Henryk M. Broder kritisiert Günter Grass
Israel-Bashing in der Süddeutschen - "Er hat einen richtigen Judenknacks"
Der Mann fürs grobe Raster. Oder sieht man so manchmal sogar genauer? - Henryk M. Broder, 2006 im Haus seiner Familie aufgenommen. Foto: Michael Grill
"Was gesagt werden muss" titelte Günter Grass am Mittwoch in der Süddeutschen Zeitung - und holte mit seinem Text im Feuilleton zum Israel-Bashing aus. Über Grass' verworrene Lebensbeichte sprach der Kulturvollzug mit dem Publizisten und Polemiker Henryk Broder (65).
Wie ernst nehmen Sie Grass als Dichter?
Ich habe Grass als Dichter nie ernst genommen. Er hat ein einziges gutes Buch geschrieben, "Die Blechtrommel". Das war für die damalige Zeit ein ganz anständiges Buch. Ansonsten ist sein ganzes literarisches Schaffen verschwurbelt und verschwiemelt. Alles ist zwischen den Zeilen zu lesen und alles handelt nur von Grass. Einen Namen hat er sich - was nicht schlimm ist - mit politischen Pamphleten gemacht. Ich habe ihn erstmals erlebt, als er vor 40 Jahren übers Land zog und Vorträge hielt mit dem Titel: "Ich rate euch, SPD zu wählen". Das war damals schon autoritär, kein Rat, sondern ein Kommando, ein Marschbefehl. Diese Attitüde hat er beibehalten. Er ist nicht nur das moralische Gewissen, er ist der virtuelle Kommandostand der deutschen Nation. Ich fürchte, er hat nicht gemerkt, dass die Deutschen schon weiter sind und nicht mehr auf solche autoritären Gestalten angewiesen sind.
Sie provozieren auch gern und könnten von daher ein gewisses Verständnis für ihn zeigen. Wenn Sie ihm über den Weg liefen: Was würden Sie ihm sagen?
Ich würde ihm sagen, dass es nie zu spät ist, sich in therapeutische Behandlung zu geben. Er hat einen richtigen Judenknacks, er hat ein Trauma aus der Nazizeit. Das hat er nicht behandelt, er hat es auch durch seine literarische Arbeit nicht aus der Welt geschafft, und er leidet darunter, was die Deutschen den Juden angetan haben. Das spricht für ihn. Doch dieses Leiden führt nicht zur Selbsterkenntnis, es führt nur dazu, dass er gerne den Gegenstand seines Leidens aus der Welt schaffen möchte. Der ungeheuere Trick in diesem Gedicht ist - und das macht ihn zu einem lupenreinen Antisemiten - die Verwechslung von Ursache und Wirken und das Vertauschen von Opfer und Täter.
Können Sie das aus dem Text belegen?
Wer heute sagt, Israel gefährde den Iran und nicht umgekehrt, könnte genauso gut sagen, damals sei Deutschland von Polen bedroht worden. Und das war es ja auch, was die Nazis gemeint haben. Der Antisemit fühlt sich bedroht und schlägt zurück. Und mit dem Juden als Weltbrandstifter nimmt Grass wiederum einen alten Faden auf. Da ist offenbar ein älterer Herr, der am Ende seiner Laufbahn, "mit letzter Tinte", wie er kokettiert, zu seinen Jugendtagen zurückfindet. Ich habe ihm seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS nie übelgenommen, weil man einem Erwachsenen nicht unbedingt vorwerfen kann, was er als 17-Jähriger getan hat, aber offensichtlich hängt schon beides zusammen. Man ist nicht ungestraft in der Waffen-SS, um später so etwas von sich zu geben.
Ist diese Art von Antisemitismus typisch in Deutschland?
Eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Zur Zeit sieht es eher so aus, als würde sich die Vox Populi eher mit Grass identfizieren, manchmal habe ich das Gefühl, dass die andere Seite überwiegt. Es ist sicher weit verbreitet. Die Versuchung, die eigene Geschichte auf Kosten der Juden zu entsorgen, ist verbreitet. Ich bezweifle, dass es die Mehrheit ist. Eine qualifizierte Mindertheit ist es aber sicher.
Dieser Text, wenn wir nicht unbedingt "Gedicht" sagen wollen...
Das ist ja auch ein Trick, das "Gedicht" zu nennen. Man könnte auch Essay drüber schreiben, Stellungnahme, aber indem er diesen Zeilenbruch "Gedicht" nennt, begibt er sich in die Sphäre der Kunst. Kunst zu kritisieren ist sehr schwer. Und beim Kunstwerk dürfen Sie eigentlich alles. Er hat schon politische Pamphlete und Essays geschrieben. Warum jetzt ein Gedicht? Weil es vermutlich die beste Form ist, die eigene Wehleidigkeit zu artikulieren.
Ist dergleichen Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen?
Das kam man vernachlässigen. Ich glaube nicht, dass die Rechtsextremen allgemein die "Süddeutsche" lesen. Übrigens ist dieser Punkt der einzige, an dem ich Grass verteidigen würde. Wenn man etwas schreibt, kann man sich keine Gedanken machen, wer das liest oder ausnützen könnte. Das muss gerade einem Dichter egal sein.