Vorschau auf das Festival Radikal Jung am Volkstheater

Feiern in Zeiten des Sparens

von Michael Weiser

Pssst, weitersagen: Radikal Jung startet am 27. April 2025. Unter anderem gibt es "Er putzt". Foto: Volkstheater

Acht Tage, 14 Produktionen: In Zeiten des Sparens geizt das Münchner Volkstheater nicht beim Festival "Radikal Jung", das am 27. April 2025 beginnt und am 4. Mai endet. Zu sehen sind Stücke aus Aachen, Berlin, Dortmund, Düsseldorf, Jena, Wiesbaden und Wien. Gastgeber Volkstheater schickt "Caligula" ins Rennen, außerdem ist aus München erstmals das "HochX" vertreten.

Intendant Christian Stückl lachte mitunter während seiner einleitenden Worte zur Pressekonferenz zu "Radikal Jung 2025". Es war ein Lachen, das keinesfalls vollkommen der Heiterkeit entsprang, sondern vielleicht der Verzweiflung. Oder auch der Erleichterung - darüber, dass das Volkstheater überhaupt die aktuelle Auflage stemmen konnte. Ausgerechnet im 20. Jahr des Bestehens sei das Festival in Frage gestanden, sagte Stückl im Theaterrestaurant "Schmock", so extrem sei es bespart worden. "Wir mussten mit zwei Millionen Euro weniger auskommen", sagte Stückl. Was bedeutet: Das Theater griff seine Rücklagen an.

Auch auf die Jury hatte der aktuelle Sparkurs im Kulturbereich Auswirkungen. Der Dramaturg und Co-Leiter der Berliner Sophiensaele sah sich gezwungen, sich intensiver um sein eigenes Haus zu kümmern, auch Florian Fischer musste absagen. Es fanden sich zusammen: erneut C. Bernd Sucher, dazu die Theaterkritikerin Christine Wahl sowie die Volkstheater-Dramaturgin Hannah Mey und ihr Kollege Leon Frisch. Das Quartett schwärmte aus, um über 50 Stücke zu sichten. Wer etwas entdeckt hatte, sagte den andern bescheid - die sich das Stück dann ebenfalls ansahen. Ein großes Stück Arbeit, das Ertrag brachte: Mit 14 Produktionen plus Extra-Programm ist die Auflage 2025 überdurchschnittlich reichhaltig bestückt.

Zum Auftakt am Sonntag, 27. April, gibt es "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert zu sehen, Adrian Figuoera führte in dieser Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses Regie. Das Stück sei  "eine drängende Warnung vor dem Krieg", sagte Leon Frisch bei der Vorstellung des Festival-Spielplans.

"Unser Deutschlandmärchen" ist Antigone Akgüns Adaption von Deincer Gücyeters Roman. Die Produktion aus Aachen erzähle deutsche Geschichte "am Beispiel starker Frauen", sagte C. Bernd Sucher.

Das Theater Jena reist mit "rhapsody" an, einer Folge surrealistischer Bilder, die die Konfrontation junger Menschen mit den Krisen dieser Welt zum Thema haben. Das Münchner Volkstheater präsentiert "Caligula", das Drama über einen zunächst an sich liebenswerten Menschen, der auf der Suche nach persönlicher Freiheit über Leichen geht. Regisseur Ran Chai Bar-zwi hat Regie geführt und aus Camus etwas kopflastigem Text einen spannenden Abend gemacht.

Das Kollektiv Institut für Medien, Politik und Theater von Felix Hafner, Jennifer Weiss und Anna Wielander befasst sich in "Nestbeschmutzung" mit Machtstrukturen und Machtmissbrauch im Theaterbetrieb selbst. Textbearbeitung ohne Sprache - dieses spannende Unterfangen startet das Staatstheater aus Wiesbaden mit Marie Schleefs Produktion "Er putzt". Kritikerin Wahl versprach bei der Spielplan-Vorstellung ein "entspanntes Körpergefühl". Die "Abwesenheit des Wortes wirkt wie ein Wahrnehmungsverstärker", sagte sie.

