Das Munich Composers Collective im Werksviertel

Akustisches Kaleidoskop in den Event-Burgen des Jetzt

von Michael Wüst

Munich Composers Collective. Foto (c) Ralf Dombrowski

„Non-Opening“ für einen Ort, den es offiziell noch gar nicht gibt und den manche deshalb "Flüsterkneipe" nennen. Am 31. Januar 2024 fand dort, mitten auf dem Gelände des Werksviertel Mitte, ein überragendes Konzert statt. Weil die finale Fertigstellung dieses Ortes mit der offiziellen Genehmigung für einen freien Publikumsverkehr immer noch aussteht, wurde zu einem "Non-Opening" eingeladen. Die Einladung ging an Freunde und Sympathisanten der Szene rundherum um Martina Taubenbergers Aufgabenbereich "Werksviertel-Mitte Kunst". Das Non-Opening, wie es auf den Einladungen heißt, ist also eine Vorstufe zum Pre-Opening mit privatem Charakter, privaten Gästen.

 

Der Charme des Unfertigen, der Übergang zu einem normalen Konzertbetrieb wird erlebt als Teilhabe an einer Entwicklung in der Atmosphäre eines Salons im Neubau oder eines Speakeasy mitten in den Event-Burgen des Jetzt. Der Weg zum Nicht-Ort, zum U-Topos, muss sich herumsprechen, spricht sich herum. Das ist etwas anderes als die Schnitzeljagden der elektronischen Tanzszene, die sich gerne umgibt mit dem Flair des Illegalen. Wenn man dann in der Lage ist, ein Orchester wie das Munich Composers Collective (MCC) zu präsentieren, das gleichzeitig noch den Titel eines Orchesters in Residence trägt, kann nicht viel schiefgehen. Die Residence am Nicht-Ort, das ist doch etwas sehr Künstlerisches.

In einem der Werke, dem Werk1.4, Erdgeschoss, hinter großen Fenstern, am südöstlichen Ende des Werksviertel Mitte, da wo man schon die Fassungen für zukünftige Beleuchtung von der Decke hängen sehen kann, wo der Sichtbeton sich noch selbstbewusst in schlichter Schichtung zeigt, wo beim Betreten der Toiletten keine Stimmungsmusik losplärrt und kein Händetrockner-Luftstoß einem das Toupet wegreißt, an diesem absolut nicht-smarten Nicht-Ort ohne Lachsschnittchen und Heldenbrause, spielte also am 31. Januar zum zweiten Mal diese wunderbare Big Band der komponierenden Studenten von der Münchner Musikhochschule.

Munich Composers Collective. Foto (c) Ralf Dombrowski

Die schlanke Big Band des MCC – schlank, gemessen an den Maßstäben der Swing-Ära – mit 18 Teilnehmern, inklusive ihres „Profs“ Gregor Hübner, entstanden an der Musikhochschule - hat einige Besonderheiten schon in der Orchestrierung. Neben der Wood-Wind-Section, in der die Bassklarinette prominent eingesetzt wird, hat, ebenfalls im sonor tiefen Register, die Baßtuba gewichtige Argumente, flankiert von Kontrabass plus E-Bass. Neben den Blechbläsern, zwei Trompeten, einer Posaune und bereits erwähnter Baßtuba, ist ein Streichquartett integriert mit zwei Violinen, einer Bratsche und einem Cello. E-Gitarre, E-Piano, Schlagzeug, Electronics und Gesang vervollständigen.

Dieses Orchester ist in der Lage, sich elegant und überraschend zu verwandeln, es erscheint wie ein akustisches Kaleidoskop. Der nackte Raum leuchtet, changiert, öffnet sich zu wunderbaren, manchmal luziferischen Abgründen. Die Virtual Reality einer Kunst in Reinkultur. Es entsteht in den Herzen der Wahrnehmenden das Bild eines eigenen Wesens, einer intelligenten, theatralen Musikmaschine, eines Transformers der musikalischen Räume: Klänge verwandeln sich im Fluss, auch abrupt, rockig, manchmal steinschlagartig, werden dann wieder gewendet, gespiegelt und in einer Reprise erneut zurückgestellt in die Urposition, wenngleich mit geändertem, geläutertem Charakter. Am Ende eines romantischen Purgatoriums zeichnen neutönerische, fiebrige Skelette Kontur, wenn der Nebel der Schlacht sich verzieht.

