Bilder im Dunkeln und lautlose Explosionen: Ahmet Ögüts gelungene Ausstellung im Rahmen der „Ricochet“-Reihe in der Villa Stuck
Die „Explodierte Stadt“ steht seltsamerweise wie unversehrt da: Menschenleer, aber alle Häuser intakt. Doch damit nicht auch noch die Neutronenbombe des Verdrängens alle Erinnerung auslöscht, liefert Ahmet Ögüt, der die Installation „Exploded City“ in seiner aktuellen Schau in der Villa Stuck zeigt, zu seiner Modellstadt auch die Legende. Auf einer Wandtafel sind alle Gebäude mit Namen, Standort und Datum verzeichnet. Sie sind Miniaturen real existierender Schauplätze von Terror-Anschlägen mit vermeintlich religiösem Hintergrund der letzten 20 Jahre: Hotels, Moscheen, Schulen, Banken, Bahnen und Busse zwischen Madrid, Mostar und Mumbai, Banja Luca und Bagdad, Oklahoma City und Nordossetien. Nur die Twin Towers sind nicht dabei, Ögüt hat absichtsvoll vergessen, was im kollektiven Medien-Gedächtnis ohnehin eingebrannt ist.
Man kann die Detonationen weder hören noch sehen, und dennoch fährt der Schrecken, der von diesen Tatorten ausgeht, dem Betrachter in die Glieder. Nicht zuletzt, weil die Decke im Raum von „Exploded City“ so niedrig ist, dass man nicht aufrecht stehen kann. Man wird buchstäblich niedergedrückt, und die Wirkung ist verstörender als jedes Hollywood-Bombardement. Nur für Kinder dürften die Dimensionen von Stadt und Raum frei von Unbehagen sein – und das ist angesichts dieser Zerstörungs-Utopie eine Art von Hoffnung.
Ahmet Ögut sorgt als vierter und vorerst letzter Künstler der Ausstellungsreihe „Ricochet“, in der Gegenwartskünstler den Dialog mit Franz von Stucks Jugendstil-Villa aufnehmen, für nachhaltige Irritationen. Seine absolut sehenswerte Ausstellung unter dem Titel „Wherever I go I see your shadow behind me“ zündet vor allem aufgrund Ögüts Gespür für die richtige Mischung aus hellsichtiger Zeitkritik, bildnerischer Poesie, literarischer Fantasie und leisem Humor. Und seine Arbeiten offenbaren den Lauf der Dinge in seiner Unerbittlichkeit, aber auch in seiner absurden Schönheit.
Der Künstler, der 1981 in Dyabakir geboren ist, in Amsterdam lebt, und zuletzt den türkischen Pavillon auf der Biennale gestaltete, bewegt sich mit seiner Kunst scheinbar schwerelos durchs Raum-Zeit-Kontinuum. Weil die Vergangenheit immer eine lückenhafte Rekonstruktion ist, interessiert ihn mehr als die offizielle Geschichtsschreibung die individuelle Erinnerung.
Das wird etwa in der Performance „Die taubenartige Unruhe in meinem Inneren“ deutlich, in der er eine blinde Malerin in völliger Dunkelheit vor Publikum das Porträt des 2007 in Istanbul ermordeten armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink malen ließ. In der Villa Stuck kann man sich in einem abgedunkelten Raum mit der Taschenlampe selbst auf die Suche nach dem Bildnis machen.
Auf dem Flugzeugfriedhof in Tucson/Arizona wiederum scheint die Zeit stehen zu bleiben: Hier hat Ögüt die Dinosaurier des mobilen Zeitalters gefunden: Hunderte von ausgemusterten Fliegern, die mit Binde vor dem Cockpitfenster und Verband auf den Triebwerken im konservierend trockenen Wüstenklima auf die Ewigkeit warten. In seinem Film „Things we count“ fährt die Kamera frontal und ruhig die Sektion der Militärflugzeuge ab, aus dem Off hört man eine Stimme in drei Sprachen zählen. Sie zählt die Jets, aber unwillkürlich muss man bei den Zahlen auch an die Opfer der Kriegsmaschinerie denken.
In dem Film „Guppy 13 versus Ocean Wave“ schließlich denkt Ögüt die Performance „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ des niederländischen Konzeptkünstlers Bas Jan Ader fort, der 1975 bei dem Versuch, mit einer kleinen Segeljolle allein den Atlantik von West nach Ost zu überqueren, verschwand. Sein leeres Boot wurde nach zehn Monaten an der irischen Küste gefunden. Ögüt trieb ein seltenes Exemplar des einst von Ader benutzten Boot-Typs auf und ließ seine Protagonisten das Schiff rückwärts aus dem Amsterdamer Hafen steuern. Das eigentliche Ziel von Aders letzter Reise ist der Beginn seines Mythos.
Roberta De Righi
Villa Stuck, bis 23. Januar 2011, Di - So 11 bis 18 Uhr