Cardiff/Miller und "Klang und Stille"

Nachts im Kanu unter Alligatoren im Haus der Kunst

von Roberta De Righi

Janet Cardiff & George Burges Miller, The Killing Machine, 2007 (Foto: Wilfried Petzi)

Ein Fußtritt und Jimi Hendrix’ geniale Anti-Version des „Star-Spangled Banner“, der US-Nationalhymne, dröhnt minutenlang durch den Saal. Der Klang ist überwältigend und entwickelt im bis auf Marshall-Box, Kabel und Nähmaschinenpedal leeren Raum eine Wirkung, in der die Musik fast greifbar wird. Janet Cardiffs und George Bures Millers Installation ist jetzt im Haus der Kunst zu sehen, das gleich mit zwei parallelen Ausstellungen Werke aus der Sammlung Goetz zeigt.

Das technisch und ästhetisch begeisternde Oeuvre des kanadischen Künstlerpaares ist zwar längst Biennale-erprobt und international etabliert, bekam in Deutschland aber bisher sonderbarerweise nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient. Es spielt mit den Elementen von bildender Kunst, Theater und Kino, und stets kommt darin der Akustik eine übergeordnete Rolle zu, die den Zuschauer/-hörer mithilfe von Surround-Sound und binauraler Aufnahmetechnik vereinnahmt. Nichts ist wie es scheint, alles wird angedeutet, etwa in „Night Canoeing“: Darin hat man zunächst den Eindruck, man würde nachts einen abenteuerlichen Strom wie den Amazonas entlang gleiten, zwischen Alligatoren und Piranhas hindurch, die jeden Moment zuschnappen. Doch je länger man der Filminstallation folgt, desto  mehr wird wahrscheinlich, dass das Kanu auf dem sich die Kamera befindet, eher im Dunkeln auf einem völlig ungefährlichen See im Kreis herumfährt. Die Vegetation von Birken und Kiefern weist nicht gerade auf den Regenwald hin, die Eingeborenenhütten sind wohl Ferienhäuschen, und die vermeintlichen Krokodile entpuppen sich als Äste oder Büschel von Seerosenblättern.

Janet Cardiff & George Burges Miller, Feedback, 2004 (Foto: Wilfried Petzi)

Oder das aufwändige Miniatur-Kino „The Paradise Institute“: Darin läuft für je 14 Besucher ein dramaturgisch mehrfach gebrochener Klinik-Krimi in Schwarzweiß. Am Ende des filmischen Alptraums taucht ein brennendes Haus plötzlich in leuchtendem Multicolor auf – als könnte das zugleich der Anfang der Erinnerung des ans Bett gefesselten Protagonisten sein. Cardiff und Bures Miller fordern den Betrachter auf drei Ebenen heraus: Durch die Geräusche wird er Teil der Installation, sie täuschen zusammen mit dem Environment, in das man sich begibt, also dem Mini-Kinosaal, eine Zuschauer-Situation vor; das Sichtbare ist dann quasi der „Film im Film“, der aus letztlich rätselhaften Versatzstücken besteht. Das eigentliche Drama schließlich findet im Kopf statt. Diese Kunst ist von einer sinnlichen Opulenz und zugleich einer intellektuellen Klarheit, dass ihre Bedeutung im Zeitalter digitaler Massenmanipulation gar nicht hoch genug geschätzt werden kann. Höhepunkt der Schau ist die komplexe Installation „The Killing Machine“: Eine technoid-bizarre, mitunter komische Todesmaschinerie, die in ihrer perfiden Perfektion beängstigende Faszination hervorruft. Ebenfalls aus der Sammlung Goetz stammen 14 Videoarbeiten, die unter dem Titel „Klang und Stille“ zusammengefasst und in den Räumen des ehemaligen Luftschutzkellers gezeigt werden. Da finden sich Wolfgang Tillmans’ Video „Lights“ oder Rodney Grahams Glück-im-Unglück-Ballade „A little Thought“ ebenso wie Nira Peregs Beobachtung orthodoxer Juden in Jerusalem. Manche diese Filme sind eher Capriccios im Werk ihrer Schöpfer, aber in der Zusammenschau verdichtet sich ihre Wirkung. Die Krönung jedoch bleibt Janet Cardiffs und George Bures Millers großes Kunstkino.

Janet Cardiff & George Bures Miller, bis 8. Juli, Mo – So 10 bis 20, Do bis 22 Uhr; „Klang & Stille“ bis 9. September, Fr - So, 10 bis 20 Uhr

Veröffentlicht am: 19.04.2012

Über den Autor

Roberta De Righi

Roberta De Righi ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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