Ratten mit Irokesenschopf

von kulturvollzug

Zorn und Düsternis. Foto: Paul Meschuh

Nächtliches im "Theater und so fort": Mit "Radio Noir" bringt Intendant und Regisseur Heiko Dietz ein düsteres Frühwerk Albert Ostermaiers auf die Bühne.

Manchmal haben die Stimme im Radio und ein Engel etwas gemeinsam. Beide sind sie körperlose Begleiter des einsamen Menschen. Beide können sie Trost spenden in der langen Nacht. Was aber, wenn sich ein gefallener Engel des Mikrophons bemächtigt? Dann wird die Stimme im Äther womöglich zum Boten des Bösen, zum Sänger des Chaos, zur Stimme der Revolution, des Selbstmords. So geht’s zu in „Radio Noir“, diesem düsteren Textteppich, den Albert Ostermaier als Abgesang auf die 90er Jahre wob.

Im "Theater und so fort" an der Kurfürstenstraße hat man ja ein Händchen auch für solch sperrigen Stoff. Und ein Faible fürs Wagnis. Als nichts anderes ist es zu bezeichnen, wenn man eine junge, sehr junge Schauspielerin wie Noelle Cartier van Dissel dieses rebellische Nachtgedicht sprechen lässt, ein Stakkato, das schon den Zuhörer an die Grenzen der Belastbarkeit bringen kann. Textprobe gefällig? „Talk to me, ich bin das Flüstern der Zeitzünder, das Ausklingen der Herztöne im Körper der Stadt, ich bin die Stadt und ihr Untergang, ich bin der Felsen, an dem alle Straßen enden, und ihr meine Galeerenjungs, ich bin der Klang des Chaos.“ Parthenope heißt die Radiotalkerin mit den angekokelten Engelsflügeln; nicht ohne Sinne trägt sie den Namen einer Sirene aus der Odyssee.

An die Grenzen des Verständnisses stößt man auch deswegen, weil der Text von Ostermaier nicht durchgängig grandios ist. Manchmal ist er wie von sich selbst berauscht und überdreht. „Ich bin die Kakophonie der Katastrophe“ ist eine gar nicht so teure Alliteration und ein bisserl arg dick Schwarz in Schwarz gemalt. Und Ratten, die sich ihren Irokesenschopf mit Galle der Menschen gelb färben, geben ein albernes Bild ab.

Bisserl arg dick Schwarz. Foto: Paul Meschuh

Wie aber schlug sich nun Noelle Cartier van Dissel unter der Regie von Heiko Dietz an diesem Textmassiv, in diesem nahezu amorphen Monolog, in dem so wenig erzählt und vorangetrieben wird? Wacker, sehr wacker. Mitunter wirkte ihr Chaos-Talk monoton, nicht immer hielt die Konzentration, was sich aber vermutlich kaum vermeiden lässt angesichts von so viel „Sin City“-Fragmenten in den Gewölben des „und so fort“. Bei aller Zartheit und verruchten Zerbrechlichkeit zauberte sie mitunter einen Zorn und eine Düsternis auf die Bühne, dass es dem Zuschauer das Herz samtschwarz färben konnte. Ganz bei ihr ist man am Ende; Parthenope ist gescheitert, auf dem Weg vom Studio wirft sie der Taxifahrer an der übelsten Ecke der Stadt raus, Zuhälter verspotten sie, Nutten versuchen, ihr die Taschen aus Kunst-Krokoleder drüberzuziehen. Da war noch was... Richtig, eine große Liebe, und der Typ hat sie einfach verlassen. Von der Sirene der Nacht hören wir noch: „Ein letztes Fade out, ein Kuss in die Luft.“ Dann erlischt das Licht, und nur das verstörte Gesicht unserer Hauptdarstellerin glimmt noch für ein paar Sekunden auf unserer Netzhaut nach.

Jan Stöpel

Weitere Aufführungen im "Theater und so fort" am 17., 18. und 20. November, Beginn jeweils 20 Uhr, Karten und Infos unter Telefon 089/ 23 21 98 77

Veröffentlicht am: 17.11.2010

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