Nächster Halt: Hölle! Ein Interview mit Ulrich Seidl
Der Regisseur Ulrich Seidl wird gefürchtet: in jedem seiner Filme steigt er in einen höllischen Abgrund. Seidl wird bewundert: Filmemacher wie der Altmeister Werner Herzog haben ihn und sein Werk geadelt. Seidl wird getroffen und interviewt: vom Kulturvollzug im Münchner Gasteig.
„Noch nie habe ich im Kino so geradewegs in die Hölle geschaut“, Werner Herzog („Fitzcarraldo“) bezieht sich in dieser Bemerkung auf sein Filmerlebnis mit Ulrich Seidls Dokumentation "Tierische Liebe" (1995). Darin zeigt der 57 jährige Österreicher einsame Menschen, die mit ihren Haustieren leben, als wären es ihre Lebenspartner, Liebhaber oder die besten Freunde. Herzogs Satz ist überhaupt der passende Slogan für Seidls Werk. Seien es seine ausgewiesenen Spielfilme „Hundstage“ (2000) und „Import Export“ (2007) oder seine Dokumentarfilme - die bei Seidl nur pro forma als solche zu bezeichnen sind, denn Seidl ist ein Filmautor der sich konsequent an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion bewegt - immer taucht Seidl ganz tief ein in die intimsten Abgründe der Menschheit. Gerade dreht er an seinem Projekt „Im Keller“. Darin blickt Seidl in die Keller seiner Heimat Österreich. Matthias Leitner hat sich mit ihm unterhalten – nicht unter der Erde, sondern auf einer Terrasse des Münchner Gasteigs.
[caption id="attachment_660" align="aligncenter" width="600" caption="Einblick in die Hölle - \"Tierische Liebe\" von Ulrich Seidl"][/caption]
Herr Seidl, sind sie religiös?
Nicht in dem Sinne, wie man das üblich versteht. Ich bin aber durch meine Herkunft und meine Kindheit sehr viel mit Religion in Berührung gekommen. Das ist etwas, das zu meinem Wesen und meinen Wurzeln gehört. Ich bin also immer wieder damit beschäftigt.
Ich habe nämlich zuletzt mit einem Bekannten über ihre Filme diskutiert. Und der hat gemeint: „Ich mag den Seidl nicht so gerne. Ich finde was er macht relevant und es ist wichtig, dass es einen solchen Filmemacher gibt. Ich mag aber den Katholizismus in den Filmen nicht.“
Das ist erst einmal sein Problem. Ich glaube nicht, dass in den Filmen, wenn man sie sieht, sofort Katholizismus mitspielt. Das passiert dann erst im Kopf des Zuschauers, das liegt an dem was man in die Filme hinein liest. Allerdings habe ich einen Film gemacht mit dem Titel „Jesus, du weisst“. Der hat sich ausschließlich mit Religion befasst. Allerdings in dem Sinn, dass er Menschen gezeigt hat, die beten. Und ich habe gezeigt: was bedeutet das Beten eigentlich? Dem habe ich versucht nahe zu kommen. Das hat auch nicht in erster Linie mit Katholizismus zu tun. Weil: gebetet wird in verschiedenen Religionen.
[caption id="attachment_661" align="alignright" width="225" caption="In 'Jesus, du weisst' untersucht Seidl die Geste des Betens"][/caption]Also ging es um die Geste des Betens. Was bedeutet sie? Was steckt hinter der Geste?
Schauen sie. Das Beten ist der intimste Akt, den der Mensch machen kann. Ich finde Beten wesentlich intimer als Sexualität, Nacktheit oder Pornografie. Es war natürlich nicht leicht den Film zu machen. Ich wusste auch gar nicht, ob ich ihn zustande bringen werde, indem ich Menschen zeige die tatsächlich öffentlich vor der Kamera ihr Innerstes, ihr Verhältnis zu Gott darlegen.
Entschuldigen sie, dass ich sofort darauf anspringe. Aber Pornografie ist eines der ersten Schlagwörter die zu Seidl Filmen kursieren. Jetzt halten manche sie für vollkommen unmoralisch. Andere nennen sie einen großen Romantiker, wieder andere behaupten sie sind zu katholisch. Ich selbst schwanke zwischen den Stühlen hin und her. Darum muss ich fragen: wie sehen sie sich eigentlich selbst?
Meine Filme werten ja nicht. Ich hab keine Moral die ich einer Figur meiner Filme aufdrücke. Ich werte nicht das Gute oder das Böse. Aber es steckt dahinter natürlich schon eine Lebensanschauung. Es geht natürlich schon darum Dinge widerzuspiegeln. Es geht immer um die menschliche Existenz, um die Würde des Menschen, um die Würde des Einzelnen. Auch um die Einsamkeit und die Sehnsucht. Dabei spielt die Intimität eine große Rolle. Ich versuche das alles immer über die Intimität des Menschen darzustellen. Also über die Persönlichkeit und natürlich auch über die Nacktheit.
