Ein paar Klischees und viele Überraschungen

von Michael Weiser

Ungebetener Besuch beim Maler höchstselbst: Ferdinand Hodler malte "Die Nacht" 1890. Bild: Kunstmuseum/Stadt Bern

Was macht die Schweiz zur Schweiz, was ihre Kunst unverwechselbar? Eine Antwort auf diese Frage gibt die aktuelle Ausstellung in der Hypo-Kunsthalle nicht unbedingt. Dafür bietet die Schau „Giacometti, Hodler, Klee. Schweizer Kunst aus sieben Jahrhunderten“ einen spannenden Querschnitt mit Überraschungen und deutlichen Hinweisen auf den Schweizer Hang zum Tiefstapeln.

Manch großes Land vereint nicht entfernt die Menge an Klischees, die man der Schweiz nachsagt. Bergig ist sie und bieder, fleißig und phantasielos, ruhig und rechtschaffen, feine Schokolade liegt ihr nicht weniger als feine Mechanik, den Mammon schätzt sie wie auch das Maß, das rechte. Und jetzt werden in der HypoKunsthalle sieben Jahrhunderte Schweizer Kunst präsentiert, und das auch noch aus dem Museum einer Stadt, die sogar für Schweizer Verhältnisse als langsam gilt: Bern! Da tanzt der Papst im Kettenhemd, und die Schweizer Garde wippt mit.

Schweizer Idylle, nah an Heidi: Albert Ankers "Mädchen mit Brot" von 1887. Bild: Kunstmuseum Bern

Gehen wir also los und schauen, was an ihnen dran ist, diesen langweiligen Klischess. Wo man die "Swissness" erkennen kann, auf die Berns Museumsleiter Mathias Frehner bei der Eröffnung ironisch anspielte. Wo finden wir das Schweizer Wesen? Vielleicht in einem gewissen Pragmatismus, der sich am „Allerseelenaltar“ eines unbekannten Berner Meisters vom Beginn des 16. Jahrhunderts in Löchern und Kratzern erahnen lässt. Während der Reformation in der Eidgenossenschaft schickten sich Bilderstürmer an, das Altarbild zu zerstören. Doch vollendeten sie ihr Werk nicht. Etwa weil den biederen Bilderstürmern gerade noch in den Sinn kam, wieviele Gulden das noch frische Gemälde gekostet hatte? Die unheimlichen Skelett-Ritter und -Mönche, die der Meister da malte, lassen allerdings dann schon den Gedanken an Abseitiges aufkommen.

Vielleicht treibt sich das Schweizer Wesen aber auch in den Bergen herum, die sich in der Hypo-Kunsthalle in so reichlicher Zahl abgebildet finden. Oder in Albert Ankers perfekten Genrebildern. Sie sind so sauber und unschuldig, dass sie auch in hartgesottenen Städtern eine zarte Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und ländlicher Idylle wecken. Ist es bezeichnend für einen Finanzstandort, dass Ferdinand Hodlers monumentaler „Holzfäller“ aus dem Jahre 1910 ausgerechnet als Entwurf für eine 50-Franken-Banknote entstand?

Vergessen wir’s, die Schweiz ist mehr als die Summe ihrer Klischees. Die Eigenart ihrer Kunst erschließt sich eher aus den Künstlerbiographien. So wie die Schweiz einst ihre Söhne nicht ernähren konnte und zu Europas wichtigstem Lieferanten von Landsknechten wurde, bot sie später ihren Malern nur karge Bedingungen und trieb sie förmlich ins Ausland. „Die Schweiz ist ein klassisches Reisläuferland", sagte Frehner, "auch für Künstler.“

Akademien gab es bis vor einem halben Jahrhundert nicht in der Eidgenossenschaft. Ehrgeizige Schweizer gingen im 19. und 20. Jahrhundert daher  ins Ausland, nach Paris, München oder Berlin, sie studierten in den Metropolen ihrer Zeit und gelangten dort auch zu Ruhm. Das ist die Kehrseite des Tiefstapelns: In einer Basisdemokratie lässt sich auch künstlerischer Adel nur re-importieren. Nur wer auswärts reüssierte, durfte sich der Anerkennung seiner Schweizer Landsleute sicher sein, und das vorzugsweise nach seinem Tode.

