"Herakles" am Volkstheater

Ein mörderischer Held der Arbeit

von Michael Weiser

Schlittern auf unsicherem Grund: Mauricio Hölzemann, Carolin Hartmann, Jakob Gessner, Luise Deborah Daberkow. Foto: Arno Declair

Den meisten Heldengeschichten ist eines gemeinsam: Sie sagen mehr über die Erzähler aus als über den Protagonisten ihrer Geschichten. Simon Solberg schildert den Mythos des griechischen Ur-Helden neu und spiegelt in ihm die Gegenwart. Sein „Herakles“ am Münchner Volkstheater erzählt vom Mann an sich auf der Suche nach seiner Rolle. Und stellt rhetorisch die Frage, ob Arbeit nicht überschätzt wird.

Ist er nun das begabte Kind, der von seiner Mutter in eine Karriere gedrängt wird? Oder ein Held der Arbeit, ein an sich herzensguter Prolet mit Hosenträgern überm muskulösen Oberkörper, dem das Lob für Planerfüllung Antrieb ist? All dies ist Herakles am Münchner Volkstheater, und noch ein bisschen mehr: ein Gewalttäter, ein Totschläger, der sich bedenkenlos für den Kriegsdienst einspannen lässt, bis schon gar keine Zeit mehr für die Familie übrig bleibt. Kurz: dieser Herakles ist ein Mann, ein gar nicht mal so untypischer, in einem typischen Zwiespalt. Er immerhin ist ein Held mit Superkräften; einer, der die Welt befährt und noch mehr, das alles, um zwölf Jobs abzuarbeiten.

Die andern, die sind Nebenfiguren. Aber eben Nebenfiguren, die den Helden lenken. Mit ihren Erwartungen an ihn, den Hochgelobten. "Ein jeder trage seine Last zum Wohle aller!" Gegen diesen kategorischen Imperativ zieht sogar Herakles den Kürzeren.

Simon Solberg hat am Münchner Volkstheater eine packende Inszenierung gestemmt. Mit starken Bildern, die schon seinen „Odysseus“ zu einem Hingucker machten. Diesmal hat Solberg zusammen mit Katja Strohschneider ein so archaisch wie futuristisch anmutendes Spielfeld bereitet. Die Szene bestimmen Schläuche jeder Größe, die mal als Baumstamm, als Säulenwald oder – verknotet – als Weltkugel ein Eigenleben führen. Schläuche tragen auch die Akteure, als Merkmal körperlicher Einschränkung sozusagen, alle – bis auf Herakles. Schläuche taugen hier, getätschelt und im Arm gewogen, auch als Säuglinge. Och, die armen Würmer.

Oooch, der arme Wurm: Herakles (Max Wagner, rechts) hätschelt ein Schlauch-Baby (mit Jakob Gessner, Mauricio Hölzemann und Luise Deborah Daberkow). Foto: Arno Declair

Und wie seinerzeit mit Sebastian Wendelin als Odysseus hat Solberg seinen neuen Protagonisten stark besetzt: Max Wagner ist ein naiver Haudrauf, der aber auch nur zu gerne jedes Warnsignal überhört; ein großäugig staunender Weltbeweger, ein Workaholic, dem zu spät die Abgründe eines Lebens als abhängig Beschäftigter klar werden. Wie Max Wagner zum Ende hin die Trommel bearbeitet, das Gesicht durch eine krude Schlammmaske verunstaltet, wie er in Wahnsinn verfällt und Frau und Kinder mordet – das ist der Höhepunkt dieses Abends. Danach muss Herakles nach Delphi, sich einen orakeln lassen. Pythia tut dies zweistimmig, mit dem Rat zu mehr Kontrolle, bitteschön, und noch mehr Arbeit. Auch dies eine starke Szene in einem kurzweiligen Abend.

Kurzweilig? Ja, das ist dieser „Herakles“. Solberg mag Action, körperbetontes Spiel, er schreckt auch vor Slapstick zurück. Über den gewässerten Bühnenboden – Vorsicht, unsicherer Grund, Metaphern-Alarm! – schlittern die Akteure aufs drolligste, Atlas, der den Helden übertölpelt, um dann seinerseits vom ihm übertölpelt zu werden, sächselt, ein seltsamer Kontrast zur griechischen Sagenklassik. Diesen Atlas entfremdet Thomas Eisen, der allerdings als Amphytrion den besseren Part spielt: Dieser Heldenvater ist ein Durchtriebener, der seinen Sohn durch den Anschein von Fürsorglichkeit manipuliert. Wie gesagt: "Ein jeder trage seine Last zum Wohle aller!"

Ein Horrorclown ist Jakob Gessners Eurystheus, der, ums Ebenmaß betrogen, den Weg der Bosheit wählt. Ein Zyniker, der durch Unterhaltungsfaktor regiert. „Familie ist dicker als Blut“: Wer so was sagt oder twittert, fährt andern eben notfalls mit Blödsinn übern Mund. Herakles Gefährte Lichas (Mauricio Hölzemann) ist ein Held wie aus der Besatzung der Black Pearl rekrutiert.

Wie im wahren Sagenleben spielen die Frauen Nebenrollen. Luise Deborah Daberkow ist eine Iole, die im Haushalt die wahren Heldentaten verrichtet (und jeden Tag einen Saustall des Augias säubert), Carolin Hartmann bleibt es als Megara vorbehalten, ihrem Sohn die göttliche Abstammung anzudichten.

Eigentlich wurde Herakles zum Lohn für seine Taten zum Halbgott befördert, er durfte nach der Vorstellung der Griechen nach dem schweren Erdenleben an der Tafel der Götter speisen. Was diesem Volkstheater-Herakles im Jenseits blüht, wissen wir nicht. Vom Ziegenhirten zum Göttlichen: diese Laufbahn hat Simon Solberg ganz stimmig in die Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär übersetzt. Die Götter? Karriereziel. Sonst kommen sie nicht vor. Für das irdische Schlamassel bleiben wir bis auf weiteres selbst zuständig.

Nächste Termine am 23. und 27. Februar , sowie am 5., 9., 15. März 2019.

 

 

Veröffentlicht am: 18.02.2019

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

Weitere Artikel von Michael Weiser:
Andere Artikel aus der Kategorie