Karl Stankiewitz schaut zurück auf 50 Jahre Olympische Spiele in München, Teil II

Die Welt zu Gast bei Waldi - wie Herzen und Geldbörsen geöffnet wurden

von Karl Stankiewitz

Sommerfest im Olympiapark. Foto: Thomas Stankiewicz

Ein bunter Dackel soll „die Welt“ nach München locken. Die höchsten Repräsentanten des Olympischen Komitees haben sich im Januar 1971 getroffen, um den kleinen Kläffer in vielfacher Ausfertigung als offizielles Maskottchen der XX. Sommerspiele vorzustellen. Auf der Internationalen Spielwarenmesse Nürnberg zunächst soll der sogenannte Olympia-Waldi auf den Weltmarkt gebracht werden. „Der Dackel gilt überall als typisch deutsches Tier“, erklärt NOK-Präsident Willi Daume den herbei gerufenen Journalisten.

Für München gilt sein Befund besonders. Bei Daumes daheim in Wanne-Eikel war die Idee geboren worden. Mit Plastilin, Buntstift und Zeichenblock haben die Organisatoren bei Punsch und Zimtsternen das Maskottchen entworfen. In der Abteilung für Visuelle Gestaltung, die der geniale Designer Otl Aicher in Ulm leitete, wurde das Tier mit Lineal und Zirkel in das „offizielle Erscheinungsbild“ der Spiele eingefügt. Das Ergebnis war eine verbindliche Silhouette, die jetzt von 15 Herstellerfirmen nachgebildet und verkauft werden darf. Das bunte Dackeltier, das zwischen 5 und 25 DM kostet, findet sich denn auch schon auf zahllosen Weihnachtsbäumen, in Holz oder Stoff, aufblasbar oder zerlegbar, aus Frottee oder Plüsch, schwanzwackelnd, auf Rädern, als Puzzlespiel oder Anstecknadel, zum Draufsitzen oder als Knutschtier. Willi Daume erwartet einen „erheblichen Beitrag zu unseren Haushaltsmitteln“.

Außerdem blüht das Geschäft mit der „Schnecke“, wie man ein weiteres Logo neben den historischen Fünf Ringen und dem „Olympia-Waldi“ nennt. Diese Spirale war bereits 1968 präsentiert worden. Bis Weihnachten 1971 erlösten die verschiedenen olympischen Geschenkartikel bereits fünf Millionen DM – so viel war insgesamt bestenfalls erwartet worden. Die Schnecke ziert Kerzen und Krüge, Betten, Ketten und Manschetten, Schminkbeutel, Korkenzieher, Kleiderhaken, Kartenspiele. Rund 700 verschiedene Artikel, hergestellt von mehr als 250 Firmen, haben bisher die Lizenz des Olympischen Komitees erhalten, die Embleme der Spiele von München und Kiel merkantil verwenden zu dürfen.

Bis zum Februar 1972, so schätzt man, werden über 1000 Olympia-Souvenirs auf dem Markt sein. Deswegen ist der Voranschlag verdoppelt worden, auf 10 Millionen DM. Das bedeutet einen Umsatz von fast 5 Millionen DM, denn die Lizenzgebühren betragen fünf bis 30 Prozent vom Verkaufspreis. Allerdings versuchen viele Geschäftemacher, im Fahrwasser des Olympia-Souvenirs im Trüben zu fischen. Denn im Gegensatz zur Schnecke sind die Fünf Ringe nicht geschützt. Auch nicht das Münchner Kindl, der bayerische Seppl oder das Lied vom Hofbräuhaus, das jetzt aus pseudo-olympischen Maßkrügen tönt.

Und auch unter den Waldis laufen viele falsche Hunde herum. Fast 1000 von rund 5000 Münchner Dackeln wackeln am 10. Januar 1972 durch die neue Fußgängerzone. Hans-Jochen Vogel marschiert mit seinem eigenen langhaarigen Vierbeiner auch mit – eine seiner letzten Amtshandlungen als Oberbürgermeister. Der kleine Krummbeiner des Prinzen Rasso von Bayern vertritt den bayerischen Hundeadel. Auch die leibliche Mutter und eine „Wurfschwester“ des offiziellen Olympia-Maskottchens Waldi sind mit von der Dackelpartie. Nur „beißehitzige Hündinnen“ mussten fernbleiben, denn „die machen uns die Rüden verrückt“, bittet Willy Schachtner, der Vorsitzende des Bayerischen Dachshundeclubs von 1893.

