Christa Sigg zu Celestino Piatti und der Buchedition anlässlich seines 100. Geburtstages

Hat der Fisch eine Rolex verschluckt?

von Christa Sigg

© Piatti / dtv

Augen übersieht man nicht. Vor allem große mit leuchtenden Pupillen und dicker Umrandung. Celestino Piatti hat das früh erkannt – mit dem Ergebnis, dass ihn jeder kennt. Wem der Name aufs Erste nichts sagt, der möge schnell mal ans Bücherregal gehen und dort zu den Bänden des Deutschen Taschenbuch Verlags greifen. Bestimmt sind ein paar Titelbilder mit markanten Augen darunter oder zumindest mit dem pointierten Extrakt des Inhalts, umrahmt von kräftigen schwarzen Konturen. 

Bis in die frühen 1990er Jahre hat Piatti, dieser hyperkreative Grafiker aus der Schweiz, jeden dtv-Umschlag gestaltet und damit Beträchtliches zum Erfolg des Verlags beigetragen. Dass es so viele geworden sind – 6300 nämlich – lässt die Auswahl in einem schwergewichtigen Prachtband erahnen, der zum 100. Geburtstag am 5. Januar 2022 erschienen ist. Bei dtv natürlich, und zum Jubiläum durfte es sogar ein harter Buchdeckel sein. Ein „ordentlicher“ Einband hätte auch Theodor W. Adorno gefallen, denn an Taschenbüchern klebte lange das Image des bloß Unterhaltsamen, latent Schundigen, Groschenromanhaften. Gleichwohl bemängelte der Philosoph das „auffällig Plakative“ der Umschläge, die „zur Reklame verkommen“ seien.

Für Adorno zog das fatale Folgen nach sich, da das äußere Erscheinungsbild von den Inhalten ablenke. Oder verschraubter: „Die Autonomie des Gebildes, an die der Schriftsteller all seine Energie wenden muss, … wird von der physischen Gestalt des Gebildes desavouiert“. Tolle Fehleinschätzung. Die meisten Autoren sahen das freilich anders, denn ein Buch, das auffällt, wird gekauft. Heinrich Böll zum Beispiel mochte Piattis Entwürfe. Sein „Irisches Tagebuch“ war das allererste dtv-Buch – mit einem Fischerboot auf dem Cover, dessen Segelmast in ein Kreuz mündet, und Häusern zwischen grünem Meer und blauem Horizont. Damit sind Bölls Beobachtungen in ein melancholisch schlichtes Bild gebracht, das sich einprägt. Piatti wusste immer, was in den Büchern verhandelt wird, er habe alle gelesen, betonte er mit schöner Regelmäßigkeit.

Auf der anderen Seite war das die Bedingung für seine zündenden Reduktionen. Und was so leicht und oft genug humorvoll daherkommt, ist in vielen Fällen das Ergebnis langwieriger Schufterei mit überquellenden Papierkörben. Wenn er tagsüber zu keiner Lösung findet – oder mit den Kindern spontan Würstchen grillt – absolviert der fünffache Vater eben eine Nachtschicht.

© Piatti / dtv

Piatti brennt für seine Arbeit, er ist ja auch umwerfend produktiv und dabei ein Perfektionist, der noch am kleinsten Detail herumfieselt. Der Farbton muss hundertprozentig stimmen, bei falschen Wortabständen wird er ungemütlich, schon weil Piatti auch die handwerkliche Seite seines Metiers virtuos beherrscht. Der Sohn eines Tessiner Steinhauers und einer Bäuerin aus Zürich kann zwar nur Abendkurse an der dortigen Kunstgewerbeschule besuchen, wo übrigens wichtige Bauhäusler den Ton angeben. Doch seine Ausbildung in Verlag und Druckerei der Gebrüder Fretz in Zürich und besonders die Anstellung im Atelier des bekannten Basler Grafikers Fritz Bühler konfrontieren ihn gleich nach dem Krieg mit jungem fortschrittlichem Design. 1948, da ist Celestino Piatti gerade 26 Jahre alt, macht er sich selbständig und hat von Campari bis Knorr bald potente Unternehmen an der Angel. Sein Entwurf für die „Rolex Submariner“ – ein bunter Fisch mit einer Uhr als Bauch – verblüfft heute noch in seiner witzigen Beiläufigkeit.

