Für New York zuwenig, für München genug?
Münchens Opernliebhaber müssen sich zum Auftakt der Festspiele mit einer Bondy-Inszenierung zweiter Wahl zufrieden geben, trotz eines Stars wie Jonas Kaufmann als Cavaradossi in Puccinis "Tosca".
Luc Bondy, normalerweise Spezialist für Liebe und Begehren, inszeniert also Tosca. Und das ist die Crux. Die Inszenierung war für die Metropolitan Opera New York konzipiert. Da hatte das grandios besetzte Puccini Werk (Karita Mattila als Floria Tosca und Jonas Kaufmann als Mario Cavaradossi) am 21. September 2009 Premiere gefeiert.
Gefeiert? Nein, sicherlich nicht.
Die Inszenierung kam nicht gut an beim New Yorker Publikum und erntete mehr Buhs und Bähs als Applaus. Und das ist der Grund, warum das Münchner Publikum nun in den Genuss einer Bondy-Inszenierung kommt.
Erst einmal nicht schlecht, denkt man sich. Ist Bondys ewiges Thema doch der Eros, die Anziehung, das Begehren, die Liebe schlechthin. Wenn dieser Stoff nicht hergibt, wonach sich Bondy sehnt, welcher dann?
Der erste Akt spielt in einer verlassenen Kirche. Cavaradossi, ein Maler, trifft seine Geliebte, die Opernsängerin Tosca und verabredet sich mit der überaus Eifersüchtigen auf ein Stelldichein in ihrem Liebesnest. Zuvor hat er seinen alten Freund Angelotti (Christian Van Horn) in einem der Kreuzgänge versteckt. Angelotti wird nämlich von den Schergen der Militärdiktatur gesucht. Scarpia (Juha Uusitalo), der Anführer eben jener Schergen, taucht in der Kirche auf und schafft es, Tosca eifersüchtig zu machen. Er pflanzt, wie Jago, den Zweifel in ihr Hirn. Sie wird ihren Geliebten und den Gesuchten verraten.
Von hier ab nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Scarpia jedoch will mehr als Jago. Der Venetianer will lediglich Othello zu Fall bringen, Scarpia jedoch will Tosca besitzen. Nur nach Folter von Cavaradossi, bei der Tosca beiwohnen muss, verrät sie den Aufenthaltsort von Angelotti und besiegelt damit sein Schicksal, aber auch das ihres Geliebten.
Verhandlungsbasis würde Scarpia das heutzutage nennen. Er unterbreitet ein Angebot: Einen Geleitbrief für die schöne Opernsängerin und ihren Maler für einen der höchsten Momente mit ihr. Tosca willigt ein, nicht ohne abgestoßen zu sein, aber sehr wohl im Bewusstsein, dass dies die einzige Möglichkeit ist mit soetwas wie Leben davon zukommen. Scarpia, der in München gesanglich dünn auftritt, verabredet eine Scheinhinrichtung, um sich dann sogleich über die Schöne her zu machen. Aufzugeilen könnte man auch sagen. Sie, eine Frau der Tat, erdolcht ihn und eilt in den Kerker, um Caravadossi von der Hinrichtung zum Scheine zu unterrichten. Möglichst realistisch solle er sterben. Was er auch tut. Jedoch leider ohne Spiel. Der gerissene Scarpia verschwendet keinen Gedanken daran, den Landesverräter am Leben zu lassen. Obligatorisch für das Frauenbild zu Puccinis Zeiten muss die verzweifelte Tosca sich nun vom Turm stürzen, um ihrem Liebsten in eine andere Welt zu folgen.
Soweit die Geschichte. Die Luc Bondy Geschichte. Wie auf den Leib geschneidert, so könnte man meinen.
Doch passiert auf der Bühne reichlich wenig und vorallem reichlich wenig Neues.
1. Akt: Bondy gibt dem Zuschauer alles was er nach naiver Lektüre erwartet. Riesiger leerer Krichenraum, eine überdimensionale Leinwand mit Frauenporträt und bedient sich reichlich am Künstlerklischee der Moderne.
2. Akt: Er wird moderner: ein Innenraum, 2 Sofas, 3 Statistinnen, 4 Stühle. Bemerkenswert, aber auch nicht wirklich, die Statistinnen sind leichte Damen, Nutten könnte man sagen, die Scarpia um sich schart. Abstoßend oder widerlich macht ihn das aber noch lange nicht. Eher lächerlich.
3. Akt: Ein gemauerter Kirchturm, dessen Spitze man nicht sieht, eine Treppe zur Unterbühne, Soldaten mit Gewehren.
Dazwischen passiert wenig, bis gar nichts. Enttäuschend. Bis auf das Licht. Das ist famos. Immer kommt es von außen, immer zeichnet es eine andere Welt. Durch Fenster und Türen dringt es herein in die Düsterheit. Nie ist der Bühnenraum ausgeleuchtet, meistens können wir nicht viel erkennen. Die Sänger werden mit Suchern aufgehellt, der Raum bleibt im Obskuren. Das ist großartig. Und dann, im 2. Akt, wenn Tosca in einem inneren Kampf die Möglichkeit des Selbstmordes nach dem Mord an Scarpia abwägt, dann wird die Bühne in güldenes Licht getaucht bis das Geschehen bronzen anmutet. Bronzen wie Statuen, bronzen wie Metall, unverbiegbar, unnachgiebig aber auch nicht fähig sich anzupassen auf Dinge zu reagieren. Stagnation. So sinkt Tosca nieder in diesem nun monochromen Raum.
Aufzug dritter Akt, wir finden uns an den Gefängnismauern wieder. Bevor die beiden Abschied nehmen, sagen sie noch: „Sprich noch einmal von unserer Zukunft! Jubelnd werden wir unsere Liebe feiern!“ Diese Zukunft jedoch wird es nicht geben. Tosca, die keinen Ausweg mehr sieht, läuft den Turm hinauf, weg von den Wachen, die sie als Mörderin ergreifen sollen, weg auch von einem Leben ohne ihren Geliebten. Hier erlaubt sich Bondy einen Scherz: comichaft stürzt Tosca beinahe versehentlich aus dem Fenster hinunter. Ein Lacher. Black.
Schwierig war Bondys Situation sicherlich. Nach dem Auftrag zur Neuinszenierung der von den New Yorkern heiß geliebten Inszenierung von Bondys Vorgänger befand er sich in einer diffizilen Lage. Wieviel Erneuerung ist dem Publikum zuzutrauen, was darf man wagen und was muss gewagt werden. Diesen Grat beschritt er nicht wirklich erfolgreich, irgendwo zwischen den beiden Gipfeln des Konservativen und Progressiven ging Bondy verloren und leider auch seine sonst so individuelle Note.
Jona Goldschmidt
(Der Autor ist freier Mitarbeiter des Kulturvollzug)