Jean Paul Gaultier in der Kunsthalle
Willkommen bei der augenzwinkernden Scheinheiligkeit
Ihm haben wir die Kombination Tutu zur Lederjacke zu verdanken und Madonnas Domina-Outfits mit nackten Brüsten oder im Spitzbusen-Korsett, hautenge Matrosen-Pullis im Ringel-Chic und Röcke, ganz ohne Schotten-Karos, für Männer: Jean Paul Gaultier.
Camouflage und Ethno-Muster, Satin und Latex, Netz und Nieten, Hai-Noppen und Kalbsleder, Papageienfedern und Pythonhaut – nur das Leopardenfell ist aus Perlen gestickt. Das war mal Fashion-Avantgarde, und dass JPG ein Material-Magier und Meister der Oberfläche ist, zeigt nun auch die Schau „From the Sidewalk to the Catwalk“, die jetzt in der Kunsthalle München 140 kühn bis krude, aber stets handwerklich perfekte Kreationen präsentiert. Sie ist letzte Station einer Tour, die von Montréal bis Paris um die Welt reiste.
Weil man bei mehr als 40 Schaffensjahren schon mal den Überblick verlieren kann – und in der Mode ja ohnehin alles wiederkehrt –, verzichtet die museale Bombast-Inszenierung auf die Chronologie. Sondern versucht sich an einer thematischen Ordnung der kreativen Eruptionen des JPG und lockt das Publikum in sieben Kapiteln – von der „Odyssee“ über „Punk-Cancan“ zur Braut-Show – durch den schillernden Gaultier-Kosmos. Und will dabei nichts weniger als das Publikum zum Dauer-Staunen zu bringen: Mit allerlei Spiegelwänden und vor allem Schaufensterpuppen, die mittels Beamer blinzeln und sprechen – nur ohne die künstlerische Verfremdung der Gesichts-Projektionen von Tony Oursler aus den 90ern.
Aus einem Matrosen-Dummy tönt gar die Stimme des Meisters selbst. Überhaupt scheint für Jean Paul Gaultier, wie die Pressekonferenz offenbarte, das Reden über sich die zweitschönste Nebensache der Welt zu sein. Amüsant ist es jedenfalls, wenn das einstige „Enfant terrible der Haute Couture“, mittlerweile 63 Jahre alt, aus dem Nähkästchen plaudert. Ob über den Schönheitssalon seiner Großmutter oder die Tatsache, dass er sich als 19-Jähriger nur mit Mama traute, der Einladung Pierre Cardins, dessen Assistent der ungelernte Jungspunt wurde, zu folgen.
Eine frühe JPG-Ikone ist auch zu bewundern: Teddybärin „Nana“, der er schon als Knäblein eine Konus-Bra bastelte. Seine Haare, früher blond gebleicht, sind inzwischen echt weiß, wie der Laufsteg-Animateur kokett berichtet. Kostenlose Umarmungen gibt es nicht, aber man hat einen verdammt routinierten Motivator vor sich. Für Menschen, die den Irrsinn des Mode-Business nicht gewohnt sind, wirkt das permanent affirmative, demonstrativ gut gelaunte Geplapper wie Gehirnwäsche, aber die Stimmung im Saal stieg trotzdem mit jeder wohlkalkulierten Pointe.
Man will das ja als potenzielle Kundin auch nur zu gerne hören: Frauen sind einfach klüger, cleverer und härter als Männer, lautet Jean Pauls politisch korrektes Credo. Und, wie Kurator Thierry-Maxime Loriot betont: Es gehe um Toleranz, nicht um Mode. Jeder ist willkommen in Jean Pauls Welt, ob üppig wie Beth Ditto von Gossip oder knochig wie Nadja Auermann, androgyne Models wie Tanel Bedrossiantz oder Mädels, die auf Kerl machen. Da ist es nur folgerichtig, dass auch die bärtig-fragile Conchita Wurst (JPG: „Ein Kunstwerk!“) als Muse in den schrillen Gaultier-Kosmos eingegliedert wurde. Fehlt eigentlich nur Lady Gaga, aber die hält JPG ja für stillos.
Stattdessen treffen sich Toreros und Großstadt-Krieger, Pop-Amazonen wie Barbarella mit Circe und Dolores, Maria Immaculata und die Queen mit Irokesen-Kamm. Doch der royale Pomp und die Aura der Heiligen sind stets Behauptung und werden lustvoll dekonstruiert. Augenzwinkernde Scheinheiligkeit als Prinzip.
Immer wieder wird auch das Drunter zum Drüber, nicht nur beim allgegenwärtigen Korsett-Käfig, sondern etwa beim Kostüm mit Skelett-Applikation für Ditta von Teeses Burlesquen oder im Modell „Gehäutet“ mit freier Sicht auf die Muskelfasern. Und bien sûr, Gaultier steht auch auf Folklore, schmeißt er doch seit seinen Anfängen Elemente der Volkskunst in seinen Hexenkessel aus Mustern und Motiven. Da bleibt in Münchner Wiesn-Herbst leider auch die Lederhose nicht verschont. Gaultier hat sie als Schluss-Schmankerl mit einem „Nude“-farbenen Korsett vernäht – mehr PR-Gag als Geniestreich.
Kunsthalle München, bis 14. Februar 2016, täglich 10 bis 20 Uhr