Lorna Simpson im Haus der Kunst
Sie wägt ab, selbst bei "Public Sex"
„Ist sie schön wie ein Bild, klar wie ein Kristall, rein wie eine Lilie, schwarz wie Kohle oder scharf wie eine Rasierklinge?“ Zu dieser Suggestivfrage zeigt Lorna Simpson fünfmal dasselbe Bild: den Hinterkopf einer schwarzen Frau. In ihrer frühen Arbeit „20 Fragen“ von 1986 jongliert die New Yorker Künstlerin (geboren 1960) herausfordernd mit Geschlechts- und ethnischen Stereotypen. In ihren Fotoarbeiten, Filmprojektionen und Collagen balanciert Simpson mit den Gewichten von Identität und Gedächtnis, Fakt und Fiktion und setzt die Gemengelage immer wieder neu zusammen. Jetzt zeigt das Haus der Kunst ihr Werk, in dem sie den konzeptuellen Ansatz häufig mit performativen Elementen umsetzt, in einer konzentrierten Retrospektive.
Die Montage von Bild und Text ist elementar: In „Wasserträgerin“, das Lorna Simpson 1986 einem breiteren Publikum bekannt gemacht hat, sieht man eine schwarze Frau im weißen Unterkleid von hinten, die links Wasser aus einer Metallkanne und rechts aus einem Plastikkanister gießt. Der Text dazu thematisiert kollektives Misstrauen an einer individuellen Erinnerung - und die Arbeit lässt sich in der rassistischen Frage zuspitzen: „Was ist die Aussage einer Schwarzen wert?“ Viele von Simpsons Arbeiten haben etwas Abwägendes, denn oft steht darin Wort gegen Bild oder: Aussage gegen Aussage.
1994 brachte der Besuch einer Beuys-Ausstellung Lorna Simpson auf die Idee, großformatige Fotografien als Siebdruck auf Filz zu drucken. Das Ergebnis war enorm, weil sich Untergrund und Oberfläche konterkarieren und so die Bilder der sichtbaren Realität leicht entrückt werden. Die Künstlerin nannte den Zyklus „Public Sex“. Fast unnötig zu erwähnen, dass Sex nicht zu sehen ist, aber in den Texten umkreist wird.
Zu einer fast magischen Wirkmacht führt dieses Verfahren bei dem Intérieur mit leerer Mitte und einer Wolke, die Licht reflektiert. Das Szenario ist ein Film-Still der Videoprojektion „Wolkengebilde“ (2004): Darin sieht man im Endlos-Loop einen Mann in einem leeren Raum, der langsam von Nebelschwaden verschluckt und wieder freigegeben wird. Auf der Tonspur hört man ihn ein Kirchenlied pfeifen. So entsteht eine minimalistische Spiritualität von eigenartiger Wucht. Eine Facette in Lorna Simpsons Oeuvre, die ganz anders ist als die kontrollierte Provokation mit der sie sonst den Betrachter zur Reflexion auffordert.
Haus der Kunst, bis 2. Februar 2014.