Die Berliner Weltmusiker "17 Hippies" im Technikum
Wenn Musik der Liebe Nahrung
Die Hippies kommen nach München! Gibt's überhaupt noch welche? Dass der Begriff noch lebendig war, konnten allerdings Kristin „Kiki“ Sauer und ihre Folk-Musikanten 1995 nach der Gründung der „17 Hippies“ in Berlin schnell feststellen. (Ach so Berlin!) Und ausgerechnet 1995? Das war das Jahr als „The Grateful Dead“ sich auflösten, um noch eine Weile als „The Dead“ auf Festivals Spukauftritte zu spielen. Aber Counter-Culture, Flower-Power, Psychedelic Rock sind im Bewusstsein geblieben.
Die „17 Hippies“, in Wirklichkeit sind es mal 12, mal 13, zogen also am 25. Februar 2023 ins Technikum ein feierten mit dem kundigen Publikum auf der Tour ihrer 9000 Nächte eine weitere in München.
„9000 Nächte“, so heißt ihre neueste Produktion, ein aktueller Querschnitt durch 16 CDs seit 1997, vorab nicht als CD zu erwerben, sondern erstmal ganz einfach als App herunterzuladen ohne großen Streaming-Dienst-Heckmeck. Macht dann zusammen 17 Werke seit ihrer Gründung. Irgendwie hängt man an der Primzahl.
Auf der Bühne stehen mehr als 17 Instrumente: Neben Gitarren, Ukulele, die Bouzouki, griechische Schwester der Oud, die Mandoline, neben klassischem Blech von Posaune und Trompete die kleine Tuba, das Euphonium; Klarinette und Tenorsax vertreten das Holz, 2-mal Akkordeon (1-mal irisch), Geigen, Fiddle oder Bratsche, Kontrabass, Schlagzeug und orientalische Darbuka; eine Querflöte hat sich versteckt und auf einem zentralen Aufbau im Hintergrund erkennt man ein Pianola. Dort muss auch ein Xylophon liegen, wie wir später hören werden, dahinter vielleicht der Dudelsack. Eine bunte Weltmischung.
Auch die Songtitel verraten, dass man sich nicht regional festlegen mag. Mit „Singapore“, erschienen im Herbst letzten Jahres als erste Single der neuen App-CD, startet der Abend auf einem fliegenden Teppich. Ein Bouzouki-Intro weckt den Wind und der bläst die wilde 13 im osmanischen Groove treibender Geigen vom Indischen Ozean Richtung Jakarta über die flache Java-See der Piraten. Es verwirbelt, der Teppich wallt und franst aus, das Thema rollt und entfaltet sich wieder, schlägt über den Köpfen zusammen, aber die Klarinette bringt mit einem steilen Aufstieg den Teppich wieder vor den Wind und mit beruhigenden Trompeten kommt man in einen stabilen Anflug. „We are on our way to Singapore“, bestätigt der Käpt'n. Orgiastischer Touch Down. Wow! Ob die wilde 17 gerade auf ihrem Weg zu ihren Konzerten in Australien, Neuseeland oder China war, lässt sich heute allerdings nicht mehr genau sagen.
Aber hier im wirklichen Leben ist Kiki Sauer (Gesang, Akkordeon, Querflöte) also mal wieder in München angekommen. In 9000 Nächten waren sie bestimmt um die 20mal schon hier, sagt sie - hat vielleicht was mit den sexy Fallwinden zu tun. Elser-Halle, Freiheizhalle, Tollwood, Kammerspiele, Pagode im Englischen Garten und einmal im Cockpit einer 737 auf dem Flug von Lausanne. In 9000 Nächten und 80 Takten um die Welt - Hippies können fliegen.
Im nächsten Song geht es darum, wie man Glück finden kann. Ohne es zu suchen. „El Dorado“ ist ein luftiger Musen-Glücks-Kuss. Der Song schaut aus dem Nichts um die Ecke in heiterem Mandolinen-Swing à la Italian Style und erinnert an „Tu vuò fà l’americano“. Und weil man lieber nicht auf dicke amerikanische Hose macht, singt Kiki Sauer auf französisch über das Gold der luftigen Küsse. Tja, wenn Musik der Liebe Nahrung… “Parmi mille regards je serai la seule en ton il / Mon El Dorado“.
Schon mit „Le Temps de cerises“, einem Lied aus der Zeit der Pariser Kommune, ging es auf eigene Frankreich-Tour, nachdem die Truppe zuvor bereits 2007 im Pariser Olympia gelandet war. Fünf Alben erschienen allein nur in Frankreich. Die dortigen Fans attestierten den Hippies den „Berlin Style“ und so nannten sie 1999 dort auch ihr erstes. „17 Hippies chantent en francais“ kam zuletzt 2013 heraus.
Die Liebe zu Frankreich ist groß. Bei Niki Sauers „Jolie fille“ erinnert man sich an „Tous les garçons et les filles“ von Francoise Hardy.
Klar, dass es die High-Fly-Hippies auch mal nach Louisiana zieht, wo man sich beim Moon-Shiner, dem schwarz gebrannten weißen Whisky erzählt, wie die Franzosen das Land beim Kartenspielen an die Amerikaner verloren haben. Beim Atchafalaya im Big Bayou des Mississippi trifft der Liedermacher seinen Großonkel: „Roter Mond, die Sonne wirft den Abend / über unsre Köpfe weit hinab / da sitzen wir nun rastlos wie die Raben / Roter Mond am Ende vom Tag“. Mandoline und Akkordeon geleiten den Bläsersatz über leere Straßen, wo Alligatoren in der blauen Stunde ruhig den Verkehr regeln und nach ein paar Flaschen Wein, findet der Großonkel wieder zu seinem alten ostpreußischen Dialekt: Meen Jungchen!
Und nochmal Amerika. „Across Waters“ könnte mit den ersten Takten zur „City of New Orleans“ führen und natürlich gehören beide Guthries auch zur Lieblingslektüre sowieso aller Hippies, aber Geige und Cello ziehen schon irisch wehmütig die Banjo-Linien in die Länge und lassen sie an den Ufern ausplätschern. Da wird es mehrstimmig und schon will unser Inneres mitsingen: “We are stardust, we are golden” - By the time we got to Woodstock. Schöne Zeitreise.
Da sie aber das Singen erst nach und nach dazugelernt hatten, gibt es auch ein Instrumental: „Worksong“ lässt sich nach einem leicht Zydeco-artigen Intro in einen Uptempo-Shuffle, getrieben vom Euphonium, fallen. Banjo, Mandoline portionieren mit kantigen Off-Beats und der ganze Bläsersatz kommt hinzu; das Akkordeon wirft eine Luftschlange und die gestopfte Trompete lacht dazu wie ein Bajazzo. Immer kurz bevor der Groove-Elevator aus der Führung zu kippen droht, verhindert der Bläsersatz das Gröbste und das Ganze stolpert in einem Ostinato-Riff die harmonische Treppe hinunter. Paul Brody an der Trompete improvisiert in diesem abstürzenden Turnaround mit dramatisch skalenfremden Notennägeln. Hört sich an wie aus einer ferneren Big Band-Zeit, Ende der 1960er Jahre. Wow! Absolut Hot. Fly High Hippie!