„Oase des Friedens“ – Ausstellung über jüdische Mädchenschule in Oberbayern zur Nazizeit
„Wir lebten in einer Oase des Friedens“, so empfanden Schülerinnen ihr Dasein in einer jüdischen Mädchenschule in Wolfratshausen. Dieses Zitat ist zugleich der Name der Ausstellung im Luisengymnasium, die den Schulalltag und das Leben der Schülerinnen dokumentiert.
Der Unterricht im städtischen Luisengymnasium hat längst begonnen. Die Gänge sind leer, hinter verschlossenen Türen murmelt der schläfrige Ton des Unterrichts. Vereinzelte Schüler huschen durch die Treppenhäuser. Aus dem Musikzimmer summt leise die Melodie des Lehrplan-Dauerbrenners: Die Schüler singen „Morning has broken“. Die Aula ist das Herzstück der Schule. Umrahmt von roten Marmorsäulen bildet sie das Zentrum der langen Korridore, Treppen und Klassenzimmer des Gebäudes. Hier, integriert und fast ein bisschen verloren im Trott des Schulalltags, befindet sich eine „Oase des Friedens“.
Drei Stellwände erzählen die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule zur Zeit des Naziregimes. Vor dem Hintergrund des oberbayerischen Berglands mit grünen Wiesen und blauem Himmel erfährt der Besucher zunächst etwas über den idyllischen Schulalltag der jüdischen Mädchen. Fern ab von ideologischer Brutalität und propagandistischer Hetzerei haben die jungen Frauen ganz andere Probleme: „Ich hätte ganz gern mal so ein richtiges Salamibrot gegessen, aber das gab’s leider nicht“. Denn koscheres Fleisch in Zeiten von Hungersnot und Essensmarken aufzutreiben ist schwer. Eine andere Schülerin bemängelt das ländliche Flair: „Wolfratshausen war ein Kulturschock. Ich war zuerst ziemlich unglücklich, bis ich Freundschaften geschlossen und mich eingewöhnt hatte.“ Die ganz normalen Probleme junger Mädchen wirken banal in einer Zeit der Grausamkeit. Und doch wird ersichtlich: die jüdische Schule schaffte einen Luxus für die Mädchen: Alltäglichkeit!
Diese Idylle, die den Schülerinnen ein normales Leben ermöglichte, verstärkt sich durch die ignorante Außenperspektive. „Die Wolfratshauser verhielten sich zur Mädchenschule passiv. Sie gehörte halt zu Wolfratshausen“, so eine anonyme Bürgerin. Dieser Eindruck wird verstärkt durch eindeutige Fotographien: Junge Mädchen lächeln im Sommerkleid neben einem mit Blumen verzierten Hakenkreuz. Der Wolfratshauser Turnverein absolviert seine Übungen in HJ-Kluft.
Die letzte Schautafel widmet sich den Personen, die hinter dieser Ausstellung stehen. Fotographien aus dem Privatbesitz, persönliche Meinungen zum Holocaust und der deutschen Herkunft vermitteln Intimität. Auf einmal identifiziert sich der Besucher mit den individuellen Schicksalsträgerinnen.
Oasen spenden Wasser im vegetativen Niemalsland und garantieren so das Überleben. Oasen sind Orte der Ausschließlichkeit. Sie bestehen in einer leblosen Umgebung als Zufluchtsmöglichkeit und als soziales Schlupfloch. Die jüdische Mädchenschule in Wolfratshausen war eine Oase. Sie sicherte das Überleben vieler Schülerinnen und beanspruchte gleichzeitig einen Status von Isolation. Inmitten dem oberbayerischen Konservatismus lernten junge Jüdinnen den Umgang mit Agrarkultur und das bäuerliche Leben. Abgeschieden vom ländlichen Alltag beanspruchte die Schule einen Exklusivstatus. Dieser Status scheint weiterhin zu bestehen: die Ausstellung selbst ist eine Oase: inmitten des Schullebens, zwischen Mathe und Bio, bietet sie einen Ort der Erinnerung.
Noch bis zum 26. Juli ist die Ausstellung „Wir lebten in einer Oase des Friedens“ von Montag bis Freitag, von 8.00-14.00 im Luisengymnasium. Luisenstraße 7, für den Besucher zugänglich. Die Ausstellung wird gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Historischen Verein Wolfratshausen e.V. . Der Eintritt ist kostenlos.
Elisa Linseisen