Eine echt Münchner Viecherei ist auch der lautstarke Auftakt der Olympia-Lotterie. Sie läuft unter dem Motto „Ein Platz im Stadion«“ und soll vor allem den Einwohnern der Region München die Chance geben, doch noch an der Eröffnungs- und Schlussfeier unmittelbar teilzunehmen. Denn für diese Veranstaltungen wurden deutsche Bundesbürger bislang nur über die Fernsehlotterie „Glücksspirale“ bedacht. Rund 40.000 Eintrittskarten wurden und werden noch auf diese Weise ausgespielt. Die übrigen Karten für Eröffnung und Schluss – insgesamt 160.000 Plätze – sollten ins Ausland gehen oder an Ehrengäste und Journalisten. Über die neue Losbriefaktion werden nun weitere 15.038 Karten ausgespielt, und für nur zwei DM pro Los kann nun doch jeder gemeine Bürger dabei sein. Eine Million DM der Lotterieerlöse gehen an die Stadt München; der Zuschuss soll für die olympische Ausschmückung, für die Beflaggung, Bestrahlung und Begrünung von Straßen, Brücken und Gebäuden verwendet werden. Alexander Jauch von der Staatslotterieverwaltung hat indes die Sorge, „dass große Unternehmen ihre Leute schicken und ganze Loskästen à 500 DM aufkaufen“. Die Losverkäufer erhalten immer wieder Anfragen von Firmen, die 1.000 DM und mehr für eine so repräsentative Olympia-Eintrittskarte bieten. Damit freilich käme der Grundsatz, auf dem die ganze Glücksspielerei um die olympischen Spiele samt der Gaudi mit den Dackeln beruht, bedenklich ins Wackeln: Jedem Bürger die gleiche Chance. Man muss halt nur ein bisschen Glück haben.

Allerdings: Ohne Spenden geht’s nicht. Olympia hat die Herzen und Geldbörsen geöffnet. Denn der Goldregen von fast zwei Milliarden DM, der aus öffentlichen Haushalten in die „Weltstadt mit Herz“ und ihre olympischen Satelliten strömt, der würde bei weitem nicht reichen für all die gigantischen Projekte. So wird denn fleißig gesammelt von privaten Vereinen, Fernsehanstalten, Zeitungen, Banken, Bundesbahn, Stammtischen und vielen anderen Stellen. Auch wenn man keine Eintrittskarte ergattern kann – für 5 DM ist man doch dabei und hilft ein bisschen mit, der Welt das neue, das „freundliche und heitere“ Deutschland des Willi Daume zu zeigen.

Einer dieser Geldeintreiber im nationalen Interesse ist der „Verein zur Förderung der Olympischen Spiele e. V.“ in München. Seinem 85-köpfigen Kuratorium gehören Prominente wie der Kugellagerprinz Gunter Sachs, die Waschmittelkönigin Gabriele Henkel, ZDF-Intendant Karl Holzamer und CSU-Fußballfreund Richard Stücklen an. Diesem Verein gelingt es, bis Oktober 1971 über 1,1 Millionen DM in bar sowie Sachspenden im Wert von 37 Millionen DM zu sammeln. Was da alles so eingeht oder kostenlos angeboten wird, das könnte das größte überdachte Einkaufszentrum Europas füllen, welches in der olympischen Pressestadt gebaut wird: Rasendünger in rauen Mengen, 22.000 Zahnbürsten, Erbseneintopf, 2 Millionen Liter Benzin, eine komplette Sauna, 827 Kleinbusse, Kekse, 6000 Fackeln, 16 Schweinehälften, 32.000 Kartoffelknödel („für jeden Sportler und Journalisten zwei“, ordert der Spender aus Darmstadt), Schmelzkäse, Schokolade, Schreibmaschinen und sogar ein Flugzeug samt Pilot. Nicht immer freilich dürften solche Spenden purer Sportbegeisterung, nationalen Gefühlen oder reinem Edelmut entsprungen sein.