Viele kennen Kafkas Käfer-Geschichte "Die Verwandlung". Auf der Bühne war sie eher selten zu sehen. Gut, dass es das Düsseldorfer Schauspielhaus gibt, an dem Kamilé Gudmonaité den Text inszenieren konnte. "Ein Abend, der anders übers Theater denken lässt", sagte Hannah Mey.

Eine musikalische Performance zeigt Meo Wolf in seiner Produktion für die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin: "Sally - mein Leben im Drag". Es gehe darin um fluide Geschlechteridentitäten, "ungmein unterhaltsam", sagte Leon Frisch. "Gittersee" von Charlotte Gneuß, eine Uraufführung am Berliner Ensemble, erzählt von einer Jugend in der DDR. Regie führte Leonie Rebentisch. Was die Autorin da erzähle, kenne man so definitiv nicht, sagte Christine Wahl. Das auf die Bühne zu bringen, umschrieb sie als gewagt - und gelungen.

Ein "Parforceritt durch die Geschichte der Ungerechtigkeit" ist nach Suchers Worten Lorenz Noltings Inszenierung "Kohlhaas (Glück der Erde, Rücken der Pferde)" am Theater Osnabrück.

Das Theater Dortmund ist mit der Groteske "Der Dämon in dir muss Heimat finden" bei Radikal Jung vertreten. Eine Arbeit, die zeige, wie "Spiritualität kommerzialisiert und Selbstoptimierung kapitalisiert" werde, sagte Hannah Mey über das Stück mit Lola Fuchs, die auch Regie geführt hat.

Die Perspektiven von Tätern und Opfern in der Shoah beleuchtet "Rachel und ich", eine Produktion von Lola Obermayer und Rachel Troy für das HochX Theater und Live Art München e.V. in Zusammenarbeit mit den Sophiensaelen und dem Theater Rampe. Lulu Obermayer und Rachel Troy schließen Freundschaft und gehen auf  Erkundungstour in die Familiengeschichte. Ein Zusammentreffen der Enkelinnen.

Was René Benko angerichtet hat, kann man unweit des Volkstheaters ansehen: Am Karstadt am Hauptbahnhof und ein paar Meter weiter an der Alten Akademie an der Fußgängerzone. "Aufstieg und Fall des Herrn René Benko" zeigt das Volkstheater Wien in der Lecture-Performance von Calle Fuhr. Als "theatrales Hütchenspiel" bezeichnete Sucher die Arbeit.

Und dann ist da nochmals die Volksbühne. Die zweite Produktion ist die "Weiße Witwe" von Kurdwin Ayub. Europa, islamisch beherrscht? Angstfreier als Michel Houellebecqs "Unterwerfung" wird man sich das für diesen Abend vorstellen können, spektakulär auf jeden Fall. "Eine vitale Ode an die klischeezersetzenden Kräfte der Farce", findet Christina Wahl.

Christian Stückl musste nach der lockeren Vorstellung des Programms durch die Jury-Mitglieder gleich weiter. Zum Gespräch mit dem Stadtkämmerer, wie er sagte. Das Theater zu halten sei eben "eine große Herausforderung". Die Karten teurer machen? Schrecke irgendwann das Publikum. Mehr Auslastung? Gehe bei - ohnehin ungemein starken - 94 Prozent kaum.

Das Geld ist knapp. Einen Publikumspreis wird es dennoch geben. Die "Freunde des Volkstheaters" loben 4000 Euro für den Abstimmungssieger oder die Gewinnerin aus. 2024 gewann die Inszenierung "Blutbuch" von Kim de l'Horizon in der Fassung und der Regie von Jan Friedrich am Theater Magdeburg.

 

 

 

 

Veröffentlicht am: 31.03.2025

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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