Karl Stankiewitz zum 95.
Auch ungewünschte Tage können schön sein
Karl Stankiewitz wurde 95 Jahre alt und feierte im Liebighof im Lehel. Genauer gesagt: Er ließ sich feiern, ihm selbst war und ist nicht danach. Den Titel „ältester aktiver Journalist“ hat er heuer abgelegt, indem er seinen Auftraggebern (auch dem Kulturvollzug) „kündigte“, was bei einem freien Autor etwas Skurriles und etwas Überordentliches hat. Ein Monument der Scheiberzunft wird er bleiben, so oder so.
Es tut schon etwas weh, ihn so zu sehen, wie er mit dem Sehbehinderten-Abzeichen am Revers auf der Holzbank sitzt und aus seiner Gebrechlichkeit so gar keinen Hehl zu machen versucht. Er, den man jahrzehntelang immer überall antreffen konnte, wo etwas los war für Journalisten in München, immer vornehm-zurückhaltend, trotzdem mittendrin und scheinbar unverwundbar, alterslos. Das ist nun nicht mehr so, Karl Stankiewitz kämpft mit dem Alter, dem Körper und der Welt, die sich nun, auf der eigenen Zielgeraden, so dumm und bitter in Zeiten zurückzuentwickeln scheint, aus denen man doch glaubte, sich mit einem stolzen „Nie wieder!“ herausgearbeitet zu haben.
„Mit der Gesundheit geht es steil bergab.“ Das sagt nicht etwa ein Lästermaul hinter dem Tresen, sondern der Jubilar höchstselbst über sich. Bitter. Doch Stankiewitz wäre nicht Stankiewitz, wenn er ins verlegene Schweigen der Feierrunde hinein nicht noch einen drauflegen würde: „Ich habe lange nicht geglaubt, dass ich diesen Tag überhaupt noch erlebe. Und, ehrlich gesagt, ich habe es auch gar nicht mehr gewünscht.“ So ist er, so schrieb er: Auch wenn es schmerzt und andere wahrscheinlich schweigen würden: Er sagt ganz einfach wie es ist. Nüchtern, sachlich, Fakten, Fakten, Fakten. Es geht nicht gut, und dann sagt man das halt: „Ich sehe das hier als Abschiedsparty.“
Der Kabarettist Christian Springer, ein persönlicher Freund des Jubilars, in Bezug auf Emotionen so etwas wie dessen Gegenstück, fing das Geburtstagskind dann irgendwie wieder auf: „Es wird nicht mal einer künftigen KI gelingen, alles was du je geschrieben hast in ein Menschenleben zu packen.“ Und jetzt „kommen wir alle noch daher mit unseren Beschwichtigungen, Schwindeleien, von wegen, komm’ Karl, des wird schon wieder!“ Diese Sprüche seien Ausdruck von Verzweiflung, von Hilflosigkeit - es seien halt Wünsche. „Karl, halt noch a bisserl durch. Wenn’s ned so oid wirst, wirst a angelogen. Jedenfalls ist das KEINE Abschiedsparty!“
Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte an Stankiewitz geschrieben: „Erst vor ein paar Monaten haben Sie den Ernst-Hoferichter-Preis in Empfang genommen, der herausragende Persönlichkeiten für ihr weltoffenes und humorvolles Schaffen auszeichnet. Selten hat man das Publikum dort so bewegt gesehen wie bei Ihrer Dankesrede, als Sie sagten, dass viele, die Ihr hohes Alter bestaunen oder höflich Glückwünsche überbringen, Ihnen gleich ein Alter von 100 Jahren und mehr verheißen – dabei würden Sie sich eigentlich etwas ganz anderes wünschen, nämlich einfach weiter Lust zur Bewegung, nicht nachlassende Neugier und ein intaktes Denken, um die komplizierte neue Welt zu verstehen.“ Wenn es so einfach wäre.
Stankiewitz Denken jedenfalls ist intakt. Er beklagte den „abscheulichen Rechtsruck überall. Der globale Neofaschismus. Gespeist aus Unwissen, Hass und Frust.“ Springer versprach, man werde definitiv immer aufstehen und „Halt“ rufen, wenn die Demokratie gefährdet sei. Dies und dazu ein sehr lautes "Prost" auf die Gesundheit aller Feiergäste. Nun schien Stankiewitz doch gerührt. Auch ungewünschte Tage können schön sein.
Wenige Tage nach der Feier meldete Stankiewitz’ Sohn Thomas, den Vater habe es nun „stärker zerbröselt“, er müsse für einige Zeit sein geliebtes Lehel mit einer Klinik in Thalkirchen tauschen.
- Vornehmer, kühner, scheuer Grafiker des Worts
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