Spielart zeigt „Castle of Dreams“: Wie lautet das erste Gebot des Kapitalismus? Konsumiere bis der Affe in Dir zum Orgasmus kommt!
Karriere, die Umwelt retten, Liebe, Kinder, oder doch ein Haus? In Anbetracht der Tatsache, dass wir vorerst nur dieses eine Leben zur Verfügung haben, kommt man nicht umhin, sich ein, zwei Gedanken zu machen. Wie will ich leben? Wenn dann erstmal ein bisschen Zeit vorbeigerauscht ist, merkt man, dass zwischen Geld verdienen und Geld ausgeben nicht viel Raum bleibt, für das, was wir mal vom Leben wollten, für schöngeistige Ideale zum Beispiel, oder für politisches Engagement über den Wahlzettel hinaus. In seinem Stück „Castle of Dreams“ konfrontiert der japanische Regisseur Daisuke Miura uns mit eben dieser Absurdität.
Und auch wenn seine Inszenierung an expliziter Drastik nichts zu Wünschen übrig lässt, stellt er die Frage nach der Sinnhaftigkeit unserer Existenz eher leise und subtil. Hier kriegt man weder eine Botschaft ans Bein gebunden, noch eine moralische Plattitüde an den Hut gesteckt, sondern wird ziemlich alleine gelassen – mit sich und dem, was da auf der Bühne tobt. Der Bass hat einen schon weich gewummert bevor die Leinwand sich hebt und den Blick freigibt in ein Einzimmerappartement. Wir blicken über das Balkongeländer hinweg und durch eine Fensterscheibe nach drinnen, der Straßenlärm ist laut und unangenehm. Man kennt das: Es ist dunkel, man macht einen Abendspaziergang und natürlich schaut man in jedes erleuchtete Fenster hinein und versucht einen Blick auf das Leben der anderen zu erhaschen. Hier braucht man sich keine Mühe zu geben, die Sicht in das Einzimmerappartement ist unverstellt und bequem herangezoomt, aber vorerst passiert nicht allzu viel: Sechs Personen liegen und sitzen auf einer Art Matratzenlager herum, der Fernseher läuft, an den Wänden hängen unzählige Zettel, Magazinseiten und Kinoplakate, bunter Plastikkrusch baumelt von der Decke. Trash meets Pop auf engstem Raum.
Ein Mädchen in Unterhosen pult an ihrem Fuß herum, und steckt sich die erbeuteten Hautstückchen in den Mund. Anschließend wird die Achselhöhle inspiziert. Da bewegt sich der nächste, kratzt sich an den Eiern. Wir befinden uns mitten in Tokyo, es ist zwei Uhr Nachts, man trägt Joggingoutfit oder Unterhosen und irgendwas sinnlos Schrillbuntes dazu. Ein Mädchen rollt sich auf dem Boden, spreizt die Beine. Plötzlich kommt Leben in die Bude, einer tritt einen anderen wegen irgendwas, der tritt zurück und so entsteht eine Rauferei, bei der es wahllos brutal zugeht. Nach einer Weile ebbt die Aggression ab, ein Neuer betritt den Raum, er tritt irgendjemanden irgendwohin, setzt sich und blättert in einem Pornoheft. Er packt das Mädchen, das ihm am nächsten liegt, an den Haaren, zieht seine Hose runter und ihr Gesicht zu seinem Schwanz. Und weil Sex ansteckend ist, fangen die anderen ebenfalls an. Wer noch was anhat, zieht es aus und macht sich über irgendjemanden her. Ein echtes Fickorama, überall wird geleckt und gestoßen. Dann ebbt auch das wieder ab und es wird weiter ferngesehen oder rumgelegen – und das war nur das Vorspiel.
Als sich die Leinwand zum zweiten Mal hebt, sind Balkon und Fensterscheibe verschwunden, nun blickt man ohne schützende Barriere in das Appartement, hört die Schauspieler rülpsen, schlürfen, gähnen, stöhnen, grunzen und den Fernseher labern. Ein Mädchen ist wach und föhnt sich die Haare. Ein anderer krabbelt zum Kühlschrank, schafft es die Tür zu öffnen, kippt wieder um. Der nächste regt sich, zieht dem Mädchen neben sich die Unterhose runter und fängt an sie zu lecken. Und weil Sex ansteckend ist, geht es von vorne los. Jeder versucht irgendwas in irgendjemanden reinzustecken. Menschenkörper drehen und winden sich, es wird gestöhnt, ein Typ spritzt einem Mädchen ins Gesicht. Dann wird wieder rumgelegen und rumgepult. Wer rausgeht, kommt irgendwann mit einer Plastiktüte zurück. Da sind dann Chips drin, Comics oder Drogen. Irgendwann kocht irgendwer einen Topf Nudeln, über den sich alle schlürfend hermachen, dann pennen alle, dann wieder Sex, dann rumliegen und dann wieder von vorn.
So wahl- und ziellos diese acht Menschen vor sich hin gammeln, so kunstvoll konstruiert ist diese Inszenierung. Was der japanische Regisseur Daisuke Miura mit der Gruppe potudo-ru da auf die Bühne wuchtet, ist kein plakativ vordergründiger Voyeurismus, sondern eine intelligente und konsequent radikale Choreografie sinnentleerten Konsums. Fressen, ficken, schlafen. Es wird kein Wort gesprochen, Zwischenmenschliches beschränkt sich auf Tritte und Sex. Jeder lebt für sich, versucht seine Bedürfnisse zu stillen, fertig. Miura zeigt eine streng formale Versuchsanordnung, die uns und unsere Definitionen von menschlichen Menschen und lebenswertem Leben hinterfragt.
Und das funktioniert, denn irgendwann ist einem die heftige Befremdlichkeit, mit der man sich von den Zombies auf der Bühne distanzieren möchte, schon ein bisschen peinlich. Gut, man ist auch nur ein Mensch und pult schon mal an sich rum, ja, und gerülpst hat man auch schon mal. Aber so, wie die, ist man deshalb noch lange noch nicht, oder? Nein, natürlich nicht. Doch um diese Frage geht es gar nicht. Es geht ums Fragenstellen an sich. Wie gesagt: Man ist ziemlich alleine mit sich in diesem Inferno.
Letzte Vorstellung heute Abend . 22.11.2011,um 20:30 im i-Camp