Zu Beginn stehen die Musiker im Rücken des Publikums und wandern dann auf ihre Plätze. Sie nehmen das gewohnte Kammerton-a-Stimmen des Orchesters, diesen einzigen, chaotischen Moment eines klassischen Konzerts zum Anlass, mit großen, lichten Intervallen einen harmonischen Horizont aufzuziehen, in den sie dann wie Schlieren Dissonanzen einlaufen lassen. Atonale Nebenbeschäftigungen rütteln weiter an der Ordnung, der Horizont wölbt sich unter dem Gewicht übergroßer Akkorde: „Digital Code“, der Opener des Konzerts von Gregor Hübner.

Munich Composers Collective, Gregor Hübner. Foto (c) Ralf Dombrowski

Die Ketten des Codes rieseln stetig zusammenfallend und darin stetig wiedererstehend durch den Kopf. Unendlichkeit und Unfassbarkeit der Kombinationen erzeugen den Eindruck des Immergleichen, in dem aber alles enthalten ist. Immer wieder rennt das Streichquartett in unisono tremolierenden Attacken gegen die Barrieren des Regelwerks, gegen die Ordnung des Digitalen. Das hart rockende Schlagzeug treibt die neutönerischen Kadenzen in wiederholten Wellen auf einen Höhepunkt zu. Da erzwingen schließlich unerbittliche Ostinato-Akzente der Streicher in einem rauschhaft farbenprächtigen Turnaround den Zusammenbruch, absolut orgiastisch. Lange Pause. Fast augenzwinkernd, vielleicht auch schon resigniert heiter, beginnt dann von neuem in der Art eines Aftermath-Sirtakis der Zyklus erneut. Zyklus, der sich zwangsläufig wieder anfüllen muss mit all den Komplexitäten, die das System, sich wiederherstellend, bereithält. Klar wird aber in diesem zweiten Teil, dass nunmehr der Schöpfer des Systems der Mensch ist. Er ist der wieder designierte, humane Kreator, der mit dem Mandat, das er aus der Schönheit des Zusammenbruchs erhalten hat, die Schleier der Komplexität lüftet. Er hat die innewohnenden Gegensätze in eine dialektische Kommunikation gebracht. Das Thema erscheint erneut im Finale und wirkt wie die Proklamation der natürlichen Kunst-Intelligenz. Im Finale, aus dem Zusammenbruch geboren, ein Fanal. Heraldische Schönheit.

Ganz anders geht es mit Monika Roscher weiter. Sie hat Komposition und Jazzgitarre, ebenfalls an der Münchner Musikhochschule, studiert. 2011 gründete sie ihre eigene Big Band, die Monika Roscher Bigband. Dort und in anderen Formationen tritt sie auch als Sängerin auf.

Monika Roscher. Foto (c) Ralf Dombrowski

„Witches Brew“, erinnernd an Miles Davis revolutionäre Scheibe "Bitches Brew", ist eine 6teilige Suite aus der im Mai 2023 erschienenen CD „Witchy Activities and Maple Death“. Sie beginnt mit Roschers dringenden, manchmal flehentlichen Gesang. Es ist Eile geboten. Die Bläser repetieren in torkliger Burleske, die ganze Szene ist ein Rundum der Wildnis, des nächtlichen Waldes. Aber Roscher ist weniger eine der „weird sisters“ aus Shakespeares Macbeth, sie rührt nicht „Fledermaushaar, Ziegengall, Türkennasen und Molchaug“ in den schmierigen Kessel, sie ist eher eine sinistre Elfe, die den ganzen Hexenwald erweckt. Das Motto der „weird sisters“ „Macht die Runde um und um/Krumm ist grad und grad ist krumm“ gilt aber umso mehr. Ob am Anfang hinter einer aufgeregten Posaune die rhythmischen Ebenen ineinander brechen oder später, wie im „Schloss im Spinnwebwald“ von Akira Kurosawa, die Motive sich auftrennen und unter gleichzeitigem, grünspanigen Gepolter der Bläser in verschiedenen Ecken des Orchesters sich verknoten, die Komposition hat keine eindeutige Richtung, wie die Natur hat sie keine Achsen, alles ist Geflecht, Geweb. Sehr plastisch, sehr suggestiv, sehr filmisch. Harte Rockstrukturen im Spinnweb.

Veröffentlicht am: 08.02.2024

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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