"1636" in der Archäologischen Staatssammlung
Anatomie einer Schlacht
In Reih und Glied: Am Massengrab von Wittstock zeichnet eine Archäologin die Lage der Skelette ein. Foto: Staatssammlung
Kämpfen und Sterben im Dreißigjährigen Krieg: Die Schau "1636 - ihre letzte Schlacht" erzählt in der Archäologischen Staatssammlung anhand der Schlacht von Wittstock mehr über Menschen denn übers Militär - und erweckt Geschichte so eindrucksvoll zum Leben wie selten eine Ausstellung.
Die Schlacht von Wittstock 1636 entschied den großen Krieg nicht, sie verlängerte ihn um weitere Jahre. Sie ist eine von vielen Katastrophen des Dreißigjährigen Krieges – aber eine besonders gut dokumentierte, auch weil sie ein nachmals berühmter Schriftsteller als Trossbub miterlebt haben könnte. „Die Erde, deren Gewohnheit ist, die Toten zu bedecken, war damals an selbigem Ort selbst mit Toten überstreut, welche auf unterschiedliche Manier gezeichnet waren“, schrieb Grimmelshausen in seinem Simplicissimus über das Treffen zwischen Schweden und Kaiserlichen; „Köpf lagen dorten, welche ihre natürlichen Herren verloren hatten, und hingegen Leiber, die ihrer Köpf mangleten; etliche hatten grausam- und jämmerlicher Weis das Ingeweid heraus, und andern war der Kopf zerschmettert und das Hirn zerspritzt.“
Dass der Dichter nicht übertrieben hatte, zeigte ein Zufallsfund im Jahre 2007. Auf dem Schlachtfeld von Wittstock stießen Bauarbeiter auf ein Massengrab mit 125 Skeletten – die Überreste von Soldaten der siegreichen schwedischen Armee. Die Leichen waren in Reih und Glied bestattet worden, ein Ausnahmefall in einer Zeit, da man Soldatenleichen verscharrte oder unterpflügte. Noch setzte man den Kriegern keine Denkmäler, im Gegenteil: Die Soldateska galt als Gipfel der Gottlosigkeit, Mörder, die Bauern und Bürgern mit unvorstellbarer Brutalität Geld und Lebensmittel abpressten.
Über die Knochen von Wittstock machte sich eine Schar von Paläopathologen, Anthropologen, Waffenexperten und Archäologen her. Eine Zusammenarbeit, die ein Fenster in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges öffnete, in die Lebensumstände der Soldaten – und den Schrecken ihres Todes. Präsentiert werden die Ergebnisse derzeit in der Archäologischen Staatssammlung in München. Die Ausstellung „1636 – Ihre letzte Schlacht“ zeigt, welch faszinierender Zweig der Altertumsforschung in den vergangenen Jahren in der Schlachtfeldarchäologie gewachsen ist.
Münzhorte zeugen von der Angst der Menschen, die angesichts des nahenden Krieges ihr Vermögen verbuddelten – und es nicht mehr ausgraben konnten. Platt gedrückte Bleikugeln künden von der Wucht, mit der schon die Geschosse klobiger Musketen auf Erde oder andere feste Hindernisse prallten. Und Sägen zum Abtrennen zerschmetterter oder brandiger Gliedmaßen lassen den Schrecken frühneuzeitlicher Verbandsplätze erahnen.
Am eindrucksvollsten aber erzählen die Knochen vom elenden Leben und Sterben in Zeiten des Krieges. Hygiene und Versorgung waren mangelhaft. Parasiten wie Läuse und Würmer befielen die Menschen, das Getier übertrug Krankheiten und hinterließ manchmal bis heute erkennbare Spuren an den Knochen. Noch schien kein Kraut gegen die Vitaminmangelkrankheit Skorbut gewachsen. Der gemeine Soldat, schlecht ernährt, vom exzessiven Suff geschwächt, von Entzündungen der Atemwege und der Zähne ebenso wie von Krankheit und Verletzungen gemartert, muss schon ohne die Schrecken des Kampfes gelitten haben wie ein Hund. Tatsächlich hielten Hunger und Pestilenz reiche Ernte unter den Männern: Nur jeder Siebte wurde vom Feind getötet.
Die Soldaten stammten aus nahezu allen Teilen Europas, wie eine Analyse des Zahnschmelzes ergab. Ein Schotte, er war Anfang Zwanzig, als er in Wittstock starb, hatte ein besonders schlimmes Schicksal. In der Kindheit verformten Hunger und Vitaminmangel seine Knochen. Karies höhlte die Zähne aus, der Rauch der Lagerfeuer, Kälte und Nässe riefen Entzündungen hervor, die Kiefer und Gaumen zerfraßen. Die langen Märsche hatten die Gelenke so abgenutzt, dass das Gehen für den jungen Mann eine Qual gewesen sein muss. In Wittstock traf ihn eine Pistolenkugel in die rechte Schulter. Dann zerschmetterte ihm eine Hellebarde die rechte Schläfe. Der Schotte hatte wohl bereits das Bewusstsein verloren, als ein Dolchstich in die Kehle seinem Leben ein Ende setzte. Rechtsmediziner haben aus dem zertrümmerten Schädel ein Gesicht konstruiert und es in Gips nachgebildet. So blickt der Besucher der Ausstellung einem längst dahingegangenen Highländer in die hohlen Augen: einem Täter und Opfer, ohne Namen, aber mit einem Antlitz.
Die Ausstellung in der Staatssammlung an der Lerchenfeldstraße in München ist bis zum 3. März 2013 zu besichtigen. Waffen, Handschriften und Karten, originale Ausrüstungsteile sowie Schatzfunde vermitteln ebenso wie interaktive Grafiken und Medienstationen ein facettenreiches Bild vom Leben eines Mitteleuropäers vor 350 Jahren. Die Ausstellung ist auch für Kinder sehr gut aufbereitet. Für jeden der im Massengrab beerdigten Soldaten steht etwa ein Pappkamerad in der Ausstellung, an dem ein Text über Lebens- und Todesumstände Auskunft gibt.