"Painting 2.0. Malerei im Informationszeitalter" im Museum Brandhorst

Mammut-Schau mit Mut zur Behauptung

von Roberta De Righi

Alber Oehlen (*1954), "Easter Nudes" (1996). Öl und Lack auf Leinwand, 191 x 271 cm. Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München. Rechte bei Albert Oehlen

„Hört auf zu malen!“ war der Bild gewordene Widerspruch: Jörg Immendorff brachte seine Schaffenskrise als Beuys-Schüler 1966 mit einem – gemalten – Imperativ auf den Punkt. Ein großes Kreuz streicht ein Bett mit Beuys-Hut aus. Diese Trotz-Geste taugt zugleich als Symbol für die Identitätskrise der ganzen Gattung nach dem Missbrauch der Figuration und ausgereizter Abstraktion. Mit der Malerei ging es bekanntlich trotzdem weiter, sie wandelte sich, sichtbar verunsichert, manchmal bis zur Unkenntlichkeit.

Martin Kippenberger ließ 1989 einen Assistenten eine Bildserie malen, fotografierte alles und zerhäkselte die Originale anschließend für den Container. Die Installation „Heavy Burschi“ steht jetzt am Anfang der Mammut-Schau „Painting 2.0 – Malerei im Informationszeitalter“ in der Münchner Sammlung Brandhorst. Damit geben Direktor Achim Hochdörfer, der seit 2013 das Haus leitet, und Kurator Tonio Kröner, seit 2014 am Haus, ihren definitiven Einstand. Sie trugen dazu fast 240 Exponate zusammen, davon über die Hälfte illustre, internationale Leihgaben, präsentieren aber auch einige starke Neuerwerbungen der letzten zwei Jahre.

Ein ehrgeiziges Manifest in 18 Kapiteln, das in Kooperation mit dem Wiener Museum für Moderne Kunst entstand (weitere Kuratoren sind Manuela Ammer und David Joselit) und dort auch ab Juni 2016 gezeigt wird. Es erstreckt sich über alle drei Stockwerke und verbannt sogar die Rosen des Haus-Heiligen Cy Twombly auf Zeit aus dem großen Saal im Obergeschoss – der jetzt demonstrativ von einem diagonalen Einbau durchschnitten wird.

Die Ausstellung will zeigen, dass die Malerei nicht nur nie tot war, sondern auch, dass die Kunst bereits seit den 60er Jahren vollbrachte, was der späteren digitalen Revolution im nutzergenerierten, interaktiven Web 2.0 ähnelt: Transformation durch Aneignung. Nur dass sie damals auf eine Konsumgesellschaft und Kultur des Spektakels reagierte, die ihren Reibungsflächen übermittelt durch das aufkommende Massenmedium Fernsehen boten.

Robert Rauschenberg (1925-2008) "Tree Frog" (1964). Siebdruck, Öl auf Leinwand, 244 x 183 cm, Museum Ludwig, Köln. Rechte bei R. Rauschenberg Foundation VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Nun stehen im Brandhorst-Museum die Markt-Platzhirsche Polke, Richter, Rauschenberg und Warhol neben Phillippe Guston, Michel Majerus und Albert Oehlen und einigen weniger hochgehandelten oder populären Meistern und Meiterinnen. Und selbst Polke und Richter tauchen nicht als einsame Heroen auf, sondern im Kontext des Kapitalistischen Realismus.

Ein Prinzip, das auch dazu führt, dass der Frauenanteil hoch ist. Hier findet etwa das feministische Netzwerk A.I.R. (zu dem auch Nancy Spero gehörte) Platz, in dessen Kreis Mary Beth Edelson in Anlehnung an Rembrandts „Anatomie des Dr. Tulp“ den „Tod des Patriarchen“ vor lauter Frauen inszenierte. Oder das Kölner „Kränzchen“, in dem Jutta Koether die Reihe „Cézanne, Courbet, Manet, van Gogh“  mit „Ich“ fortsetzt und Cosima von Bonin ziemlich viel Bildkörper für „Nichts“ hergibt.

Lee Lozano behauptet sich brutal bildgewaltig neben Maria Lassnig, während Eva Hesses Materialcollagen zugleich betörend fragil und selbstbewusst bizarr wirken. Den Vampirismus des Marktes und die Malerei als Wiedergänger bringt Monika Baer eindrucksvoll auf die Leinwand. Und Isa Genzkens Bild-Installationen führen vor Augen, dass der Künstler, der sich seines Marktwertes bewusst ist, seine Glaubwürdigkeit verspielt.

Mag die Gegenthese als Ausgangspunkt auch ein wenig bemüht wirken: „Painting 2.0“ ist eine absolut fesselnde und facettenreiche Schau, an der nicht zuletzt imponiert, dass die Macher Mut zur – oft überzeugenden – Behauptung haben. Diese Öffnung und Neupositionierung tut dem Haus, das als Warhol- und Twombly-Weihestätte zuletzt etwas erstarrt wirkte, sichtlich gut.

Bis 30. April 2016, Di – So, 10 bis 18, Do bis 20 Uhr; der Katalog (Prestel) 39,95 Euro

Veröffentlicht am: 12.01.2016

Über den Autor

Roberta De Righi

Roberta De Righi ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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