"Bei dem Wort Krimi bekomme ich allmählich eine Krise"
Heute Abend, um 21.45, strahlt die ARD die nächsten zwei Episoden von "Im Angesicht des Verbrechens" aus. An ingesamt fünf Terminen, entführt Regisseur Dominik Graf die Zuschauer in eine Welt aus Poesie und Brutalität. Bei uns spricht er über Krimis, Filmpreise und Perfektionismus.
Herr Graf, „Im Angesicht des Verbrechens“ lief im Februar auf der Berlinale, dann auf Arte. Mit dem ARD-Publikum aber wird jetzt der breite Massengeschmack getestet. Sind Sie gespannt?
Natürlich bin ich sehr gespannt. Das ist zwar kein Primetime-Platz, denn um 21.45 Uhr wird eine gewisse Breite des Publikums schon wieder enger. Trotzdem bin ich nervös, wie das wohl ausgeht.
Was glauben Sie denn, wie es ausgehen könnte?
Ich hoffe, daß mancher sich von der Geschichte wegtragen lassen wird. Bei neuen Serien ist es aber immer einerseits eine Geschmacksfrage des Einzelnen und andererseits die Frage, ob eine Erwartung aufgebaut werden konnte. Wichtig ist mir vor allem anderen, dass ich die Serie machen konnte.
Vertrauen Sie denn überhaupt dem breiten Geschmack?
Ich glaube, es wird immer schwieriger, anspruchsvollere Dinge bei der großen Masse von Zuschauern anzubringen. Im Moment ist es den Leuten eher wichtig, dass Filme voraussehbar sind. Sie sollen das bestätigen, was die Menschen ohnehin schon wissen – über das Leben, die Liebe oder Gut und Böse. Das war in problematischen Zeiten schon immer so. Man muss dann dafür kämpfen daß noch immer Unberechenbarkeiten in der Dramaturgie und Personenführung vorkommen.
Hätten Sie sich einen 20.15-Uhr-Platz gewünscht? Immerhin hat „Im Angesicht des Verbrechens“ einige drastische Szenen.
Es wäre natürlich eine Chance gewesen, noch mehr Menschen damit zu beglücken. Andererseits wird der Prime-time-Platz auch als eine in wachsendem Maß belastende Quoten-Verpflichtung empfunden. Trotzdem sehe ich auch wieder „Tatorte“, deren Härte und Spannung erstaunlich für den Sendeplatz sind. Darüber freue ich mich natürlich, weil es die Möglichkeit dessen, was möglich ist, erweitert.
Was war es in Rolf Basedows Drehbuch, dass sie gesagt haben: Ja, das möchte ich unbedingt machen?
Was ich da in die Hände bekommen habe, war ein Epos über das heutige Berlin, über die Verwicklungen der Zugewanderten, der Fremden mit den Einheimischen, den Altdeutschen sozusagen – verlegt auf die Verwicklungen zwischen neuer Kriminalität und alter Polizei. Da war ein unglaublicher Reichtum an Figuren und Erzählformen zu lesen, beinahe wie in „Tausend und eine Nacht“.
Sie beschreiben eine Welt, die der Normalbürger nicht kennt. Oder hatten Sie es etwa schon mal mit der russischen Mafia in Berlin zu tun?
Nein, ich führe ein ganz bürgerliches Leben. Aber ich bin immer wieder erstaunt, was für Unglaublichkeiten der Autor Rolf Basedow aus dem Untergrund der deutschen Gesellschaft zu Tage fördert. Das galt ja auch für unseren Film „Hotte im Paradies“, der das Leben der Westberliner Zuhälter auf überraschende Weise beschrieb.
„Im Angesicht des Verbrechens“ kommt in fünf Teilen. Können Sie sich vorstellen, dass der Zuschauer Spaß daran hat, den Film so zerstückelt zu sehen?
Ich habe zum Beispiel „Allein gegen die Mafia“, den berühmten italienischen Fernsehthriller aus den 80er Jahren, erst viel später auf DVD und in einem Rutsch gesehen. Da habe mir auch nicht vorstellen können, wie die Zuschauer damals – mit angehaltenem Atem – eine Woche lang darauf warten mussten, bis die Geschichte weiter ging. Aber sie tun es bei anderen Serien ja auch.
Waren Sie eigentlich überrascht, dass die Sender so mutig waren, sich Ihr Projekt anzutun?
Nein, nicht wirklich. Ich kenne schließlich einige der beteiligten Redakteure schon lange. Mit Wolf-Dietrich Brücker vom WDR, Andreas Schreitmüller von Arte und Stephanie Heckner vom BR habe ich mich schon sehr viele Dinge trauen dürfen. Ich muss mich einfach vor der Beharrlichkeit, Verschworenheit und Gemeinschaftlichkeit, mit der sie das Projekt in den eigenen Häusern durchgesetzt haben, verbeugen - gerade auch angesichts der vielen Probleme, die aufkamen.
