erst einmal zusammenfügen muss. Oder kann: Chaos als Chance.

Holla, der Waldgeist! Juan Carlos Falcón als Waldgeist, Ann-Katrin Naidu als Matilda. Foto: Marie-Laure Briane

"King Arthur" kann man als Steinbruch ansehen. Allerdings einen mit feinster Musik. Und dass zumindest eine Nummer, "The cold song", es in die Populärkultur geschafft hat - die Älteren unter uns erinnern sich noch an die Abspannmusik aus der Frühzeit von RTL oder an Klaus Nomi -, ist kein Widerspruch. Nein, die Musik von Purcell ist ein echter Schatz, sie ist einfach großartig. Und, wie gesagt, man kann sie in weiten Teilen problemlos umstellen, wie's einem in die Dramaturgie passt.

In diesem Sinne sehr werkgetreu, machte sich Regisseur Torsten Fischer an die Arbeit. Indem er viel sprechen ließ (auch den Text der Strophen damit doppelte), indem die Nebenrollen sangen und die Hauptrollen, Oswald, Artur und Emmeline, sprachen. Fischer setzte mit dem Ballett des Gärtnerplatzes sehr stark auf die tänzerische Komponente. Und: Er brachte die Einzelteile der Musik in eine Reihenfolge,  die in sein Konzept passte. Indem er beispielsweise die gelassene, wunderschön tänzelnde Chaconne (die Harnoncourt 2004 in Salzburg noch fürs Finale verwendet hatte) als Overtüre voranstellte und somit einen weniger harmlosen, einen härteren Schluss setzen konnte. Und indem er das schönste Trinklied Purcells als Lied zum grausamen Spiel einsetzte (Dramaturgie Daid Treffinger).

"King Arthur" hat man bislang sehen können als barocke Märchenoper, als Heldenoper zur Feier Englands, als Liebesgeschichte zwischen der blinden Emmeline und König Artus. Torsten Fischer setzt eine andere Erzählung dagegen. Die verfeindeten Herrscher, der Sachse Oswald und der Brite Arthur, sind als Glaubenskrieger im Irrglauben befangen. Der Krieg, den sie führen, ist nur oberflächlich der Liebe der beiden zu Emmeline geschuldet. In Wahrheit sind sie beide in ihren Ideologien befangen. Es wird kein Ende des Mordens sein - es sei denn, die beiden finden zur Einsicht, dass es keinen Himmel gibt, sondern über uns nur Blau und das Weiß der Wolken.

Da fällt es Emmeline wie Schuppen von den Augen: Tobias Greenhalgh als Cold Genius, Judith Rosmair als Emmeline.. Foto: Marie-Laure Brianeie-Laure Briane

Kann man sich das nicht vorstellen? Wie John Lennon? Einfach "Imagine"? Das Wort wird auf die Bühnenrampe projiziert. Es werden sich später weitere Begriffe hinzugesellen - Kommunismus, Sozialismus, Terrorismus: Folgte man einfach mal dem Libretto, verirrten sich die Krieger im Sumpf. Hier verrennt man sich im Dickicht der Ismen. Und die Deutung passt. Am Ende raufen sich alle zusammen, England könnte zusammenwachsen, zur Herrscherin der Meere (das ist bei Purcell so) werden. Hier aber ist es eine Gemeinde von Boat People, die am Ende die Ruder rührt (der Seemann würde sagen: Riemen) und Kurs auf eine ungewisse Zukunft nimmt. Diese Deutung Fischers ist neu. Sie ist verblüffend. Und sie haut hin.

Dass Fischer diese Deutung einem förmlich unter die Nase reibt, ist in Ordnung. Denn die schöne Musik, wunderbar dargeboten vom Orchester des Theaters unter der Leitung von Marco Comin, kann einen schon ablenken von jedweder Botschaft. Ebenso die Bühne und die Kostüme (Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillipoulos): Wie die Welt vereist, in einer Lawine von weißen Plastikbällen - das hat schon was. Zumal man zum Premierenjubel so trefflich darin umherplantschen kann. Wir waren dabei im Bällebad. Und wollten gar nicht abgeholt werden. Ein echter Hingucker: Die Zauberwesen im Glitzerkleid, die Artus umgarnen und ihm die Sinne verwirren sollen. Die Schlachtszenen: einfach und sehr wirkungsvoll inszeniert, ein eindrucksvolles Zerstörungswerk.

Faszinierende Emmeline

Es gibt Sprecher, es gibt Sänger. Unter den Schauspielern ragte Judith Rosmair hervor. Sie ist einerseits ein naives Mädchen, andererseits Partei - und zwar ideologische Partei. Sie ist blind, im doppelten Sinn des Wortes. Und doch von zarter Aufmerksamkeit. Schon faszinierend, ihr zuzusehen: So viel Leben besitzt Emmeline in anderen Fassungen kaum.

Von den beiden Helden entspricht der Sachse Oswald den Erwartungen voll: Markus Gertken, zu Beginn als deutscher Michel, ist ein düsterer Hüne und Verehrer Wotans. Simon Zigah als Arthur hingegen ist ein Riese Schrek'scher Statur - den hätte man sich anders vorgestellt. Man kann nicht aus seiner Haut, auch wenn Fischer einem eine andere Deutung nahelegt. Arthur stellt man sich anders vor, auch nicht so verloren, so larmoyant. Andererseits: Man hätte einfach als Kind nicht so viel Prinz Eisenherz lesen sollen.

Die Sänger? Durch die Bank gut, gelegentlich nur mit leisen Schwächen. Camille Schnoor beispielsweise singt als Cupido geradezu famos, in einer Spitzenklasse, an die sie in der Parade-Arie der Venus nicht mehr ganz heranreicht. Ihre "Fairest Isle" klingt eher atemlos denn huldvoll. Was vor allem daran liegt, dass Comin sein Orchester hier wie auch beim "Cold Song" ("Who art thou") ziemlich geschwind antreibt. Zu geschwind vielleicht für diese beiden Nummern.

Das aber waren - wohlgemerkt - leise Schwächen. Insgesamt saßen am Ende Sprecher wie Sänger wie Tänzer in einem Boot. An einem guten Abend. Einem sehr guten sogar. Viel und lauter, sehr verdienter Beifall.

Nächste Termine: Sonntag, 11. Dezember, 18 Uhr; Dienstag 13. Dezember, Mittwoch, 14. Dezember, Freitag, 16. Dezember jeweils um 19.30 Uhr, Sonntag, 18. Dezember 2016 um 18 Uhr.

Veröffentlicht am: 11.12.2016

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

Weitere Artikel von Michael Weiser:
Andere Artikel aus der Kategorie