Porträt der Künstlerin Martina Prutscher anlässlich der Ausstellung "Habseligkeiten"

Taschen und andere Universen

von kulturvollzug

Martina Prutscher. Foto: Frank Lübke

Mit der Foto-Ausstellung „Habseligkeiten“ zeigt Martina Prutscher das wichtigste Accessoire unserer Zeit - die Tasche - und sein Innenleben aufregend neu. Höchste Zeit, die vielseitige Künstlerin näher kennenzulernen.

Seitenblicke lohnen immer, auch am Marienplatz. Hier, im Herzen Münchens, das stets pulsiert vor Tourismus- und Shoppingtrubel, gibt es beachtliche Randerscheinungen abseits von Mariensäule und Glockenspiel. Zum Beispiel das Donisl-Schaufenster 2, das zur Zwischennutzung vom Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Stadt seit vergangenem Jahr Kunstschaffenden zur Verfügung gestellt wird. Vom 1. Mai bis 18. Juni 2017 ist dort die Fotoausstellung „Habseligkeiten“ zu sehen, in der die Künstlerin Martina Prutscher die Aufmerksamkeit auf das Innen- und Außenleben unserer treuesten Alltagsbegleiter richtet: Im Laufe einiger Monate hat sie Taschen und deren Inhalte fotografiert – vornehmlich von Musikerkollegen, Musikschülern, Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern. „Entweder spontan und alles von der Tasche zeigen oder gar nichts“ sei das Motto gewesen, sagt Prutscher. So entstanden mal farbenfroh-poppige, mal streng-puristische Stillleben von Hülle und Inhalt, vom Sichtbaren und sonst Verborgenen, getrennt voneinander und neu arrangiert.

"Habseligkeiten". Foto: Martina Prutscher

Die mit einer Kompaktkamera gemachten Bilder seien laut Prutscher keine perfekt ausgeleuchteten Studioaufnahmen, sondern auf dem Studio- oder Fliesenboden ihrer eigenen „Percussion Factory“ oder unmittelbar in der Kneipe, „direkt auf dem Tisch“ entstanden. Was hat sie an dem Projekt gereizt? Da muss die Künstlerin nicht lange überlegen. „Der klar definierte Rahmen, der sich für den Schauplatz eignet: Was passt besser in dieses Fenster mitten in der City, wo es um Konsum und um Themen geht, wie "Was trage ich mit mir herum, wie gehe ich durch die Stadt?“

Anonymität ist gewahrt, die Taschen-Besitzer treten nicht in Erscheinung. Anders als beispielweise die Aufnahmen, die beim Durchleuchten des Handgepäcks auf dem Flughafen eindeutig dem jeweiligen Passagier zugeordnet werden, stehen die Objekte hier für sich, sind im Moment des Betrachtens aber auch gleichzeitig Stellvertreter eines uns nicht bekannten Individuums. So wird dem, was wir als „Kram“, „Zeug“ oder bestenfalls als unsere „Sachen“ bezeichnen, eine neue Rolle zugewiesen, sie werden zu „Habseligkeiten“, denen auch immer etwas Immaterielles, dem Menschen Höchstpersönliches innewohnt.

Eine Richtung oder gar Wertung ist nicht vorgegeben, in die eventuelle Fragen, Bilder oder Geschichten vor dem geistigen Auge des Betrachters letztendlich münden – ein Ansatz, der sich auch in Prutschers Gemälde-Ausstellung „Soulscapes“ fand, die im März dieses Jahres im Kulturzentrum Trudering an der Wasserburger Landstraße zu sehen war. Dort zeigte sie ausschließlich Acrylbilder und Aquarelle, die Ausschnitte aus verschiedenen Werkgruppen darstellten. „Ich arbeite in Serien. Irgendwann gibt es einen Titel unter dem ich an Werken arbeite, solange es für mich stimmig ist.“ 20, aber durchaus auch 200 Bilder entstünden so innerhalb einer Serie.

