Ivan Kožarić im Haus der Kunst

Abseits des Spektakels fliegen die wirklich seltsamen Vögel

von Roberta De Righi

Installation Freiheit ist ein seltener Vogel (Foto: Wilfried Petzi)

Die Zeichnung zeigt einen nackten Mann, der mit beiden Beinen fest auf der Weltkugel steht. Daneben der Blick von außen auf eine merkwürdig verformte Erde. Der kroatische Künstler Ivan Kožarić (geboren 1921) versteht seine Arbeit als Schöpfertum im klassischen Sinne - Himmel und Erde umfassend. Doch gerade der universelle Blick lehrte ihn eine leicht kokette Demut: "Ich bin kein Künstler, aber dafür ein schlechter Bildhauer. Ich bin durch Forschen dahin gelangt, sagen zu können, dass ich der Kunst auf der Spur bin, und das reicht mir."

Das Haus der Kunst feiert das Werk des 92-Jährigen jetzt in einer großen Retrospektive. In seiner Heimat gilt Kožarić als einer der bedeutendsten Protagonisten der Nachkriegs-Avantgarde. Und spätestens mit dieser Ausstellung eines hierzulande weitgehend unbekannten, vom westlichen Kunstmarkt bisher nicht vereinnahmten Künstlers, ist es eindeutig: Für marktschreierische Spektakel mit Promi-Faktor gibt es im Haus der Kunst unter Direktor Okwui Enwezor keinen Platz.  Was zählt, sind künstlerische Integrität und inhaltliche Überzeugungskraft.

Ein Selbstportrait von Kožarić aus dem Jahr 1987 (Foto: Filip Zima)

Das klappt nicht immer, aber diesmal lohnt es sich absolut, in die Gefilde abseits des Mainstream zu folgen. Kožarićs sechs Jahrzehnte umspannendes Oeuvre ist nicht nur wegen der geistigen Unabhängigkeit seines Schöpfers faszinierend, sondern auch aufgrund seiner Vielgestaltigkeit, des weiten Spektrums an Gattungen und Ausdrucksformen. Kožarić ist ein Tausendsassa, er arbeitet mit Stein und Bronze ebenso wie mit Papier, Stoff und Fundstücken. Er scheut weder das winzige noch das monumentale Format.

"Freiheit ist ein seltener Vogel" überschrieb Kuratorin Patrizia Dander die nicht chronologisch, sondern thematisch aufgebaute Schau mit einem Zitat des Künstlers, weil es sein Konzept poetisch auf den Punkt bringt.

"Entwurf für Matoš" aus dem Jahr 1973 (Foto: Boris Cvjetanović)

Kožarić, Mitglied der Gruppe "Gorgona", die auch eine "Anti-Zeitschrift" herausgab, hatte schon immer ein Faible für formale Umkehrspiele. In einigen Skulpturen macht er innere Hohlräume sichtbar, etwa mit der Abformung des Kühlschrank-Inneren oder der Bronze "Innere Augen". Abstraktion und Gegenständlichkeit sind keine Gegensätze, sondern sie arbeiten Hand in Hand bei der Vermessung der Welt. Mensch und Natur stehen dabei stets im Zentrum. Der Baum erscheint als Abbild des Erhabenen. Aber Kožarić treibt auch die Begeisterung für vermeintlich Wertloses an, er findet für seine Assemblagen das Archetypische im Alltäglichen: "Wäre ich nicht Künstler, ich wäre gerne Müllmann oder Küchenhilfe geworden."

Den Lebensraum des Menschen untersucht er für urbane Interventionen: Anfang der 70er Jahre plante er einen amorphen Blubb für Zagreb – im Gegensatz zur "Gelandeten Sonne", einer Bronze-Kugel, unrealisierbar. Der ebenfalls nicht verwirklichte Vorschlag von 1960, den Sljeme-Berg bei Zagreb abzutragen, ist, so Dander, "eine frühe Manifestation" der Land Art.

Aber auch Kožarićs Zweifel und Verzweiflung wurden in seiner Kunst manifest. Etwa in "Schock", der 1990 entstandenen Serie, für die er Tusche auf Fotopapier spritzte. Eine Reaktion auf den Ausbruch des Jugoslawien-Krieges ebenso wie eine späte Pollock-Referenz. Die schwarzen Tuscheflecken transportieren deutlich die brutale Energie des Krieges. Und vier Selbstbildnis-Büsten aus dieser Zeit zeigen den Künstler als traurig-groteske Figur mit überlangen, verdrehten Nasen.

Haus der Kunst, bis 22. September 2013, täglich 10 - 20, Do bis 22 Uhr, Katalog 39,80 Euro

Veröffentlicht am: 15.07.2013

Über den Autor

Roberta De Righi

Roberta De Righi ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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