Fegefeuer und Welttheater: Die „Euward“-Ausstellung mit Bildern von Künstlern mit geistiger Behinderung

von kulturvollzug

Wurde mit dem zweiten Preis ausgezeichnet: Sigrid Reingruber Copyright Augustinum

Das Klischee vom Taumel des Künstlers zwischen Genie und Wahnsinn ist bis heute das wirksamste Marketing-Konzept für den Kunstmarkt. Reiche Sammler, die auf den Messen zwischen Basel und Miami nach Zerstreuung und steuergünstigen Geldanlagen suchen, erwarten von großen Künstlern geradezu eine effektvolle Show, die ein bisschen am allgemeinen Verständnis von Benimm und Geschmack kratzt.

Wo der kalkulierte Wahnsinn Methode hat, ist es nur logisch, dass sich authentische Nonkonformität schwerer tut. Aber es gibt in der Kunst-Szene auch ein Segment für „Outsider Art“ oder „Art Brut“ - ein Begriff, den der Maler Jean Dubuffet einst für die Kunst von „Geisteskranken“ prägte, die ihn so faszinierte. Darum wurde heuer zum fünften Mal der „Euward“ verliehen, ein Preis, den die Augustinum-Stiftung alle zwei Jahre an „Künstler mit geistiger Behinderung“ vergibt.

Unabhängig von dieser zweckmäßigen, aber nicht unbedingt sinnvollen Abgrenzung findet man sich im Haus der Kunst, die neben den Werken der drei Ausgezeichneten die Beiträge der 22 weiteren Nominierten zeigt, in einer eindrucksvollen Ausstellung wieder. In einem vielfältigen Panoptikum aus Bildern und Grafiken, die häufig, aber nicht ausschließlich Einblicke in eine düstere oder zumindest isolierte Innenwelt geben.

Da sind etwa die beklemmenden Gemälde von Andrea Rausch, die Gefängniszellen mit integriertem Fegefeuer erfunden hat. Darin schmoren Eingekerkerte wie Hitler bei bis zu 20.000 Grad C° - „ohne Nachtabsenkung“. In einem anderen Bild offenbart sich die Malerin selbst als eine „glühende Person“, deren „röstender Leib“ sich mitunter „vor endloser Qual“ windet. Dagegen ist Jonathan Meese Kinderfasching.

Weniger qualvoll scheint das Leben auf den fernen Planeten zu sein, die Ingo Tributsch mit seinen Farbstiftzeichnungen skizziert. Zwischen futuristischen Stadtlandschaften wuseln unzählige Winzlinge wie Ameisen – dennoch wirkt etwa der Stern „Harko“ wie ein sehr einsamer Ort.

Auch die Gattung des Porträts bietet spannende Gegensätze: Jukka Sunis wunderbare Konterfeis wie der „Verärgerte Zirkusdirektor“ sind von der schillernden Aura des Tragikomischen umgeben und erinnern in ihrem dynamisch-großflächigem Pinselduktus von Ferne an Jawlensky. Daniel Fehers Menschenbilder mit ernsten Gesichtern wie dem der „Denkenden Frau“ scheinen hingegen wie geschwärzt von einer inneren Dunkelheit, und Pascal Duquennes schwarzweiße Monotypien bedrücken durch ihre deformierten Physiognomien.

Annemarie Delleg: 'Ich' Copyright Augustinum

Ganz anders geht es in den Bildwelten der dritten Preisträgerin Annemarie Delleg zu: In ihren feinnervigen, ausdrucksstarken Zeichnungen in Bleistift und Tempera wirkt das Leben zum Bersten schön und aufregend: selbstbewusste, fröhliche Frauen mit roten Kleidern, roten Lippen und roten Backen küssen langbeinige Männer. „Stars von Cannes“ heiß ein Bild, auf dem eine sinnenfrohe Bühnenkönigin leuchtet wie eine Sonnenblume.

Physisch spürbar ist auch die Feinnervigkeit, die die abstrakten Zeichnungen der zweiten Preisträgerin Sigrid Reingruber ausstrahlen: Sie malt mit kräftigem Kreidestrich fast ausschließlich Kreise und Dreiecke in immer neuen Formationen. Die wuchtigen geometrischen Körper in sattem Rot und Schwarz scheinen von starken Magnetfeldern beherrscht und den Kräften von heftiger Anziehung und Abstoßung ausgeliefert.

Peter Kapeller: 'Die kranke Gesellschaft' Copyright Augustinum

Ein „kleines und großes Welttheater“, das nicht formal, aber inhaltlich an Beckmann, Grosz und Bosch denken lässt, bietet zuletzt der erste Preisträger Peter Kapeller. Der Künstler, der immer nur nachts malt, entwirft unter Titeln wie „Die kranke Gesellschaft“ oder „Mein Erhängter“ alptraumhafte Tusche-Tableaux, deren Vielgestaltigkeit an Darstellungen des Jüngsten Gerichts erinnern. Man erkennt in den Szenarien allerlei Gemarterte und andere arme Seelen, dicht gedrängt und wie angekettet in einem universellen Kerker - mittendrin ist immer wieder der Gekreuzigte zu erkennen.

Roberta De Righi

Bis 9. Januar, Haus der Kunst, täglich 10 bis 20, Do bis 22 Uhr

Veröffentlicht am: 23.11.2010

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