Herlinde Koelbl "Mein Blick" - eine Grand Dame der Fotografie gibt Einblicke in mehr als dreißig Jahre ihrer Arbeit

von Achim Manthey

Portrait, George Tabori, München 1986, (Foto und Copyright: Herlinde Koelbl)

Die Sammlung Fotografie im Münchner Stadtmuseum zeigt unter dem Titel "Mein Blick" eine etwa 300 Arbeiten aus den Jahren 1976 bis 2010 umfassende Werkschau der großen Fotografin Herlinde Koelbl.

Erst spät, mit 37 Jahren, entdeckt die gelernte Modedesignerin die Fotografie. Familienfotos sind es zunächst, die ihre Leidenschaft für das Medium wecken.

Die Autodidaktin geht ihre Themen konzeptionell an und realisiert sie dann mit ihrem ganz eigenen Blick. Sie beschäftigt sich eingehend mit der von ihr gewählten Thematik, deren fotografische Umsetzung sich dann durchaus über Jahre erstrecken kann. Zeit, Geduld und bei den Portraitaufnahmen das Schaffen von Vertrauen zwischen dem abzubildenden Menschen und der Fotografin sind wesentliche Voraussetzungen für ihre Arbeit, wie sie selbst erklärt.

Herlinde Koelbl hat für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im In- und Ausland gearbeitet. Sie ist zudem eine renommierte Dokumentarfilmerin, schreibt Texte und führt Interviews.

Die Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, die im vergangenen Jahr anlässlich des 70. Geburtstags der Künstlerin als Jubiläumsausstellung bereits im Gropiusbau in Berlin zu sehen war und nun neu angeordnet und durch aktuelle Arbeiten ergänzt wurde, gliedert sich in einzelne Themenkomplexte, die das Schaffen Koelbls über mehr als drei Jahrzehnte präsentieren.

Gezeigt werden Aufnahmen der 1980 mit großem Erfolg veröffentlichten Bilderreihe "Das deutsche Wohnzimmer", in der die Fotografin Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, Arbeiter, Künstler, Landwirt oder Minister, in diesem Teil ihres - privaten - Lebensraums portraitiert. Die Serie ist ein entlarvendes Abbild der Zeit, in der sie entstand. Mehr als 20 Jahre später nahm Herlinde Koelbl ein ähnliches Thema mit der  Bilderserie "Schlafzimmer" noch einmal auf, für die sie zahlreiche internationale Großstädte bereiste, um die Menschen dort in ihrem privatesten Bereich zu portraitieren. Besonders bekannt geworden ist aus dieser Serie das im Jahr 2000 in London entstandene Bild, das ein Ehepaar in seinem offenbar zum Büro umfunktionierten Bett zeigt.

Lebensspuren, Nina, München 1991 (Foto und Copyright: Herlinde Koelbl)

Männer und Frauen. Als eine der ersten Fotografinnen beschäftigte sich Herlinde Koelbl mit der Darstellung männlicher Akte. Die bereits in den Jahren 1983/84 entstandene Bilderreihe "Männer" verbindet Sinnlichkeit mit sexueller Agressivität in der Darstellung des nackten männlichen Körpers, ohne dass Grenzen überschritten würden.

Dem gegenüber steht die Reihe "Starke Frauen", in der durch das Zusammenspiel von Gestik und  Körperfülle  sowie der Präsenz der Modelle Vitalität und eine ganz andere Ästhetik gezeigt werden, als sie herkömmliche Darstellungen von Frauenkörpern bieten.

Reliefs, abstrakte Körperlandschaften entwickelt die Fotografin in den Aktaufnahmen der russischen Gräfin Nina,  des sagenhaften, unvergessenen Aktmodells an der Akademie der Bildenden Künste und Schwabinger Originals Nina von Kikodze. Würde, Zerbrechlichkeit und Schönheit des Alters zeigen die Bilder. Die Aufnahmen zählen zu den bedeutensten, eindrucksvollsten der Ausstellung.

Jüdische Portraits, Grete Weil, München 1987 (Foto und Copyright: Herlinde Koelbl)

Die Fotoserie, die Herlinde Koelbl nach eigenem Bekunden wohl am meisten bewegt hat, die einen Markstein in ihrem persönlichen Leben darstellt, trägt den Titel "Jüdische Portraits". Sie hat hier weltweit zahlreiche jüdische Persönlichkeiten der deutschen Geistesgeschichte portraitiert, Aufnahmen oftmals ohne Umgebung, Nahaufnahmen, die die nicht geendete Trauer in den Augen zu zeigen. "In den Gesichtern habe ich so viel Spuren von einem schwierigen Leben entdeckt, so viel Traurigkeit, aber auch so viel Weisheit und Bescheidenheit" - und, auch das zeigen die  Aufnahmen, so wenig Hass.

"Im Schreiben zu Hause - wie Schriftsteller zu Werke gehen" - Aufnahmen von Arbeitsplätzen, an denen Literatur entsteht, beeindruckende Schriftsteller-Portraits unter anderem von Jurek Becker, Martin Walser, Robert Gernhardt oder Ingo Schulze  entstehen Ende der 90er Jahre.

1991 dann der berühmte Zyklus "Spuren der Macht", in dem Herlinde Koelbl über einen Zeitraum von acht Jahren Politiker wie Gerhard Schröder, Joschka Fischer und Angela Merkel immer wieder portraitiert hat und beispielhaft aufzeigt, welche psychischen und physischen Veränderungen die Ausübung eines hohen Amtes mit sich bringen. Die Bilder entlarven.

"Die Freiheit des Denkens, die Freiheit für meine Arbeit war und ist mir ganz entscheidend wichtig", gibt die Künstlerin als Credo an, und weiter: "Bei meiner Arbeit selbst dazu zu lernen, meinen Horizont zu erweitern und darüber hinaus mit jeden Thema sozusagen ein geistiges Abenteuer zu beginnen - mit offenem Ende". Die Bilder geben das wider. Sie sind nicht auf Geschwindigkeit angelegt, nicht auf den flüchtigen Moment, sondern sie zeigen die couragiert offene, aber behutsame Annäherung der Künstlerin an ihr Model, das dann allerdings schnörkellos klar abgebildet wird.

Das Stadtmuseum zeigt eine grandiose Ausstellung. Aufgrund der logischen Aufgliederung in unterschiedliche Themenkomplexe und der Vielzahl der gezeigten Exponate ist sie bei einem Besuch jedoch kaum zu erfassen. Der Interessent sollte sich die Zeit für zwei, wenn nicht drei Besuche nehmen, um die Fülle des Gezeigten aufzunehmen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 10. April 2011, Di - So von 10 bis 18 Uhr  im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1 zu sehen. Am 19.12.2010, 09.01., 23.01., 06.02., 20.02., 13.03. und 03.04.2011 jeweils um 14 Uhr und am 23.03. und 06.04.2011 jeweils um 16 Uhr finden Führungen statt. Begleitend ist im Steidl-Verlag, Göttingen, das Buch "Herlinde Koelbl - Mein Blick" erschienen und in der Ausstellung für 28 Euro erhältlich.

Veröffentlicht am: 12.12.2010

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Elvira Leutner
06.02.2011 19:43 Uhr

Diese Ausstellung ist definitiv sehenswert!!! Wer auch nur halbwegs was mit Fotografie am Hut hat, sollte es sich nicht entgehen lassen und unbedingt noch hingehen!