Gab’s einen Moment, wo das Projekt so auf der Kippe stand, dass sie gedacht haben: Jetzt geht’s nicht mehr weiter?
Für mich persönlich und meine Mitarbeiter stand es nie auf der Kippe, weil wir dieses große Ding auf jeden Fall zu Ende machen wollten. Es gab aber Momente, wo tatsächlich eine Entscheidung hätte fallen können, die das Ganze hätte stoppen können. Jetzt weiß ich besser, auf was man bei solchen Monstern von Filmen im Vorhinein achten muss, was man für bestimmte Budgets leisten kann und was eben nicht.
Aber hinter so einem Projekt müssen schon Namen wie Dominik Graf und Rolf Basedow stehen, oder?
Nein, weder mein Name noch der von Rolf stehen ja für bombensichere Zuschauerquoten. Es gibt aber beim Fernsehen auch noch Menschen, denen einfach ein gutes Ergebnis, ein guter Film Freude macht. Und die sind stolz, wenn es vielleicht am Ende auch einen Preis gibt. Natürlich gibt es viele Leute in den Sendern, die sich fragen, wozu man komplexere Filme eigentlich noch machen soll und die auf die Quote starren wie das Kaninchen auf die Schlange.
Der Grimme-Preis für „Im Angesicht des Verbrechens“ ist ja so gut wie sicher...
Um Gottes willen, kein Preis ist sicher und kein Preis ist doch heute noch eine Versicherung, daß man in Ruhe weiter arbeiten kann. Es gibt einfach zu viele Preise, es gibt zu viele Filmhochschulen, es herrscht ein gewollter Overkill in der Branche.
Kann man heute fürs Fernsehen spannendere Dinge machen als fürs Kino?
Das ist schon lange so. Bereits in den 90ern hat sich abgezeichnet, dass das Kino immer mehr zur entweder Arthaus- oder Doof-Kommerz- und Literaturverfilmungs- Kultur hinneigt. Darüberhinaus haben wir inzwischen in den historischen Filmen a la "Leben der Anderen" oder "das weisse Band" eine Art Staatskino, mit dem ganz Deutschland seine Vorstellung von der deutschen Geschichte bestätigt fühlen kann. Es gibt eben kein Genrekino mehr. Nur noch im Fernsehen.
Im Genre Krimi zum Beispiel, schauen Sie regelmäßig „Tatort“?
Mich interessiert sehr, was aktuell an „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Fällen läuft. Da gibt es unglaublich gute Sachen –zum Beispiel beim Polizeiruf aus Mecklenburg-Vorpommern. Und es gibt auch bei den Münchnern oder anderen „Tatort“-Teams immer wieder plötzliche Highlights, die mich baff davor sitzen lassen.
Im „Tatort“ und anderen TV-Krimis ermitteln oft sehr deprimierte Polizisten. In „Im Angesicht des Verbrechens“ haben sie dagegen irrsinnig viel Vitalität. Wollten Sie das bewusst dagegen setzen?
Ich sehe mich mit dieser Serie gar nicht so sehr im Gros der deutschen Krimi-Landschaft. Schon allein bei dem Wort Krimi bekomme ich allmählich eine Krise, das steht für so was Kleines, Nettes, Feierabend-Beruhigendes. Aber ja, ich habe in den letzten Jahren entnervt beobachtet, dass die TV-Kommissare immer mehr mit sich selbst, mit ihrer Kindheit, ihren Ehepartnern und Kinderkriegen als mit den Fällen beschäftigt sind. Ich hoffe, dass die Kommissare sich wieder mit einem gewissen Enthusiasmus an ihre Arbeit machen anstatt nur persönliche Krisen durch die Gegend zu schleppen.
Dann müsste Ihnen der Münsteraner „Tatort“ ja gut gefallen, oder?
Ja, der ist manchmal sehr lustig. Die beiden sind ja auch nicht gerade von persönlichen Krisen angekränkelt. Im Gegensatz zu den anderen, manchmal sehr auf die Therapie zuwankenden Kommissaren, haben sie jedenfalls die Lacher auf ihrer Seite.
Man sagt Ihnen nach, dass Sie ein wahnsinniger Perfektionist sind. Ist das so?
Nein, je mehr ich verstehe, was Regieführen überhaupt heißt, kann ich Perfektionismus für mich überhaupt nicht in Anspruch nehmen. Ich bin eher ungeduldig und möchte die Dinge möglichst so schnell wie möglich auf die Ebene bekommen, auf der ich sie mir wünsche. Und im Nachhinein sehe ich manches Mal: Da und dort hättest du noch besser arbeiten müssen. Ich möchte aber, dass die Szenen am Ende so zu sehen sind, wie sie im Drehbuch zu lesen waren. Ist das Perfektionismus? Für mich ist das normales Regiehandwerk.
Interview: Angelika Kahl