Dann aber flammte der Stolz auf den landsmännischen Musensohn um so stärker auf. Die Museen, die sich erst langsam von Liebhaberkabinetten zu Häusern europäischen Standards mauserten, kauften so weit wie möglich die Werke berühmter Einheimischer auf und zurück. Kein Wunder, dass sich die größte Sammlung von Ferdinand Hodlers Bildern in seiner Heimstadt Bern befindet. Der Druck, sich auswärts behaupten zu müssen, und die Offenheit gegenüber den Strömungen der Zeit wirkten sich insgesamt wohl segensreich aus. Gemessen an ihrer Einwohnerzahl stellt die kleine Schweiz viele große Künstler. Und zwischen den großen Namen endeckt man „vieles ebenfalls Bedeutendes und Werke von hoher Qualität“, sagt Frehner. Wie zum Beispiel von Karl Stauffer-Bern, der in München mit einem großen Gemälde, Ölportraits und eindrucksvollen Radierungen vertreten ist, unter anderem mit einem Portrait seines großen Vorbilds Menzel.

Ikone der Moderne: Alberto Giacomettis "Frau aus Venedig I" (1956). Bild: Kunstmuseum Bern

Man eilt durch die Epochen und fühlt sich bestens unterhalten. Die Giacometti-Familie hat, so stellt man wieder einmal beglückt fest, nicht nur Alberto hervorgebracht. Der Auktionsrekordhalter ist mit der ätherischen Plastik einer „Frau aus Venedig“ vertreten. Doch nicht minder eindrucksvoll sind die duftigen, bunten Werke seines Vaters Giovanni und dessen Freund Cuno Amiet, der sich auch als Vorreiter des Expressionismus a la "Brücke" zeigt. Dem allseits beliebten Paul Klee ist gar ein eigener Raum gewidmet. Im Zentrum steht allerdings Ferdinand Hodler: Symbolisches, gewaltig in Szene gesetzt, dazu Landschaften in klarem, kalten Licht, nach der Anschauung gemalt und doch der Abstraktion zustrebend. Bis in Moderne und Gegenwart galoppiert die Ausstellung, mit den Wahl-Davosern Ernst-Ludwig Kirchner (aus Aschaffenburg) und Hermann Scherer (Baden-Württemberg, mit dem hinterkünftigen Félix Valloton, mit Louis-René Moilliet und Bauhaus-Lehrer Johannes Itten, mit Pipilotta Rist und Daniel Spoerri und vielen, vielen anderen. Klischeeversessene werden bis zum Ende Überraschungen erleben – Abgründe und Gipfelleistungen gibt es in der Schweiz nicht nur in den Alpen.

Versponnener Meister: Paul Klees "Mit dem Sonnenschirm" (1938). Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Giacometti, Hodler, Klee. Höhepunkte der Schweiz aus sieben Jahrhunderten. Das Kunstmuseum Bern zu Gast in München, Hypo-Kunsthalle, bis 9. Januar, täglich 10 bis 20 Uhr. Katalog 25 Euro.

Veröffentlicht am: 05.10.2010

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Elvira Leutner
05.10.2010 21:07 Uhr

Der Artikel gefällt mir ebensogut wie die Ausstellung.

Toll fand ich dort die Vielfalt an Hodler-Gemälden, und dass auch Giovanni Giacometti neben seinem berühmten Sohn präsentiert wurde, allerdings wäre es schön, etwas mehr von Alberto zu sehen und auch Daniel Spoerri kommt für meinen Geschmack zu kurz.

Michael Weiser
06.10.2010 10:30 Uhr

Danke. Ich nehme mal an, bei Alberto ist allein schon die Versicherung zu teuer. Auf jeden Fall ist das mal kein Hochstapeln: Viel Hodler, Giacometti und Klee. Nicht so wie beim letzten Mal, wo man mit Edward Hopper und Gursky warb und dann jeweils nur ein Bild dieser Künstler zeigte.