Ist das Leben nur noch Internet? Ein interaktiver Abend von Antje Schupp im Pathos Atelier
Irgendwo zwischen den medienwirksamen Schlagworten "lebendige Demokratie", "Schwarmintelligenz" und "digitale Unterwelt" findet das sogenannte Internet statt. Und irgendwo in diesem Internet existieren wir. "Public Republic" ist ein Theaterprojekt der Münchner Regisseurin Antje Schupp über unseren Umgang mit den Risiken des Internet.
Wenn man überall rumerzählt, wo man wohnt, kann es sein, dass gar nichts passiert. Es kann aber auch sein, dass es bald darauf öfter mal an der Tür klingelt und man dies oder jenes kaufen soll. Nicht viel anders läuft es im Internet: Wer dort Persönliches öffentlich macht, sollte damit rechnen, dass seine Daten gegen ihn, also zu kommerziellen und schlimmstenfalls zu kriminellen Zwecken, verwendet werden. Trotzdem legen Millionen Internetnutzer einen Online-Datenstriptease hin, der einem mitunter den Atem stocken lässt: Alle möglichen Vorlieben, sowohl oben- als auch untenrum, sämtliche Körpermaße und -unregelmäßigkeiten, Anzahl der Kleinkinder bis auf drei Stellen hinterm Komma und so weiter. Aber was passiert mit all den Informationen in all den sozialen Netzwerken, werden die wirklich nur „verwaltet“?
Jedem siebten Internetnutzer ist es egal, was mit seinen Daten im Netz passiert, jeder zweite weiß nicht, wie er sich und seine Daten schützen kann. Das behauptet eine aktuelle Studie des Bundesverbands für Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien. Goldene Zeiten für Datenschürfer, bzw. genau der richtige Zeitpunkt mit der Unwissenheit Schrägstrich Dummheit der Menschen Geld zu machen.
Und schon sind wir mitten in der Gründungsveranstaltung der Internetfirma „Public Republic“ und „ganz herzlich willkommen!“ Andreas Hacker ist Robert und viel in Sachen „real time research“ unterwegs, Judith Huber verhilft dem Staatssekretär der Verbraucherministerin Ilse Aigner zu einem denkwürdigen Auftritt in geheimer Mission, ferner gibt es Stefanie Ramb alias Fräulein Stefanie, die live am Computer die Wertsteigerung des Unternehmens beobachtet. Der boss of it all ist Susanne Schroeder, sie spielt die hyperaktive Chefgründerin, dauerlächelnd im beigen Hosenanzug sprüht sie vor falschem Charme und aufgesetzter Freundlichkeit. Ihr positives Motivationsgelaber soll für unternehmerische Aufbruchsstimmung im Publikum sorgen: „Heute Abend erwarten sie Vorträge, ein Film und abschließend Sekt am Buffet“. Was stark untertrieben ist, denn es gibt sehr viel mehr zu sehen und zu erleben, unter anderem Expertengespräche, Gruppenarbeit, eine erste Dividendenausschüttung (13 Cent – „und das ist erst der Anfang“), Buchempfehlungen, eine Politikerrede und einen brutalen Endkampf.
„PublicRepublic“ ist ein interaktives Theaterprojekt der Münchner Regisseurin Antje Schupp, das sich mit der Naivität beschäftigt, die wir täglich online praktizieren. Hier soll an der eigenen Person erfahrbar werden, zu welchen mitunter fatalen Wechselwirkungen es zwischen Internet und Leben kommen kann.
Und schon geht es los mit der Interaktivität, denn um als Zuschauer eingelassen zu werden, muss jeder Einzelne Namen, Alter, Wohnort, Heimatstadt und Familienstand angeben, Fragen zu politischer Einstellung, Jahreseinkommen oder Musikgeschmack beantworten und sechs Seiten Kleingedrucktes akzeptieren. Dann darf man rein in das Atelier des Pathos Transport Theaters. Wer brav alle Fragen beantwortet, bekommt sogar ein paar Euro Preisnachlass. Wer gibt, dem wird gegeben. Bloß, wie viel soll man von sich preisgeben, beziehungsweise wie viel sind diese Daten eigentlich wert? Kommt darauf an für wen, meint der Münchner Blogger Deef Pirmasens, der auf der Bühne als Experte Rede und Antwort steht. Er kennt sich aus, da draußen im nahezu gesetzlosen wilden Web. Er weiß wie ein sicheres Passwort beschaffen sein muss, kann Publikumsfragen zur befürchteten Kooperation von Google mit dem US-Geheimdienst NSA beantworten oder iClouds erklären.
So wie sich Internet und Leben überschneiden und wechselseitig beeinflussen, so überschneiden sich an diesem Abend Realität und Fiktion: Eigentlich wird die Geschichte der Unternehmensgründung von „Public Republic“ erzählt, es werden aber auch Arbeitsgruppen im Publikum gebildet, die über konkrete Fragen wie „Kommt nach der Energiewende die Datenwende?“ nachdenken sollen. Verschiedene Ebenen werden miteinander verknüpft, so dass sie sich zwar ergänzen, aber auch gegenseitig in Frage stellen. Dabei entsteht … ja was eigentlich?
Es ist schön und lobenswert, dass man sich auch auf der Bühne Gedanken über das Internet macht, und einen unterhaltsamen, wenn auch naiven Kommentar zum weltweiten Datenverhau und -klau abliefert. Aber es ist auch schade, denn Theater kann so viel mehr sein als eine pseudo-informative Anstalt.
Barbara Teichelmann
Pathos Ateliers, Dachauer Straße 112 d, letzte Vorstellung Samstag (23. Juli 2011) 20.30 Uhr, Anmeldung Tel. 0152/054 356 09, www.publicrepublic.de