"Pracht auf Pergament" in der Hypo-Kunsthalle
Wunderwerke mit Gold, Edelsteinen und Elfenbein in einer Jahrhundertschau
Perikopenbuch Heinrichs II., Reichenau, vermutlich zwischen 1007 und 1012, Pfingsten (Bild: München, Bayer. Staatsbibliothek)
Im Juli ist Heumahd, im August Kornernte, im September wird Wintergetreide gesät, im November die Wildsau getrieben - und im Dezember geschlachtet. Dass das in Bayern schon vor 1200 Jahren so war, bezeugt eine karolingische Handschrift mit Darstellungen der typischen Monatsarbeiten, entstanden um 818 in Salzburg. Den Oktober symbolisieren darin allerdings Traubenlese und Keltern. Bier gab’s zwar schon, aber Wein war auch im Mittelalter das edlere Getränk.
Diese uralten Zeichnungen sind einfach, doch wirken sie erstaunlich lebens- und alltagsnah. Die Hypo-Kunsthalle zeigt jetzt eine Fülle solch faszinierender Bilder in einer wahrhaft funkelnden Ausstellung: In ihrem letzten Projekt, ehe sie sich nach Stuttgart verabschiedet, präsentiert Direktorin Christiane Lange "Pracht auf Pergament. Schätze der Buchmalerei 780 – 1180". Die aufwändige Schau entstand in enger Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek, die dafür 72 ihrer Kostbarkeiten aus den Tresoren holte. Eine Rarität, die - wie Stabi-Direktor Rolf Griebel bekundete - in diesem Jahrhundert wohl nicht noch einmal vorkommen wird. Und auch die Stabi Bamberg hat drei Hauptwerke nach München reisen lassen.
Evangeliar Ottos III., Reichenau um 1000, Der Evangelist Lukas (Bild: München, Bayer. Staatsbibliothek)
Nicht nur der materielle Wert – die Luxus-Einbände bestehen aus Gold, Edelsteinen, Elfenbeinreliefs – ist unermesslich, sondern vor allem die kulturhistorische Bedeutung. Im Zentrum der Schau stehen vier Bücher aus der Zeit der Ottonen-Kaiser, die seit 2003 zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Es sind die Wunderwerke aus dem Kloster auf der Bodensee-Insel Reichenau, am berühmtesten ist die so genannte Liuthar-Gruppe: Das Perikopenbuch Heinrichs II., das Bamberger Evangeliar und das Evangeliar Ottos III.. Zu einer Zeit, in der fast alle Menschen Analphabeten waren, dienten diese Prachtcodices nicht allein der Liturgie im Gottesdienst. Vor allem sollten sie das Gottesgnadentum der Kaiser bezeugen und damit sowohl christlichen und weltlichen Machtanspruch manifestieren.
Angesichts der einzigartigen Miniaturen, welche die Benediktinermönche schufen, kann man aber schon mal kurz die Luft anhalten: Sie sind ästhetisch betörend in ihren gedeckten Farben auf schimmerndem Goldgrund, dem ornamentalen Bildverständnis und stilisierten Figurenkosmos. Und gerade die Herrscherbilder wirken trotz des kleinen Formats nicht zuletzt durch die Architektureinfassung machtvoll-monumental. Darin findet man, anders als in den Monatsbildern, keine Alltagswirklichkeit. Aber sie erzählen über das damalige Weltbild. Etwa die Miniatur des „apokalyptischen Weibes“ auf der Flucht vor dem siebenköpfigen Drachen, in der Erde als Schollenhügel aus dem Goldgrund auftaucht.
Eindrucksvoll ist auch - gerade weil man heute gewohnt ist, sich die ganze Welt digital auf den Bildschirm zu laden - die Einmaligkeit und organische Beschaffenheit des mittelalterlichen Mediums und Kultobjekts Buch. Im Pergament kann man die Tierhaut gut erkennen, tierisch sind auch manche Farben, etwa das teure, aus der Purpurschnecke gewonnene Rot. Die Seiten des Augsburger Purpur-Evangeliars sind gar komplett in diesen Saft getränkt, der an geronnenes Blut erinnert.
Das Fraunhofer-Institut hat eigens „Welt-Neuheiten“ entwickelt, mit denen man, beide Arme in der Luft herumfuchtelnd, die digitalisierten Seiten des „Bamberger Evangeliars“ umblättern, drehen und heranzoomen kann. Sogar in 3D, was allerdings schnell zur Sehstörung führt. Spannender jedoch ist die eigene Anschauung, sind die Originale. Die stilistische Entwicklung von Karolingern zu Ottonen und weiter zu Staufern, die Eigenarten der Klosterschulen muss man sich selbst erschließen. Am besten sollte man die überreiche, hochkomplexe Ausstellung „Pracht auf Pergament“ mit einer Führung genießen! Sonst geht der Besucher, beschwert mit tausend offenen Fragen, in der Tiefe des mittelalterlichen Goldgrunds verloren.
Hypo-Kunsthalle, Theatinerstraße 8 in München, bis 13. Januar 2013, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 29 Euro