Immerhin darf sich jeder deutsche Krautbauer, der die Spitzensportler von Abessinien bis Zypern mit einer typischen Frucht des Gastlandes zu laben bereit ist, nunmehr „Olympia-Zulieferer“ nennen. Frei von derlei Hintergedanken waren sicherlich jene braven Leute, die sich der bundesweiten Olympia-Aktion einer Münchner Zeitung angeschlossen hatten: Da knackte ein Berliner Sparverein sein Sparschwein und schickte 835,60 DM in verschiedenen Währungen. Kegelklubs ließen alle neune für Olympia fallen. Tanzkapellen spielten auf und ließen den Teller kreisen. Hausfrauen dichteten Lieder, Künstler zogen die Spendierhosen an, Kartenspieler baten zur Kasse. An Ideen, die in Geld und schließlich in Goldmedaillen umzusetzen sind, fehlte es wahrlich nicht. Eine Münchnerin ließ alle Besucher im Krankenhaus ihren Namen aufs Gipsbein schreiben und kassierte von jedem eine Deutsche Mark. Ein Autogrammsammler aus Köln schickte die Unterschriften von Wernher von Braun und Otto Hahn. Und ein 64-jähriger Wandersmann aus Wietze suchte einen Tippelbruder, um mit Banjo und Ziehharmonika durchs Land ziehend für München '72 zu sammeln.

Olympia-Souvenirs aller Art, offizielle ebenso wie Fantasieprodukte von privaten Herstellern, werden auch heute noch gefragt und gehandelt. Im Münchner Glockenbachviertel betreibt der Olympia-Fan Thomas Zufall seit Jahren ein Restaurant namens “München 72”, das einen Teil seiner Souvenirsammlung zeigt: Krüge, Teller, Dackel, Kacheln, Uhren, Tickets, Fähnchen, Kleider, Türmchen, Streichhölzer, Postkarten, Bücher, Schallplatten, alles mit olympischen Kennzeichen.

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Die zweite Abendveranstaltung, die im Rahmen der Ausstellung „50 Jahre Olympiapark“ stattfindet, hat am Dienstag, 1. Februar 2022, die Welterbe-Bewerbung zum Thema. Die digitale Veranstaltung beginnt um 18 Uhr. Außerdem können Interessierte die Ausstellung kommende Woche wieder bei zwei Führungen kennenlernen: Am Montag, 31. Januar, digital und am Freitag, 4. Februar, in der Rathausgalerie, jeweils von 17 bis 18 Uhr. Anmeldung für alle Termine unter https://veranstaltungen.muenchen.de/plan/veranstaltungen.

Wie kann es gelingen, das kulturelle Erbe des Olympiaparks zu bewahren und ihn gleichzeitig als lebendigen Ort weiterzuentwickeln? Darum geht es bei der Veranstaltung am 1. Februar. Der Park soll Unesco-Weltkulturerbe werden, der Titel ist Chance und Verantwortung zugleich. Welche Verpflichtungen sind damit verbunden und wie kann die Landeshauptstadt davon profitieren? Darüber sprechen auf Einladung von Stadtbaurätin Professorin Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk, Professorin Regine Keller von der Fakultät für Architektur (Technische Universität München), Marion Schöne, Geschäftsführerin der Olympiapark München GmbH, Patricia Alberth, Leiterin Zentrum Welterbe Bamberg, und Markus Mitterer, rehab republic. Riitta Salastie von ICOMOS Finnland hält eine Key Note. Es moderieren Nicolette Baumeister und Claudia Neeser.

„50 Jahre Olympiapark – Impulse für Münchens Zukunft“ – so lautet der Titel der aktuellen Jahresausstellung des Referats für Stadtplanung und Bauordnung. Sie ist Teil des Jubiläumsprogramms der Stadt zum 50-jährigen Jubiläum der Olympischen Spiele „München auf dem Weg in die Zukunft 1972–2022–2072“. Im Zentrum der Ausstellung stehen der Olympiapark und seine Bauten. Zu sehen sind Modelle und Originalexponate. Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen von 1972 bis zum Stadtentwicklungsplan 2040. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen zum Mitnehmen, ein abwechslungsreiches Programm lädt zur Diskussion ein. Die Ausstellung ist bis 11. März 2022 täglich von 13 bis 19 Uhr in der Rathausgalerie zu sehen. Informationen unter muenchen.de/olympiapark50.

 

Veröffentlicht am: 30.01.2022

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