Die Sammlung Klüser in den Pinakotheken
Evolution in fünf Jahrhunderten
Bernd Klüser hat Joseph Beuys nach München gebracht. Noch als Jurastudent war er selbst so begeistert vor dessen Kunst gestanden, dass er das Metier wechselte – und Verleger und Galerist wurde. Und kaum einer kann über das Werk des Düsseldorfer Schamanen so authentisch, kenntnisreich und mit heiligem Ernst sprechen wie Klüser, der seine Münchner Galerie 1978 gründete. Seit über vierzig Jahren sammeln Bernd und seine Frau Verena Klüser selbst Kunst - beileibe aber nicht nur Beuys.
Jetzt präsentieren die beiden, von denen in der Pinakothek der Moderne bereits einige Beuys-Exponate in der ständigen Sammlung stammen, unter dem Titel "R/Evolution auf Papier. Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten" ihre Privatkollektion in der Alten Pinakothek und Pinakothek der Moderne. Und diese Ausstellung mit rund 350 Blättern ist reich an Schätzen. Hier steht kein enzyklopädischer Anspruch eines Museums im Hintergrund, sondern die Qualität liegt gerade in der mit großer Kenntnis getroffenen, persönlichen Auswahl.
Für Klüser verkörpert Graphik eine "kontemplative Gegenwelt im täglichen Stakkato der Bilder". Und man spürt, dass die Sammler ein besonderes Auge für Charakteristika und Nuancen im Oeuvre eines Künstlers haben. Besondere Ehre kommt naturgemäß Beuys zu: 150 seiner inhaltlich komplexen, feinnervigen, manchmal kaum sichtbaren Zeichnungen, Aquarelle und Collagen sind in der Pinakothek der Moderne zu sehen. Tod und Leben, Mensch und Natur(-gewalt), Transformation und Revolution – dass in Beuys’ Ideenwelt Denken, Fühlen und Erkennen eng nebeneinander liegen, wird in dieser Fülle überdeutlich.
Andy Warhol: Lenin, von 1987. Foto: 2012 The Andy Warhol Foundation fort he Visual Arts, Inc./Artist Rights Society (ARS), New York
Einen großen Komplex nehmen aber auch jene ein, mit denen Bernd Klüser die langjährige Galerie-Zusammenarbeit teilweise bis in die Gegenwart verbindet, darunter Tony Cragg, Enzo Cucchi, Olaf Metzel, Mimmo Paladino, Sean Scully und Andy Warhol. Blinky Palermo ist ein kleiner Raum gewidmet.
Doch seit den 90er Jahren wandte sich der Blick immer mehr rückwärts – hin zu den Alten Meistern. So kommt es, dass einige der ältesten Stücke italienische Landschaften sind, von Gherardo Cibo, Domenichino und Il Guercino. Erstaunlich ist Alexander Cozens' höchst modern wirkendes Konzept, aus Tuscheflecken die Landschaft zu entwickeln – im 18. Jahrhundert. Da ist plötzlich Motherwells düstre "War Machine" gar nicht so weit weg. Und man entdeckt Ähnliches bei Victor Hugo oder George Sand.
Hervorzuheben ist unbedingt die deutsche Romantik, darunter Carus' "Mond hinter Tannen", Kobells "Voralpenlandschaft", Leibls "Weg in hügeliger Landschaft" und Runges Scherenschnitt-Weinlaub. Und einzelne Schönheiten wie Picabias "Frauenkopf", Noldes dunkle Stadt und eine kosmisch flirrende Federzeichnung von Wols. Alex Katz' "Frau mit Hut" hat Charme und Schwung und Jan Fabres Monumentalformat in Blau wirkt wie ein unendlicher Raum für die "wandelnden Blätter".
Reduzierte Körperstudien wie Ingres' Bein und Füsslis männlicher Rückenakt beeindrucken, Tiepolos "Kopf eines Mannes mit geschlossenen Augen" bleibt im Gedächtnis. Und Mehrfigurenkompositionen mit unzähligen Pentimenti entwickeln ihren eigenen Reiz (Palma Giovane, Il Volterrano), van Dycks "Diana und Aktäon" begeistert. Die Zeichnung ist eben auch die unmittelbarste Kunstform: Sie zeigt ihren Schöpfer auf der Suche.
Bis 20. Januar 2013, Alte Pinakothek (Di - So, 10 bis 18, Di bis 20 Uhr), Pinakothek der Moderne (Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr); Kataloge: „R/Evolution auf Papier“ 39 Euro, „Joseph Beuys“ (Schirmer/Mosel) 98 Euro