Dienstältester Journalist im Alter von 96 Jahren gestorben
"Ich setze vor allem auf die Frauen" - das Vermächtnis des Karl Stankiewitz
Karl Stankiewitz ist tot. Ein Satz, so unglaublich wie: Die Isar fließt nun bergauf, zurück in die Alpen. Denoch ist es geschehen: Der bis fast zum letzten Tag aktive und mutmaßlich dienstälteste Journalist der Stadt und des Landes ist nicht mehr unter uns. Er starb, wie sein Sohn Thomas Stankiewicz heute, am Folgetag, "allen die ihn kannten", also quasi der Welt, mitteilte, im Alter von 96 Jahren am Freitag (13.12.24). Um 11.14 Uhr sei er friedlich eingeschlafen. Zuvor schrieb er einen Abschiedsbrief.
Er war für viele Schreiber, Journalisten und Redakteure seit Jahrzehnten nicht nur Kollege, sondern eine Art Lebensbegleiter. Wo auch immer man hinkam, Karl Stankiewitz war schon da oder da gewesen. Seit dem 2. Weltkrieg war er Chronist, Beobachter und Kommentator des öffentlichen Lebens in München und Bayern - und in seinen Reiseberichten zog er Kreise weit darüber hinaus. Bei SZ und AZ begann er seine hauptberufliche Laufbahn. Bezeichnend ist, dass heute, wo Stankiewitz im Haus der Bayerischen Geschichte verewigt und Träger des Hoferichterpreises ist, beide Blätter ihn für sich vereinnahmen. Das ist schon deshalb falsch, weil Stankiewitz den Großteil seiner Schreiberkarriere als Mitarbeiter von auswärtigen Blättern machte. Das ist vor allem ein wenig degoutant, wenn man weiß, wie in beiden Blättern schon vor mehr als 20 Jahren im Zuge der Beschleunigung und Stromlinienförmigmachung des Journalismus über Stankiewitz, mit seinem detailverliebten, bedächtigen, zurückgenommenem Schreib- und Arbeitsstil, gelästert wurde. Man wollte ihn schlicht kaltstellen und abservieren, weil er schon damals nicht mehr in die Zeit des beginnenden Aktivisten- und Klick-Journalismus passte. Wenn nicht einzelne Redakteure, die wie er noch an journalistische Tugenden wie Aufrichtigkeit und Gründlichkeit glaubten, an ihm als freiem Mitarbeiter (oft gegen den Willen höherer Redaktionsetagen) festgehalten hätten, wäre er seit Jahrzehnten in keinem dieser Münchner Blätter mehr erschienen. Doch das ist letzlich ein anderes Thema...
Zu seinem 85. Geburtstag erschien in diesem Feuilleton eine Würdigung - schon damals hieß es: "Der jüngste 85-Jährige der Stadt schreibt und schreibt und schreibt." Stankiewitz war dem Kulturvollzug (nicht nur) als Autor eng verbunden, da er sich für alles, das ihm neu und zukunftsweisend im Journalismus erschien, interessierte und engagierte. Zwar hat er oft den Kopf geschüttelt über die generelle Entwicklung der Medien in den letzten 15, 20 Jahren, also seitdem das Internet auch für diese den Ton angibt, er hat ungläubig und manchmal auch ratlos den Kopf geschüttelt. Er hatte aber letztlich niemals den Glauben daran verloren, dass der Journalismus auch nach dem Niedergang der alten, großen Print-Institutionen doch wieder Fuß fassen und zu einstigen Qualitäten zurückfinden könnte. Er war schlicht "der Unermüdliche", wie es auch zu seinem 90. Geburtstag hieß.
Am 14.8.2011, bald nach der Gründung, erschien der erste Text von ihm im Kulturvollzug. Er handelt von Münchens unbekannten Gedenkorten. Der vorläufig letzte Text von ihm erschien am 11.6.2022 - über seine "Generation 1928" und deren Erinnerungen an das Kriegsgespenst, das so plötzlich wieder nach Europa zurückkehrte. "Vorläufig letzter Text" sagen wir auch am heutigen Tag deshalb, weil Karl Stankiewitz immer mehr schrieb als veröffentlicht werden konnte, sogar in Zeiten und Medien des Internets. Das heißt, es gibt noch eine ganze Reihe unveröffentlichter "Stankies", auch hier im Kulturvollzug. Irgendwann wird der Lauf der Dinge wieder aktuelle Anlässe schaffen - und dann wird man posthum vielleicht tatsächlich noch einmal "neue" Texte von ihm lesen können. Auch das dürfte dann im Münchner Journalismus einmalig sein.