In einer dieser Werkgruppen, „Sonhos Brasileiros“, waren tatsächlich die Synergien beider Künste spürbar, die sich in Martina Prutscher, dem Percussion-Profi und der diplomierten Absolventin der Münchner Akademie der Bildenden Künste, vereinen: „‘Sonhos Brasileiros‘ ist inspiriert von einer brasilianischen Band, mit der ich unterwegs war. Bilder und Musik sind in der gleichen Zeitphase entstanden“, so Prutscher.

Wer mit mehreren Begabungen gesegnet ist, hat es jedoch nicht immer leicht. Gott sei Dank übe er beide Talente aus, was in Deutschland ja als pervers gelte, sagte einst der Musiker und Schauspieler Marius Müller-Westernhagen über sich selbst. In der Tat tut man sich hierzulande immer noch vergleichsweise schwer mit Künstlern, die sich nicht exklusiv verorten lassen. Doch der Schuster hat eben mitunter nicht nur seine Leisten, sondern verschiedene Werkstätten, in denen er mit Leidenschaft arbeitet. So auch Martina Prutscher: „Jetzt erlaube ich mir, beides parallel zu machen. Ich wollte auf keinen Fall hobbymäßig ‚auch malen‘, sondern möglichst viel Zeit mit dem verbringen, was meine Begeisterung ist und gleichzeitig damit auch mein Leben bestreiten können.“ Selbst wenn von außen nichts passiere, laufe in ihrem Inneren stets etwas ab. „Bilder Töne Rhythmen Musik – das beschäftigt mich alles die ganze Zeit.“

Erst wenn von außen festgelegte Grenzen auch im Inneren aufgehoben werden, kann etwas Neues entstehen – eine einprägsame Erfahrung, die Prutscher auch während ihrer einmonatigen Studienreise im westafrikanischen Guinea bei Djembe-Meister Mamady Keita gemacht hat. Dort sei ihr ein ganz anderes Verständnis von Musik nahegebracht worden: „In Afrika findet Musik auf der Straße in den Hinterhöfen, in der Öffentlichkeit an ganz vielen Orten statt. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens.“ Auch die strikte Trennung zwischen Künstlern und Publikum gebe es in Guinea nicht. Zuschauer seien zugleich Akteure, die keine Furcht vor einem eigenen Solo kennen, sondern sich in erster Linie darauf freuten, ihren eigenen Beitrag zur Musik leisten zu dürfen.

Als Perkussionistin, die unter anderem ihr Diplom an der renommierten Latin Percussion School in München gemacht hat, ist Prutscher gefragte Dozentin, gibt Einzelunterrricht für alle Niveaus und Percussion-Workshops für Unternehmen, interessierte Gruppen, Kinder und Jugendliche. Als Performerin ist sie mittlerweile seit sieben Jahren mit dem Ensemble „Chicken Shake“ unterwegs. Für das das Trio, das sie gemeinsam mit den Perkussionistinnen Janine Schmidt und Ellen Mayer bildet, schreibt Prutscher alle Stücke selbst.

Neben der Fotoausstellung „Habseligkeiten“ beschreitet Martina Prutscher im Mai des Weiteren auch musikalisches Neuland. Für die „Jesus Christ Superstar“-Produktion des Münchner Gärtnerplatz-Theaters wurde sie für die Percussions engagiert. Sie freue sich auf die Umsetzung der anspruchsvollen Partitur zusammen mit Orchester, Rockband, Sängern und Tänzern: „Live spiele ich sonst mit Bands oder einem DJ, da bin ich sozusagen das Live-Element, schnalle meine Instrumente um und gehe zu den Menschen auf die Tanzfläche.“

Natascha Gerold

Die Ausstellung „Habseligkeiten“ ist vom 1. Mai bis zum 18. Juni 2017 rund um die Uhr im Donisl-Schaufenster 2 am Marienplatz zu sehen. Die Rockoper „Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber hat Premiere am 18. Mai 2017 in der Münchner Reithalle. Weitere Termine hier.

 

 

 

Veröffentlicht am: 01.05.2017

Andere Artikel aus der Kategorie