Zum Teufel mit der High Society
Diese „Fledermaus“ holt der Teufel: Gärtnerplatz-Intendant Ulrich Peters lässt den Gottseibeiuns in der Operette von Johann Strauß mitspielen und die ganze leichtlebige Bagage am Ende in die Hölle fahren. Eine insgesamt gelungene Gratwanderung zwischen Tradition und aktueller Interpretation. Viele Bravos und langer Applaus für die Neuinszenierung am Gärtnerplatztheater.
Das erlebt man auch nicht oft: Der Vorhang öffnet sich, der Blick fällt auf graue Gefängnismauern (ein Porträt vom andern Strauß, dem FJS, inklusive), und das Publikum klatscht schon beim Anblick des Bühnenbilds (Herbert Buckmiller, Licht: Rolf Essers). Ja, diese Inszenierung lebt auch von ihren opulenten, bunten Bildern.
Fünf vor zwölf ist es auf der Uhr, die zu Beginn überm glatten Parkett schwebt, leuchtend wie ein Ziffernblatt am Big Ben. Die Wiener Gesellschaft steuert schließlich auf den Börsen-Crash zu, und das Vielvölkerreich der Habsburger hatte auch schon mal bessere Zeiten erlebt. Doch wen juckt's, so lange der Champagner regiert? Auch der Knast ist keine Katastrophe, solange man sich die Zeit bis zum verspäteten Haftantritt mit Lustbarkeiten verkürzen kann. Diese Inszenierung hält das Versprechen der ersten Szene, für drei Stunden gibt es Augenfutter, mit der Gefängnisszene als Höhepunkt – am Fin de siècle angelehnt, nicht gewagt, dafür gut bekömmlich, inklusive rauschender Tanzszenen (Choreografie Fiona Copley).
Die Neuinszenierung der „Fledermaus“ lässt dem Jahrhundertwerk der leichten Muse seine Leichtigkeit, bringt aber – passend in diesen unseren Zeiten – einen warnenden Ton ins liederliche Treiben. Denn da mischt einer von Beginn an mit, in dessen Gesellschaft man doch immer so gern Banker und Spekulanten wünscht. Thomas Peters spielte Mephistopheles am Augsburger Theater, seinerzeit unter dem – nicht verwandten - Augsburger Intendanten Ulrich Peters. Nun hat Peters an ungewohnter Stelle als Mephisto wieder eine tragende und sehr unterhaltsame Rolle. Er paraphrasiert immer wieder mal den Faust und spielt dabei auf aktuelle Begebenheiten und auch das nicht eben wohlhabende eigene Haus an. Da wird das Fegefeuer zur „gludernden Lot“, und der in den Gefängniswärter Frosch verwandelte Mephistopheles liest süffisant die Liste der Insassen: Ah, ein Namensvetter, dieser Wetter-Frosch, wie heißt er gleich wieder... So lustig ist der Fall Kachelmann gar nicht. Überhaupt war die Versuchung, über Aktuelles zu spotten, vermutlich einfach zu groß. Da wäre weniger mehr gewesen.
Wenn aber der Bote der Finsternis zusammen mit „Fürst Orlowsky“, seiner rätselhaften Gefährtin, beim Ball Hof hält, fühlt man sich sogar an den großen Faust-Roman „Der Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow erinnert. Am Ende löste sich wie bei Bulgakow denn auch alles in Wohlgefallen auf, wenn denn die Gesellschaft nicht gar so unbelehrbar spaßversessen wäre. Dass bei der finalen Höllenfahrt am großen Abend die Technik streikte, minderte das Vergnügen des Premierenpublikums nicht, höchstens die Einsicht ins mephistophelische Gesamtkonzept.
Nun ist die „Fledermaus“ in erster Linie Operette, Gesang, Tanz. Und auch da macht's das Gärtnerplatz-Theater insgesamt richtig gut. Torsten Frisch etwa sang den Dr. Falke bei der Premiere als Einspringer, was aber ohne Ansage nicht aufgefallen wäre. Auch darstellerisch überzeugend Daniel Fiolka als Gabriel von Eisenstein. Man überlässt sich gerne diesem unwiderstehlichen Schmelz und Charme, nicht zuletzt bei den beiden herausragenden Frauenrollen: Heike Susanne Daum als Rosalinde und Sibylla Duffe als Zimmermädchen Adele erhielten zu Recht besonderen Beifall. Kurz und gut: Tickets für diese „Fledermaus“ empfehlen sich als Weihnachtsgeschenk.
Jan Stöpel
Nächste Vorstellungen: 6., 8. und 31. Dezember