Geigen-Star Hilary Hahn in der Philharmonie

Die reine Form, ein neuer Blick – und der Spaß

von kulturvollzug

Hilary Hahn hat neue Ziele (Foto: Peter Miller)

Was soll da noch kommen?, mag man sich bei Hilary Hahn oft gefragt haben. Schon als 18-Jährige spielt sie mit einer unfassbaren technischen Perfektion. Wer das nicht glaubt, höre ihre CD „Hilary Hahn plays Bach“. Heute ist sie 32 Jahre alt und setzt noch eins drauf. Bei ihrem Duo-Konzert in der Münchner Philharmonie standen insgesamt elf Stücke auf dem Programm, davon aber nur drei von einschlägig bekannten Komponisten. Hilary Hahn hat offenbar ein neues Ziel: Moderner Musik eine Chance zu geben. Ein solcher Abend erfordert ungemein viel Konzentration und Ausdauer - für Hilary Hahn und ihren sensiblen Klavierpartner Cory Smythe kein Problem.

Barfuß auf die Bühne schreitend eröffnet sie den Abend mit „Bifu“ von Somei Satoh und – schwups – schon ist man drin, im Hahn-Sog. Die beruhigend kühle Atmosphäre von Satohs Musik entwickelt eine so emotionale Spannung, dass man sich als Zuhörer ans Atmen erinnern muss. Das passende Gegenstück ist Max Richters „Mercy“. Das ist moderne Musik, die Spaß macht. Die beiden Stücke sind im Geiste in ihrer berührenden Schmucklosigkeit verwandt und setzen eine dramaturgische Klammer zu Beginn und Schluss des ersten Teils. Richters filmartige Musik entwirft Bilder: Ein Einsamer wandert einen stürmischen Strand entlang, irgendwo in Skandinavien. Er spricht nicht, aber die Musik zeigt uns sein schwermütiges Innenleben. Dann spielen Hahn und Smythe noch Nico Muhlys „Two Voices“, das Zwiegespräch zwischen Klavier und Geige, sowie Lera Auerbachs „Speak, Memory“ mit seinen fesselnden Flageoletts und Jennifer Higdons Presto-Stück „Echo Dash“.

Unter all diesen modernen Stücke reiht sich wie von selbst der gute alte Johann Sebastian Bach ein. Hilary Hahn spielt seine 2. Solo-Sonate in a-moll. Durch die absolut kontrollierte Bogenführung erfüllt ihr Ton die ganze Philharmonie. Sie überblickt die Mehrstimmigkeit in Bachs Musik und präsentiert sie mit einer außerordentlichen Ruhe. Hilary Hahn mit Bach zu hören, ist Musik in ihrer reinsten Form.

Im zweiten Teil nach der Pause geht es mit einer klassischen Klammer weiter, am Anfang Beethoven, am Ende Brahms. Die 2. Sonate von Ludwig van Beethoven ist ganz wunderbar gespielt, wirkt neben der modernen Musik aber etwas fehl am Platz. Ganz anders das Scherzo von Johannes Brahms. Hahn und Smythe eröffnen einen ganz neuen Blickwinkel, wenn sie davor „Memory Games“ von Avner Dorman spielen. Dieses technisch ungemein schwere Stück hat einen rhythmusbetonten, jazzigen, an manchen Stellen gar „dreckigen“ Sound. Brahms‘ Scherzo hört man danach mit anderen Ohren: Der groovige Rhythmus wirkt stärker und das moderne Potenzial in Brahms‘ Musik ist plötzlich viel offensichtlicher. Die zwei verbleibenden Stücke sind „Whispering“ von Einojuhani Rautavaara und „Levitation“ aus der Feder von Søren Nils Eichberg. Sie schließen sich in ihrer Disharmonie und Melancholie dem ersten Teil an. Aber selbst hier umgeht Hahn die Gefahr der Wiederholung, denn die Schönheit ihres Klangs passt einfach zu allem.

Das Engagement von Hilary Hahn und Cory Smythe für moderne Musik muss man würdigen. Sie zeigen, wie moderne Musik starke Gefühle hervorrufen kann, auch wenn der Weg dabei kein harmonischer ist. Wenn die beiden so weiter machen, freut man sich auf alles, was da noch kommt.

Sarah Hilgendorff

Veröffentlicht am: 27.04.2012

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