Enwezors Auftakt mit Ellsworth Kelly im Haus der Kunst: Rundherum elegant
Vorsicht, diese Kunst kann halluzinogene Wirkung haben! Sie sehen Dinge, die gar nicht da sind. Sie blicken in irreale Abgründe und auf nicht vorhandene Körper im Raum. Wenn Sie bereit sind für einen solchen Trip, sollten Sie diese Schau auf keinen Fall versäumen.
Die Droge an sich ist ungefährlich: Ellsworth Kellys rund 50 Bilder und Reliefs in Schwarz und Weiß, die jetzt im Haus der Kunst zu sehen sind. Man muss nur die Augen weit aufmachen.
Zur Eröffnung der Schau “Schwarz und Weiß“ durfte der Neue im Haus der Kunst, Okwui Enwezor, seine erste Pressekonferenz leiten und Kunstminister Wolfgang Heubisch mächtig stolz sein, dass die Bayern einen solchen Kultur-Coup gelandet haben und den „international renommierten“ Kurator, Wissenschaftler und Autor gewinnen konnten, der nun das unter Chris Dercon „international bedeutend“ gewordene Haus der Kunst noch ein bisschen bedeutender machen soll.
Die von Ulrich Wilmes kuratierte Kelly-Ausstellung bot jedenfalls den passenden Hintergrund für diese Präsentation: Sie wirkt elegant und sophisticated und dennoch gut geerdet – genauso wie der neue Direktor.
Der 1963 in Nigeria geborene Okwui Enwezor ging einst nach New York, um Politikwissenschaften zu studieren und gründete dort 1994 das „Journal of Contemporary African Art“. Er ist weiterhin Co-Kurator am New Yorker Center of Photography und hält Vorlesungen in Harvard. Hierzulande hat er sich 2001 mit der Schau „Short Century“ über Gegenwarts-Kunst aus Afrika in der Villa Stuck, sowie 2002 mit der Documenta 11 einen Namen gemacht. Genaueres über sein Programm verschob Enwezor allerdings auf Anfang 2012. Charmant, aber deutlich war nur seine Ankündigung, dass er nicht direkt in die Fußstapfen seines hochverehrten Vorgängers treten wolle, sondern nahe daneben. Dann überließ er seine neue Bühne Ellsworth Kelly (geboren 1923), dem großen alten Mann der Hard-Edge-Malerei.
Der US-amerikanische Künstler, der Ende der Vierziger Jahre in Paris zu seiner Art der Abstraktion fand und damit zurück nach New York reiste, führte die Sinneseindrücke so weit auf das Spiel von Licht und Schatten, Volumen, Masse, Figur und Grund zurück, bis nur mehr Farbflächen und geometrische Formen übrig bleiben. In seinen frühen Werken sind sich etwa eine radikal reduzierte Blume und eine Toilette von oben in ihrer zweidimensionalen Projektion ziemlich ähnlich - und wirken bestechend klar und wunderbar.
Der weite Weg seiner Motive aus der Realität der Gegenstände in die reine Abstraktion ist in der Ausstellung gut nachvollziehbar, denn sie zeigt auch Kellys Foto-Studien: etwa das Licht- und Schattenspiel eines Hauseingangs, einen Kartoffelschuppen auf Long Island, eine Hügellinie im Schnee oder eine zerbrochene Fensterscheibe in Paris. Darüber hinaus bestechen Prägnanz und Schönheit dieser Schwarzweißaufnahmen.
Man kann sich angesichts von Ellsworth Kellys Werk im Grübeln über die Abstraktion verlieren - oder einfach wirklich die Augen öffnen: Was passiert beim Zusammentreffen von Schwarz und Weiß? Frisst die schwarze Fläche die weiße Form auf? Wird Schwarz von Weiß zurückgedrängt? Können Schwarz und Weiß ein Gleichgewicht der Kräfte erreichen? Oder dominiert eine Farbe über die andre?
Man sieht mit einem Mal, wie ein weißes Trapez tanzt und ein schwarzes Quadrat zurückweicht. Und man erlebt, wie sich aufgrund unserer Seherfahrung Räume öffnen und Körper übereinanderschieben, wo eigentlich nur schwarze und weiße Flächen sind.
Eine Bronzeskulptur tritt wie ein schwarzer Papierflieger vor die Wand und scheint gleich abzuheben. Ihr Gewicht merkt man der Skulptur mit den präzisen Linien und Kanten nicht an.
Man verfolgt eine geschwungene schwarze Kontur, und fragt sich, wo sie jenseits des Sichtbaren, enden mag. Man blinzelt, weil plötzlich das Weiß so hell strahlt und das Schwarz so dunkel in die Tiefe zu führen scheint, dass die Grenzen verschwimmen. Und man stellt fest, dass der emotionale Wert der Farbe hier zwar fehlen mag, aber dass es Schwarz und Weiß an spannungsvoller Dramatik keineswegs mangelt.
Und das ist auch das, was Kelly selbst mit seiner Kunst im Sinn hat: Den Verstand auszuschalten und zu schauen, ohne erkennen zu wollen; nicht die Botschaft ist wichtig, sondern die Form. Dahinter blitzt, für einen Moment, das Erhabene auf. Denn wenn man quasi mit weit geöffneten Pupillen diesen Kick erreicht, beflügelt das auch den Geist.
Bis 22. Januar (Mo – So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr)
Bis 8. Januar (Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr) zeigt zudem die Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne Ellsworth Kellys „Plant Drawings“ Zeichnungen und Lithographien von Pflanzen