Der letzte Text über ihn erschien hier vor einem guten Jahr zu seinem 95. Geburtstag, bei dem er - nüchtern und rational bis zum Äußersten - sehr konkret Abschied zu nehmen begann und das auch deutlich sagte. Bis in die letzten Tage schickte er noch an Freunde und Bekannte eigenhändig und per Email "Gedankenblitze", Gedanken und Erinnerung zu aktuellen Anlässen, die ihn bewegten.
Am 12.12.24 um 9.10 Uhr verschickte er seine letzte Email mit dem Betreff "Letzter Gedankenblitz" über Verfolgte und Hilfsaktionen, an denen er sich beteiligte. Das Anschreiben dazu: "Liebe Freunde, Verwandte und Bekannte, hiermit beende ich meine Gedankenblitze. Der letzte erklärt kurz den Grund. Er handelt noch einmal vom Helfen, der vielleicht wichtigsten Aufgabe in unserer zersplitternden Gesellschaft. Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten."
Das Einzige, was dann noch kam, nach vielen, vielen Hunderttausend, wahrscheinlich Millionen Zeilen, war der Abschiedsbrief, den wir im Folgenden mit der Erlaubnis seines Sohnes Thomas Stankiewicz hier wiedergeben. Wir lesen ihn als Aufruf und Vermächtnis. Wir verneigen uns vor einem ungewöhnlichen Freund und Kollegen.
Liebe Verwandte, Freunde, Kollegen, gute Bekannte,
Wenn diese Mail bei den Empfängern ankommt, habe ich das Leben aus gesundheitlichen und aktuell weltanschaulichen Gründen verlassen. Mit freiem Willen, nach reiflicher Überlegung und mehreren, auch kontroversen Gesprächen. Ohne Angst, ohne Scham, ohne Scheu vor einem Tabu. Im Beisein meiner engsten Verwandten sowie einer Juristin und eines Arztes von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben.
Es war ein langes, interessantes, teils abenteuerliches, insgesamt erfolgreiches Leben, auch wenn es am Schluss eher leidvoll war. Dafür habe ich dem Schicksal zu danken. Vor allem danke ich all den guten Menschen, die in letzter Zeit hilfreich zur Seite standen, besonders meiner lieben Lebensgefährtin Alwine und meinem rührigen Sohn Thomas. Dank auch an meine Enkelin Tania, der meine Hinterlassenschaft viel Arbeit bereiten wird, und ihrer Mutter Andrea. Dank an meine engeren Freunde Ralph-Jürgen, Max, Gerd und Peter. An meine geduldigen Hausärztinnen Dr.Eckstein und Dr.Witt sowie meinen Augenarzt Dr.Bornhauser, der mich vor dem völligen Erblinden bewahrt hat. An die Lektoren und Verleger meiner Bücher. An die städtischen Kulturträger Anton Biebl und Michael Stephan, die meine literarischen Versuche förderten.
Euch und den Nachkommen wünsche ich eine bessere als die gegenwärtige Welt. Eine Welt des Friedens statt der Kriege, der Vernunft statt der Verdummung, Solidarität statt Spaltung, Freundlichkeit statt Verrohung, Wahrheit statt Lüge, Naturliebe statt Naturzerstörung. Scheut keinen Einsatz, keine Mühe, keinen Verzicht, tut alles dafür, dass unsere Demokratie erhalten bleibt und diese Welt nicht noch mehr überschattet wird vom Nationalismus, Rassismus und Trumpismus, der widerwärtigen Abart des gewöhnlichen Faschismus.
In einer derart bedrohten Welt fühlte ich mich am Ende nicht mehr daheim. Ich setze vor allem auf die Frauen. Sollten sie in der Politik und anderen wichtige Bereichen das Ruder übernehmen, wäre bestimmt vieles besser. Den Männern empfehle ich den Rückzug auf breiter Front.
Karl Stankiewitz,
München, Dezember 2024
P.S.: Dass ein Mensch sein Lebensende selbst bestimmt, selbst mitorganisiert und öffentlich macht, mag manchen befremden oder schockieren. Ich bin jedoch der Meinung und habe es so auch in meinem Beruf praktiziert, dass ein klares Bekenntnis bei vollem Verstand allemal besser ist als ein Drumherumreden und das Entstehen von Gerüchten. Zu rechtfertigen habe ich nichts.