Augenmalerei in der Galerie Neumeister – zum 175. Geburtstag von Franz von Lenbach
Gleich am Eingang der Galerie Neumeister wird es exotisch: Ein Araber mit Bart und Turban blickt versonnen auf die Galeriebesucher. Aber wer nimmt hier eigentlich wen ins Visier? In der von Helmut Hess und Rainer Schuster kuratierten Ausstellung "Einem Lenbach in die Augen schauen" geht es vor allem um das Künstlergenie Lenbach selbst.
Bereits von seinen Zeitgenossen wurde er als "Augenmaler" und "Seelenleser" gefeiert. Schon damals galt Lenbach als ein Künstler, der Wesen und Charakter seines Modells zum Ausdruck bringt, dabei aber gleichzeitig seinen eigenen malerischen Blick auf den Portraitierten offenbart. Lenbach konzentriert sich vor allem auf die Gesichtszüge und fokussiert dabei immer die Augen, die Ausdruck der Seele sind. Körper und Kleidung werden mit breiten, lockeren Pinselstrichen nur vage angedeutet und wirken unvollendet.
"Einem Lenbach in die Augen schauen!" Mit diesen Worten beschrieb die Kunstkritikerin Anna Spier bereits 1905 im Kunstjournal "Die Kunst unserer Zeit" eine von der Münchner Künstlerschaft organisierte, umfangreiche Ausstellung von Werken des ein Jahr zuvor verstorbenen Franz von Lenbach. Sein 175. Geburtstag am 13. Dezember 2011 ist aktueller Anlass für eine Gedächtnisausstellung in den Räumen der Galerie Neumeister, die demnächst schließt – der krönende Abschluss quasi. Zu sehen sind rund 50 Werke aus dem Nachlass des Künstlers, darunter Gemälde, Pastelle, Skizzen und Fotografien, die zum Teil erstmals öffentlich präsentiert werden. Es ist bereits die zweite kunsthistorische Ausstellung der Galerie, die einem Münchner Künstlerfürsten gewidmet ist und die an die erfolgreiche Ausstellung zum 175. Geburtstag Franz von Defreggers vor einem Jahr anknüpft.
Exotische Bildnisse fremdländischer Menschen spielen in der Kunst des 19. Jahrhunderts eine eher untergeordnete Rolle. Allerdings sind sie im Gesamt-Oeuvre Lenbachs, der 1875 zusammen mit seinem Freund Hans Makart eine längere Reise nach Ägypten unternahm, mit einigen interessanten Beispielen vertreten.
Als dreizehntes Kind eines Schrobenhausener Stadtmaurermeisters geboren, entschied sich der 18-jährige Franz Lenbach für den Künstlerweg. Rasch stieg er zum Malerfürsten auf, der ein strenges Kunstdiktat führte. Er war Vorsitzender der Münchner Künstlergenossenschaft, Präsident der wichtigsten Künstlervereinigung "Allotria" sowie Mitbegründer der "Gesellschaft zur Förderung rationeller Malverfahren", die im goldenen Zeitalter der aufkommenden Schwemme von Kunstwerken für die Effektivitätssteigerung bei der Bildproduktion eintrat.
Genie und Rationalisierung bedeuteten für Lenbach keinen unvereinbaren Widerspruch. Seine Kunst war für ihn kein bloßer Abklatsch einer Fotovorlage, wenngleich mechanische Verfahren wie das Durchpausen und Projizieren von Fotografien zum Einsatz kamen. Im Zeitalter der Reproduzierbarkeit wurde die Fotografie von vielen Künstlern als Hilfsmittel verwendet, so auch von Lenbach – was allerdings von Seiten der Familie ein lange Zeit wohlgehütetes Geheimnis blieb. Es wurden regelrechte Foto-Sessions abgehalten, bei denen die Kunst der Selbstinszenierung ebenso gefragt war wie die sich anschließende Kunst der Transformation ins Medium der Malerei. Dabei stand die künstlerische Freiheit weit über der fototechnischen Vorlage.
Franz von Lenbachs glanzvolle Künstlerkarriere gründet auf der Portraitkunst. In diesem Genre war er für die gesamte Künstlerschaft der Münchner Schule stilprägend. Wie schon Rembrandt lange vor ihm verstand er es grandios, die Gesichter aus dem stimmungsvollen dunklen Bildhintergrund pointiert an der Bildoberfläche aufblitzen zu lassen. Ins rechte Licht gerückt wurden vor allem schöne Frauen, darunter die Frau eines Hofjuweliers, Lily Merk, Henriette Poschinger, Luise Kronprinzessin von Sachsen und Lenbachs zweite Frau, Lolo (Charlotte) von Hornstein, die selbst künstlerische Ambitionen hatte. Das von ihr geschaffene Bildnis ihrer Tochter Gabriele mit Hund und Katze ist ein Beleg dafür, dass die Komponistentochter – die Unterricht bei Lenbachs Lehrer Carl von Piloty und bei Nikolaus Gysis nahm – sich ganz am Zeitgeschmack der Gründerzeit orientierte.
Der Maler selbst ist auf zwei Werken zu entdecken. Auf einem Familienbild hat er sich zusammen mit seiner Tochter Marion verewigt. Das andere Mal entdeckt man ihn auf einer kleinen Gemäldeskizze, die den Kirchenhistoriker Ignaz Döllinger sowie Werner von Siemens zeigt. Zu den prominentesten Konterfeis zählt zweifellos Otto von Bismarck, der gleich zweimal auftaucht. Einmal wird er lesend mit Buch gezeigt. Das andere Mal ist der "Eiserne Kanzler" wie ein Bahnhofsvorsteher mit einfacher Filzkappe im Großformat dargestellt. Ein paar Meter weiter kann man den Vergleich mit der Fotovorlage ziehen.
Neben der Portraitschau, die das "who is who" der damaligen Zeit widerspiegelt, ist auch ein großformatiges Obststillleben mit Äffchen zu sehen – ein Beleg für die Kopistentätigkeit des Künstlers, der sich an den Künstler Frans Snijders gewagt hat. Die Vollendung seiner Künstlervilla in Starnberg, entworfen von dem damaligen Stararchitekten Gabriel von Seidl, hat Lenbach selbst nicht mehr erlebt. Allerdings hat er ihr Aussehen in einer kleinen Ölskizze festgehalten.
Angelika Irgens-Defregger
Bis zum 21. Januar 2012 in der Galerie Neumeister, Gabelsbergerstraße 17 in München, Mi-Sa 14-19 Uhr