Und wenn es nur irgendwie geht, bekommen Tiere einen Auftritt. In der Schokoladen-Annonce ist es ein Eichhörnchen im gerippten Vollmilch-„Pelz“, ein frecher Hamster wirbt für Rabattmarken und ein qualmender Frosch in Anlehnung an einen Slogan von Wilhelm Busch für Vitamin C („Drei Tage war der Frosch so krank…“). Piattis Zigaretten-Reklame – heute völlig undenkbar – gehört zum Originellsten in diesem ausufernden Werk, und selbst das Anti-Raucher-Plakat des dauernden Pfeifen-Paffers gelingt wunderbar selbstironisch. Piatti wuchert mit liebenswürdigem Humor, er ist aber auch ein Überzeugungstäter. Und ein politischer dazu. Das äußert sich in Antikriegspostern und in Plakaten gegen einwanderungsfeindliche Tendenzen der Schweiz, für Terre des Hommes und gegen den Hunger. Wer sich das Salär nicht leisten kann, bekommt Sonderkonditionen oder zahlt gar nichts. Der nächste Konzernauftrag gleicht das schon aus.

Wobei in Deutschland vielleicht das rote Herz mit dem Auge am geläufigsten ist, das Piatti 1979 für die Deutsche Herzstiftung entwickelt. Es gibt in diesem Designer-Dasein also noch viel mehr als Bücher. Wenngleich das dtv-Engagement seiner kulturellen Neugier entgegenkommt und für regelmäßige Einkünfte sorgt. Die Zusammenarbeit mit dem Verleger Heinz Friedrich ist fast symbiotisch. Der Mitbegründer der Gruppe 47 hatte früh begriffen, dass er mit dem längst renommierten Piatti einen Coup landen konnte und genoss die ausgiebigen Besprechungen. Für den Konkurrenten Suhrkamp sollte der großartige Willy Fleckhaus Vergleichbares mit seinen Regenbogen-Einbänden besorgen. Doch das war eine einzige Idee. Piatti grübelte stattdessen über jedem einzelnen Umschlag.

Vorgegeben waren eigentlich nur der weiße Hintergrund, seinerzeit ein Novum, oben rechtsbündig Autor und Titel in schwarzer Akzidenz-Grotesk-Schrift und unten das Kürzel dtv. Dazwischen musste mit dem Aquarellpinsel, mit Feder, Bleistift oder durch eine Collage die sofort verständliche Verdichtung gefunden werden. Bei Andrej Belyjs „Petersburg“ ist es das Falconet-Reiterstandbild mit Peter dem Großen. Stanislaw Lems „Solaris“ kommt mit einer Rothko-artigen Farbschichtung und einem runden Ausguck in den Himmel aus. Heinrich Manns „Untertan“ verbeugt sich viel zu tief vor einem hünenhaften Preußenkaiser, der mit seiner geschwungenen Schnurrbartspitze prompt als Wilhelm II. auszumachen ist. Bei Karl Kraus‘ „Literatur und Lüge“ hat Piatti wie so oft sein Lieblingstier verewigt: In anrührendem Retro-Charme hält eine Eule den symbolhaften Füllfederhalter mit ihrem Flügel. Und wenn Köpfe und Körper im Spiel sind, lässt sich die Nähe zum Lieblingskünstler Picasso und zum Kubismus kaum verleugnen. Was bei allen Bezügen besticht, ist Piattis schier grenzenlose Bildfantasie. Die hat nach außen gedrängt, deshalb konnte dieser Mann partout nicht aufhören und freiwillig den Griffel beiseitelegen. Bis er dann im Dezember 2007 im Kanton Basel gestorben ist, wo er fast sein ganzes vogelwild-schöpferisches Leben verbracht hat.

Claudio Miozzari, Barbara Piatti (Hrsg.): „Celestino Piatti. Alles, was ich male, hat Augen” (dtv Sachbuch, 408 Seiten, 58 Euro)

Veröffentlicht am: 04.03.2022

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