Sie haben das, also ihre Art der Darstellung, einmal als einen „Schrei nach Liebe“ bezeichnet. Andere Worte, die immer wieder in der Beschreibung eines Seidl Filmes aufkommen und mir auch mit als erstes in den Sinn gekommen sind, wären: obsessiv und pervers. Seidl Filme lassen mich eigentlich immer erschüttert zurück. Da sind Momente dabei die mich ganz subjektiv verstören. Was haben sie eigentlich in ihrer Schaffenszeit über den Menschen herausgefunden? Ist der Mensch jetzt ein verstörendes und verstörtes Wesen? Oder ist er ein Liebe-Suchender?
Ich sehe darin überhaupt keinen Widerspruch. Die Filme sind in vielerlei Hinsicht ein Schrei nach Liebe. Und oft sind sie, wenn man so will, pornografisch, entblößend, verstörend. Das Eine hat mit dem Anderen ja auch zu tun. Was ich versuche ist schon die Abgründe des Menschen zu zeigen. Das macht letztendlich auch das Leben aus. Ich versuche Menschen zu zeigen, die etwas suchen und sich nach Erfüllung sehnen. Wenn man jetzt in das Private geht, dann ist das für viele Zuschauer ganz automatisch verstörend, weil man sich selber oft nicht sehen möchte. Die Wahrheit ist oft nicht zu ertragen - wie wir wissen. Wahrheiten leben oft sehr versteckt und diese Wahrheiten versuche ich zu zeigen. Zum Beispiel, dass der Mensch sich mitunter auch gegenseitig die Hölle bereitet.
Ich will jetzt nicht psychopathologisieren und keine autobiografischen Deutungsmuster aufmachen. Aber eines würde mich interessieren: wenn man sich immer wieder solchen Themen und Situationen aussetzt, wie wirkt das auf einen selber zurück?
Für mich ist es auf der einen Seite auch verstörend gewisse Dinge und Menschen kennenzulernen. Es ist oft auch deprimierend, weil man mitfühlt und den Menschen sehr nahe kommt. Ich kann mich ja davon nicht separieren. Ich bewege mich ja in verschiedenen Lebenssituationen und Lebensräumen anderer Menschen. Auf der anderen Seite ist es aber auch sehr bereichernd, weil man Erfahrungen macht, weil man reist und immer auch etwas erkennt.
Sie drehen gerade an einem neuen Film: „Im Keller“. Als ich gelesen habe, dass sie diesen Film machen, hatte ich reflexartig den Gedanken im Kopf: „Klar. Das muss der Seidl machen.“ Der Gedanke ist aber auch gefährlich, oder? Für sie als Filmemacher ist da eine riesige Schublade offen und da werden sie, zum Beispiel von mir, munter reingesteckt.
Ich sehe das so, wie ich es in einem Artikel gelesen habe: „Seidl hat das schon gemacht.“ Ich bin ja, wie der Fall Fritzl öffentlich geworden ist, von diversen Medien angefragt worden, ob ich eine Stellungnahme abgeben möchte. Ich habe das abgelehnt und habe gefragt: „Wieso ich?“ Eigentlich ist die Frage ja leicht zu beantworten. Viele Szenen meiner Filme spielen tatsächlich oder im übertragenen Sinne im Keller. Und deshalb lege ich wert darauf, dass das aktuelle Projekt mit der Kampusch-Geschichte, mit der Fritzl-Geschichte nichts zu tun hat oder haben wird. Nur es ist natürlich in den Köpfen der Menschen, niemand wird das mehr vergessen können.
Wie kommen sie mit ihrem Namen und einem gewissen Bekanntheitsgrad an die Protagonisten? Sie werden kaum in eine Suchmaschine die Worte Fetisch und Keller eingeben und dann im Anschluss die Trefferliste abhaken oder den Cast beieinander haben.
Der Prozess ist schwierig und langwierig. Ich beschäftige Mitarbeiter die suchen, ausschwärmen, Castings machen. Ich habe mich im Vorfeld sehr schwer getan mit diesem Film. Ich hab monatelang daran gearbeitet Menschen zu finden. Da spielt oft der Zufall eine gewaltige Rolle.
[caption id="attachment_662" align="alignleft" width="225" caption="Ulrich Seidl am Set von 'Hundstage'"][/caption]Es wird ja bei „Im Keller“ wieder eine Mischform sein. Das heißt: Schauspieler treffen auf Laien, die sich selbst verkörpern und manche Situationen sind dokumentarisch gefilmt, andere wiederum inszeniert. Einen der Protagonisten aus „Hundstage“ haben sie zum Beispiel in einem Swingerclub kennengelernt. Waren sie im Swingerclub um Protagonisten zu suchen, oder waren sie sowieso im Club und haben da zufällig jemanden kennengelernt?
Es war eigentlich ein anderes Projekt für das ich recherchiert habe. Bei der Recherche zu „Spass ohne Grenzen“ bin ich dann irgendwann in dem Swingerclub gelandet und da ist der Viktor Hennemann gestanden. Da ist mir dann gedämmert, dass er für die Rolle in „Hundstage“ in Frage kommen könnte. Und ich scheu mich ja nicht überall hinzugehen. Das heißt nicht, dass ich überall mitmachen muss, aber ich gehe überall hin. Man muss sich den Dingen, über die man erzählt, auch aussetzen können.
Vielen Dank für das Gespräch
Danke auch.
Mehr Informationen zu Ulrich Seidl und zu seinen Filmen findet ihr hier.